Samstag, Oktober 5

Vas Narasimhan führt seit sechseinhalb Jahren die Geschäfte des Pharmakonzerns Novartis. Doch in der Schweiz scheint der Amerikaner bis heute nicht richtig angekommen zu sein.

Für Vas Narasimhan, den Chef des Basler Pharmamultis Novartis, könnte es momentan nicht besser laufen. Der Aktienkurs ist auf über 100 Franken gestiegen, am Montag schloss er mit 102.70 Franken auf dem höchsten Stand in der bald 30-jährigen Geschichte des Unternehmens.

Im zurückliegenden ersten Semester schaffte es Novartis, den Umsatz in Lokalwährungen um 11 Prozent auf 24,3 Milliarden Dollar zu steigern. Damit hat der Konzern das Wachstum des Gesamtmarkts klar übertroffen. Narasimhan kann mit seiner Leistung beim Schweizer SMI-Unternehmen mehr als zufrieden sein.

Zugleich gibt es Stimmen aus dem Inneren und dem nahen Umfeld des Konzerns, die sich zunehmend fragen, wie weit sich sein Chef mit der Schweiz noch verbunden fühle. Namentlich genannt wollen diese Personen nicht werden, aber sie weisen darauf hin, dass Narasimhan in der Schweiz anders als noch vor wenigen Jahren kaum mehr in der Öffentlichkeit auftrete. Zudem werde die Kommunikation des Unternehmens neu fast nur noch von den USA aus bestimmt. Novartis werde unter Narasimhan immer stärker zu einem amerikanischen Konzern umgebaut, sagen die Insider.

Kultstatus bei jüngeren Angestellten

Narasimhan hat im Februar 2018, im damals für einen CEO noch jungen Alter von 42 Jahren, die Konzernführung bei Novartis übernommen. Der Amerikaner sorgte am Basler Konzernsitz früh für Aufsehen.

Mit seiner Ankündigung, eine Strategie namens «unbossed» einzuführen und damit in der traditionell hierarchisch geführten Pharmagruppe jedem einzelnen Mitarbeitenden mehr Verantwortung zu verleihen, weckte er hohe Erwartungen. «Da ist einer gekommen, der endlich verkrustete Strukturen beseitigt», sagten sich viele.

Es ging nicht lange, und Narasimhan erlangte beinahe Kultstatus vor allem unter jüngeren Angehörigen der Belegschaft. Der sei richtig «cool», schwärmten manche Mitarbeitende. Auf den Finanzmarkt sprang der Funken der Begeisterung damals aber nicht über. Dafür waren die Geschäftszahlen in den ersten Amtsjahren des neuen Konzernchefs zu mittelmässig.

Star auf Linkedin

Doch in den sozialen Netzwerken, namentlich auf Linkedin, punktete Narasimhan mit seinen neuen Ideen. Fasziniert verfolgten Tausende Follower die Posts, die er zusammen mit seinem Kommunikationsteam zum Thema «unbossed» verfasste. Heute folgen ihm über 380 000 Nutzer.

Während der Pandemie war der Manager in seiner Funktion als ehemaliger Arzt und einstiger Chef der Entwicklungsabteilung von Novartis ebenfalls eine vielbeachtete Stimme. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es der Konzern anders als sein Lokalrivale Roche oder Pfizer nicht schaffte, mit seinen Medikamenten einen massgeblichen Beitrag zur Behandlung von Covid-19 zu leisten. Versuche, ältere Therapien aus dem Fundus der Firma in der Virusbekämpfung einzusetzen, scheiterten an der mangelnden Wirksamkeit.

Narasimhan, verheiratet und Vater von zwei Teenagern, teilt neben Beruflichem hin und wieder auch Privates in den sozialen Netzwerken.

Im Schweizer Leibchen

Diesen Sommer, am 1. August, postete der Novartis-Chef auf Linkedin ein Bild von sich und seiner Familie. Ins Auge stechen die rot-weissen Leibchen mit Schweizerkreuz, die alle vier Familienmitglieder tragen. Dazu schrieb Narasimhan: «Die Schweiz ist nicht nur der Hauptsitz von Novartis, es ist unser Zuhause.»

Mehrere Quellen, die mit der Kommunikationsstrategie von Novartis eng vertraut sind und mit denen die NZZ gesprochen hat, zeigen sich erstaunt darüber: Denn Narasimhans Zuneigung zur Schweiz halte sich, sagen sie, in engen Grenzen. Manche vertreten sogar die Ansicht, er habe mit dem Land abgeschlossen.

Keine Lust mehr auf Bilanzmedienkonferenzen

Tatsächlich scheint Narasimhan mit der Schweiz und vor allem mit ihren Medien nie richtig warmgeworden zu sein. Die Schweizer Presse sei viel zu kritisch und würdige seine Leistungen nicht ausreichend, soll er sich gegenüber seinem Kommunikationsteam immer wieder beklagt haben.

Inzwischen hat der Ärger darüber offenbar ein derartiges Ausmass erreicht, dass Narasimhan nicht einmal mehr bei der Präsentation der Jahreszahlen zu den Medien spricht. Wie schon länger beim Semesterergebnis überliess er im Januar diese Aufgabe Harry Kirsch, einem deutsch-schweizerischen Doppelbürger, der als Finanzchef im Management von Novartis aber nur die Nummer zwei ist.

Frühere Berater baten Narasimhan inständig, den einen Auftritt pro Jahr im Rahmen der Bilanzmedienkonferenz nicht auszulassen. Dies sei er der Schweizer Öffentlichkeit schuldig. Doch seitdem mit Michelle Weese eine Amerikanerin die Gesamtverantwortung in der Kommunikation übernommen hat, scheint sich der Novartis-Chef selbst dazu nicht mehr verpflichtet zu fühlen.

Weese, die der erweiterten Konzernleitung angehört, arbeitet von den USA aus. Insider berichten, sie sei derzeit damit beschäftigt, fast die gesamte Kommunikationsabteilung von Basel an die Novartis-Niederlassung in East Hanover im Gliedstaat New Jersey zu verlagern. Auch langjährige bisherige Mitarbeitende müssten sich allesamt neu bewerben, weil die Abteilung zugleich deutlich verkleinert werden solle. Von der NZZ auf diese Schilderungen angesprochen, bestätigte ein Sprecher des Unternehmens lediglich, dass die Kommunikationsabteilung reorganisiert werde. Weiter will sich das Unternehmen nicht äussern.

Aufschrei wegen Spitzenlohn

In Amerika scheint sich Narasimhan in der Öffentlichkeit weniger kritischen Fragen ausgesetzt zu fühlen. Dabei dürfte auch die Diskussion um seinen Lohn eine wichtige Rolle spielen. Anfang dieses Jahres provozierte Narasimhan mit den 16,2 Millionen Franken, die er für 2023 erhielt, einen Aufschrei. Kein anderer Manager in der Schweiz verdiente mehr. In den Vereinigten Staaten jedoch sind solche Gehälter für Spitzenkräfte gang und gäbe, erst recht in der finanzkräftigen Pharmabranche.

Angesichts der Entfremdung zwischen Narasimhan und dem Schweizer Umfeld stellen sich Marktbeobachter die Frage, wie lange der Novartis-Chef noch Lust habe, den Konzern zu führen. Wie viele erfahrene Manager, meint einer, könnte auch Narasimhan sich sagen, am besten gehe man dann, wenn es an der Börse rundlaufe.

Novartis dürfte zumindest noch den Antritt des designierten neuen Verwaltungsratspräsidenten Giovanni Caforio im nächsten Frühjahr abwarten. Normalerweise besetzen Unternehmen das Präsidium und den Posten des Konzernchefs nicht auf einmal neu, sondern gehen lieber gestaffelt vor. Und bis auf weiteres könnte Narasimhan auch der sportliche Erfolg seines älteren Sohns in der Schweiz halten. Der Junior hat nämlich, wie der Novartis-Chef in seinem Post zum Bundesfeiertag ebenfalls kundtat, im Basketball den Sprung in die Schweizer Nationalmannschaft der U 18 geschafft.

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