Trotz Immobilienkrise, Konsumflaute und hoch verschuldeter Lokalregierungen wuchs Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr um fünf Prozent – melden Pekings Statistiker. Doch können die Zahlen stimmen?
Chinas Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um fünf Prozent gewachsen und erreichte damit exakt das Wachstumsziel, das Chinas Regierung an der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses im März vorgegeben hatte. Im Jahr 2023 hatte der Zuwachs des Bruttoinlandproduktes bei 5,2 Prozent gelegen.
Vor allem die Stimulus-Massnahmen der Regierung im Schlussquartal 2024 und kräftige Exporte hätten für eine Belebung der Konjunktur gesorgt, erklärten Chinas Statistiker an einer Medienkonferenz am Freitag. Während der ersten neun Monate des vergangenen Jahres betrug der Zuwachs des Bruttoinlandproduktes 4,8 Prozent.
Die Investitionen in Infrastruktur und im verarbeitenden Gewerbe seien 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 3,2 Prozent gestiegen, meldeten die Statistiker. Die Umsätze im Detailhandel kletterten nach offiziellen Angaben im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent.
Zweifel an den offiziellen Zahlen
Doch es gibt Experten, die Zweifel an den offiziellen Zahlen anmelden. Ein Team der New Yorker Rhodium Group unter der Leitung der renommierten Ökonomen Daniel Rosen und Logan Wright hat eigene Berechnungen zur Entwicklung der Wirtschaft zwischen Januar und November 2024 angestellt. Demnach könne China für das Gesamtjahr 2024 mit einem Zuwachs des Bruttoinlandprodukts zwischen 2,4 und 2,8 Prozent rechnen.
Die Ökonomen beginnen ihre Überlegungen mit einer so einfachen wie wichtigen Frage: Warum unternimmt die Regierung auf einmal derart grosse Anstrengungen, um die Wirtschaft auf Touren zu bringen, wenn die Entwicklung doch nach Plan verläuft?
Ein Feuerwerk an Stimulus-Massnahmen
Seit September haben die Machthaber in Peking in kurzen Abständen ein regelrechtes Feuerwerk an Stimulus-Massnahmen abgebrannt. Die Zentralbank senkte massiv die Zinsen, die Regierung erhöhte die Staatsausgaben und legte ausserdem ein 1,4 Billionen Yuan schweres Programm zur Refinanzierung der Schulden der Lokalregierungen auf.
Darüber hinaus schufen die Behörden Fonds zur Stützung der Börsen und der Banken. Die Zentralbank änderte ihren Kurs für die Geldpolitik zu «angemessen locker». Zuletzt hatten Chinas Währungshüter dies während der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 getan.
«Keine Regierung ändert ihre Wirtschaftspolitik derart, wenn sich das Wachstum nur leicht von 5,2 Prozent auf 4,8 Prozent abschwächt», resümieren die Rhodium-Experten. Während der ersten drei Quartale des vergangenen Jahres wuchs Chinas Wirtschaft um 4,8 Prozent, im Gesamtjahr 2023 um 5,2 Prozent.
Das Nominalwachstum ist rückläufig
Ein Blick auf das nominale Wirtschaftswachstum, das Preiseffekte unberücksichtigt lässt, zeigt, dass Chinas Konjunktur sich im Abschwung befindet. Im vergangenen Jahr betrug das Nominalwachstum 4,1 Prozent; angepeilt waren 7,4 Prozent. Im Jahr zuvor lag das nominale Wirtschaftswachstum bei 4,6 Prozent. Als Zielmarke hatte Peking 6,9 Prozent ausgegeben.
Der Grund dafür, dass China seine Ziele verfehlt hat, sind die fallenden Preise. Manche Ökonomen gehen davon, dass China bereits in einer deflationären Abwärtsspirale gefangen steckt.
Auch an anderer Stelle wirft das offizielle Zahlenwerk der chinesischen Regierung Fragen auf. Nach offiziellen Angaben stiegen die Investitionen in Infrastruktur, meist finanziert von den lokalen Regierungen, zwischen Januar und November im Jahresvergleich um 4,2 Prozent. Dies passt allerdings nicht zu anderen Daten.
So fiel die Zementproduktion zwischen Januar und November im Jahresvergleich um 10,1 Prozent, und die Auslastung der Asphalt-Fabriken schrumpfte im vergangenen Jahr in jedem Monat. Der Dieselverbrauch brach 2024 regelrecht ein.
Kein Geld für Investitionen
In der Vergangenheit sorgte vor allem der boomende Immobiliensektor für kräftige Zuwächse bei den Investitionen. Doch seit dem Platzen der Blase vor drei Jahren startet kaum noch ein Immobilienentwickler neue Projekte. Die Investitionen im Immobiliensektor fielen im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 10,6 Prozent.
Die meisten Provinzen und Städte blicken auf leere Kassen. Unter anderem die hohen Kosten der Null-Covid-Politik haben dazu geführt, dass die Lokalregierungen bis über die Halskrause verschuldet sind. Geld für Investitionen in Infrastruktur können die lokalen Behörden nicht mehr haben.
«Da selbst die Regierung einräumt, dass auch die Investitionen des Privatsektors rückläufig sind, ist schwer verständlich, was zu dem Wachstum der Investitionen geführt haben kann», schreiben die Rhodium-Experten.
Verbrauchervertrauen auf Allzeit-Tief
Zweifel sind auch an den offiziellen Zahlen zum Konsum der Privathaushalte angebracht. So stiegen die Verbraucherpreise im November bloss um 0,2 Prozent; im Dezember lediglich noch um 0,1 Prozent. Die Umsätze auf den grossen E-Commerce-Plattformen stagnierten oder fielen im vergangenen Jahr. Der Index für das Verbrauchervertrauen der staatlichen chinesischen Statistiker befindet sich auf einem Allzeit-Tief.
Auch die Geschäfte deutscher Firmen in China wollen nicht so recht den Jubelmeldungen der Regierung folgen. «Viele deutsche Unternehmen in China mussten ihre Erwartungen für 2024 nach unten korrigieren», sagt Oliver Oehms, Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Nordchina.
Die Mehrheit der Unternehmen schätze die Lage der chinesischen Wirtschaft im Vergleich zum Vorjahr schlechter ein, sagt Oehms und fügt hinzu:«Die Stimmung unter deutschen Unternehmen war 2024 wesentlich trüber, als die Wachstumszahlen vermuten lassen.»
Trübe Aussichten für 2025
An der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses Anfang März will die Regierung beschliessen, dass die Wirtschaft im laufenden Jahr um fünf Prozent zu wachsen habe.
Experten halten das Ziel für unrealistisch. Die Ökonomen der Rhodium Group gehen für 2025 von einem Wachstum zwischen 3,0 und 4,5 Prozent aus, getrieben vor allem von staatlichen Hilfsprogrammen. Die China-Analysten der UBS in Hongkong rechnen mit einem Zuwachs des Bruttoinlandproduktes von vier Prozent.
Bremsend dürfte sich im laufenden Jahr der fortgesetzte Abschwung am Immobilienmarkt auswirken. Die Preise für Häuser und Wohnungen sowie die Zahl der Neubauprojekte würden 2025 um rund zehn Prozent schrumpfen, prognostizieren die Ökonomen der UBS.
Weitaus stärker könnten sich zudem die zu erwartenden Zölle der neuen US-Regierung auswirken. Bei der UBS geht man davon aus, dass der designierte Präsident Donald Trump 75 Prozent aller chinesischen Ausfuhren in die USA mit einem Zollsatz von 60 Prozent belegen wird. Dann, folgern die UBS-Ökonomen, müsse China weitere Massnahmen zur Belebung der Konjunktur ergreifen.