Sonntag, November 17

Die Nachrüstung von zwei Lärmschutzwänden zeigt Chancen und Risiken der Nutzung von öffentlichen Infrastrukturen durch Dritte.

Am einfachsten ist die Produktion von Sonnenstrom auf Dachflächen. Solarpanels, die im Freien aufgestellt werden, lösen oft Widerspruch aus, ob in den Alpen oder im Mittelland. Eine dritte Möglichkeit ist es, vorhandene Infrastrukturbauten dafür zu nutzen.

Dazu zählen auch Verkehrsanlagen. Der Bund schätzt das Potenzial der Lärmschutzwände entlang seiner eigenen Verkehrswege auf mehr als 100 Gigawattstunden im Jahr; etwa 55 GWh entfallen auf die Nationalstrassen, etwas weniger auf Bahnstrecken. Dazu kommen noch nutzbare Flächen auf Perrondächern und Bahnhöfen oder auf Raststätten und über Parkplätzen.

Einen Teil der Lärmschutzwände wie Galerien und Portale will das Bundesamt für Strassen (Astra) selber nutzen und tut dies teilweise bereits. Aus rechtlichen Gründen darf es den produzierten Strom jedoch nur für den Eigenbedarf verwenden, etwa für den technischen Betrieb eines Tunnels.

Das ist nicht überall möglich. Vor einem Jahr schrieb das Astra deshalb 350 Lärmschutzwände in der ganzen Schweiz öffentlich aus, die es Dritten kostenlos für die Gewinnung von Solarstrom zur Verfügung stellt. Zwei Anlagen für Photovoltaik (PV) sind nun an der Oberlandautobahn (A 15) bei Wangen-Brüttisellen bewilligt worden.

Es handelt sich schweizweit um die ersten Solaranlagen, die im Rahmen dieses Programms von Privaten erstellt werden, wie das Astra auf Anfrage der NZZ bestätigt. Betreiberin ist die Lima Solar AG in Wil (SG). Sie hat in der Vergabe den Zuschlag für die Lärmschutzwände in den Kantonen Zürich und Schaffhausen erhalten.

Panels ohne Blendwirkung gefragt

Lima Solar arbeitet in einem Konsortium mit Partnern aus dem Ausland zusammen. Beteiligt sind das Austrian Institute of Technology in Wien, die auf grosse PV-Anlagen spezialisierte Focus Energie in Freiburg im Breisgau und die Zindel-Gruppe in Chur, die über Erfahrung mit Baustellen an Autobahnen verfügt.

Letzteres ist wichtig für den Zugang zu den Installationsplätzen. «Spontan kann man eine Lärmschutzwand an der Autobahn nicht besichtigen», sagt Dieter Max Schenk, Inhaber von Lima Solar, gegenüber der NZZ. Begehungen und Vorabklärungen müssten aus Sicherheitsgründen detailliert mit dem Astra organisiert werden.

Auch später im Betrieb hat die Verkehrssicherheit oberste Priorität. Insbesondere dürfen Fahrzeuglenker nicht geblendet werden. Laut Schenk war für die Anlage an der A 15 allein zu dieser Frage ein Gutachten nötig, das 85 Seiten umfasste.

Es galt also, die passenden Panels zu finden. Erst im zweiten Anlauf habe man solche zu einem wirtschaftlich vertretbaren Preis gefunden, sagt Schenk. In dieser Hinsicht entschärfe sich die Situation jedoch. Die Nachfrage nach blendarmen Solarmodulen steige, etwa für grossflächige Anlagen an Flughäfen. Deshalb würden die Preise sinken.

Jede Lärmschutzwand ist anders, was die Nachrüstung mit Photovoltaik komplex und aufwendig macht. Ausserdem war mit dem Astra zuerst ein detaillierter Projektablauf festzulegen, von den Vorabklärungen bis zur Abnahme. Das habe zu einer Verzögerung geführt, obwohl die Zusammenarbeit mit dem Astra gut gewesen sei, sagt Schenk.

Der Vorteil sei, dass der Ablauf nun für alle weiteren PV-Anlagen von Dritten an Schweizer Nationalstrassen geklärt sei. Entscheidend ist die Bewilligung des Astra. Der Kanton ist ebenfalls involviert, danach kann die Standortgemeinde relativ rasch die Bewilligung erteilen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, den Strom von der Lärmschutzwand wegzuleiten und zu vermarkten. Damit will das Astra nichts zu tun haben. Technisch ist das bei den ersten Anlagen relativ einfach, da Wangen-Brüttisellen gut erschlossen ist, was innerhalb von maximal 500 Metern einen Anschluss ans Netz erlaubt.

Der Verkauf birgt Probleme, solange die Strompreise stark variieren. Laut Schenk laufen dazu noch Abklärungen. Lima Solar bietet den Strom Betrieben in der Nähe an. Dabei strebe man an, einen Fixpreis für fünf Jahre zu vereinbaren.

Bis zu fünfzig weitere Anlagen

«Die ganze Sache ist ziemlich emotionslos»», stellt Dieter Max Schenk fest. Man benutze eine bereits vorhandene Infrastruktur, das sei ganz einfach sinnvoll. Die beiden Anlagen in Wangen-Brüttisellen sollen im ersten Halbjahr 2025 realisiert werden, Ausführungsplanung und Ausschreibungen laufen bereits.

Sie werden im Jahr gut 500 000 Kilowattstunden Strom liefern, das entspricht einer halben GWh. Vor allem sei nun klar, wie der Ablauf funktioniere, die Lima Solar AG könne nun in das Team investieren, sagt ihr Inhaber. Denn in den Kantonen Zürich und Schaffhausen hat es gegen fünfzig weitere Lärmschutzwände, die sie bestücken darf.

Mit Solaranlagen an Verkehrsinfrastrukturen hat sich vor kurzem der Regierungsrat befasst, als er Anfragen aus dem Kantonsrat zum Thema beantwortete. Während bei Nationalstrassen und Bahnstrecken der Bund federführend ist, ist der Kanton für die Staatsstrassen zuständig.

Auch hier bieten sogenannte Kunstbauten – neben Lärmschutzwänden auch Stützmauern, Brücken und Böschungen – Chancen und Risiken. Abklärungen durch ein externes Büro im Auftrag des Kantons ergaben unter anderem, dass Solaranlagen an bestehenden Infrastrukturen als standortgebunden betrachtet werden können und damit grundsätzlich bewilligungsfähig sind.

Eine Mitfinanzierung aus dem Strassenfonds ist hingegen ausgeschlossen. In einer Studie der Fachhochschule ZHAW von 2023 wird das Potenzial entlang der Staatsstrassen (ohne Parkplätze) auf 29 GWh im Jahr beziffert. Das ist nur ein kleiner Bruchteil der Strommenge, die auf Dächern und an Fassaden erzeugt werden kann.

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