Freitag, Oktober 25

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind inzwischen bald drei Jahre in der Schweiz. Und ein Ende des Krieges ist nicht abzusehen. In den Kantonen wächst der Unmut – und der Frust über den Bund.

Die Ukraine muss sich nun schon auf den dritten Kriegswinter einstellen. Die Lage ist in diesem Jahr besonders hart: Militärisch befindet sich das Land noch stärker in der Defensive als vor einem Jahr, als Hoffnungen auf die Frühjahrsoffensive bestanden. Und weil ein grosser Teil der Energieinfrastruktur zerstört wird, ist die Bevölkerung auch weit abseits der Frontlinie immer stärker betroffen, selbst wenn keine Bomben einschlagen.

Dahinter steckt durchaus Kalkül von Putin: Je mehr Leute das Land verzweifelt Richtung Westen verlassen, desto stärker kippt dort die ukrainefreundliche Stimmung. Genau diese Entwicklung ist derzeit in der Schweiz zu beobachten. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates behandelt diese Woche gleich zwei Vorstösse, die das Ziel haben, den Schutzstatus S anzupassen oder einzuschränken. Der Bundesrat hatte den Status S für Flüchtende aus der Ukraine kurz nach dem Angriff Russlands aktiviert – zum ersten Mal seit er 1998 als Reaktion auf die Balkankriege eingeführt wurde.

Nur 28 Prozent sind erwerbstätig

Seither wurde er zwei Mal verlängert, zum letzten Mal am 4. September. Eine Stabilisierung in der Ukraine sei nicht absehbar, argumentierte der Bundesrat damals. Doch für Kantone und Gemeinden ist der inzwischen mehrjährige Aufenthalt vieler Flüchtender eine Belastung. Nicht zuletzt auch, weil die Zahl der übrigen Asylsuchenden gleichzeitig noch immer hoch ist. Nur ein kleiner Teil der Ukrainerinnen und Ukrainer ist in ihre Heimat zurückgekehrt, während der Bund auch für das laufende Jahr mit 15 000 bis 20 000 neuen Anträgen aus dem Land rechnet.

Gegenwärtig leben über 66 000 Personen mit Status S in der Schweiz. Gut 40 000 von ihnen sind zwischen 18 und 64 Jahre alt und befinden sich damit im erwerbsfähigen Alter. Doch nur etwa 28 Prozent oder 11 500 Personen haben auch wirklich eine Arbeit. In gewissen Kantonen liegt die Erwerbstätigkeit sogar deutlich unter 15 Prozent, wie aus der aktuellen Asylstatistik hervorgeht.

Der Ständerat hat deshalb im Sommer eine Motion der St. Galler SVP-Ständerätin Esther Friedli angenommen, die den Schutzbereich gegenüber heute deutlich einschränken soll. Sie verlangt, dass der Bundesrat den Status S in Zukunft auf Personen beschränken soll, die ihren letzten Wohnsitz in von Russland besetzten oder in umkämpften Gebieten haben.

Jans wehrte sich vergeblich

In ihrem Kanton stosse die Solidarität an Grenzen und die Infrastruktur sei belastet, sagte Friedli im Sommer im Ständerat. Sie verwies auf einen im St. Galler Kantonsrat angenommenen Vorstoss für die komplette Aufhebung des Status S. «Es braucht jetzt eine Fokussierung auf die Personen, die wirklich schutzbedürftig sind», sagte Friedli. Bundesrat Jans wehrte sich in der kleinen Kammer gegen die Annahme der Motion – vergeblich.

Seine Parteikollegin Samira Marti will deshalb unbedingt verhindern, dass der Nationalrat Friedlis Vorstoss ebenfalls unterstützt. Die Kriegsaktivitäten seien im Moment wieder so intensiv wie seit langem nicht mehr und beträfen die gesamte Ukraine, meint sie. Russland würde ein Nachlassen der Solidarität mit der Ukraine als Erfolg verbuchen. Ausserdem widerspreche dies dem Kurs des Bundesrates in der Ukraine-Politik, sich mit den übrigen europäischen Staaten abzustimmen. Am Donnerstag behandelt die Staatspolitische Kommission den Vorstoss.

Tatsächlich hatte der Bundesrat im September mit der Einbettung der Schweiz in den Schengenraum argumentiert. Die EU-Staaten hatten den temporären Schutz für Ukraine-Flüchtende im Sommer bis zum März 2026 verlängert. Einzig das Nicht-EU-Land Norwegen ist kürzlich von dieser Politik etwas abgerückt und will Gesuche von Personen aus dem Westen der Ukraine nicht mehr pauschal akzeptieren.

Fraglich ist allerdings, welche Folge die Aberkennung des Schutzstatus für Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz, die aus nicht vom Krieg betroffenen Regionen stammen, überhaupt hätte. Die meisten von ihnen würden wohl nicht einfach zurückreisen, sondern ein Asylgesuch stellen. Kurzfristig würde dies die Asylinfrastruktur eher zusätzlich be- statt entlasten.

In den Kantonen ist der Unmut gross

Und selbst wenn die meisten Asylgesuche schliesslich negativ beantwortet würden, müsste die Schweiz anschliessend Wegweisungen durchführen – als einziges Land in Europa. Sie täte sich damit imagemässig kaum einen Gefallen, nachdem sie schon bei der Weitergabe von Waffen und Munition keine besonders glückliche Figur machte.

In den Kantonen ist der Unmut über Bern allerdings teilweise gross. Während der Bund temporäre Bundesasylzentren (BAZ) schliessen kann, ändert sich für die Kantone trotz den zurückgehenden Asylzahlen in Europa praktisch nichts. Für sie bleibt die Lage angespannt – nicht zuletzt wegen der Dauerbelastung infolge des Ukraine-Krieges.

Die Kantone Aargau und Luzern beispielsweise halten die Asylnotlage immer noch aufrecht, weil zu wenig Plätze vorhanden sind. Luzern müsse zurzeit 120 Schutzsuchende aus der Ukraine beherbergen, die seit über vier Monaten auf einen Entscheid des SEM über ihr Schutzstatusgesuch warteten, erklärt das Gesundheits- und Sozialdepartement gegenüber der NZZ. Der Kanton verlangt, dass solche Personen in Zukunft in einem BAZ untergebracht werden, bis der Entscheid über den Status vorliegt.

Während der Bund bei seinem Ukraine-Kurs die Einbettung in die europäische Politik im Auge hat, sind die Kantone stärker auf die Probleme auf ihrem Gebiet fokussiert. Es ist deshalb kein Zufall, dass auch der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth auf eine Änderungen beim Schutzstatus S drängt. Würth war bis 2020 Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen und kennt die Gefühlslage im Land bestens. Auch er stellt fest, dass die Akzeptanz des Schutzstatus S abnimmt.

Ukrainer sollen nicht mehr zurückreisen dürfen

Seine Motion, die im Sommer vom Ständerat mit 29 zu 11 Stimmen ebenfalls deutlich angenommen wurde, verlangt Anpassungen, um Missbräuchen entgegenzuwirken. Dies vor allem, um zu verhindern, dass Schutzbedürftige zwischen der Ukraine und der Schweiz hin- und herreisen. Würth verlangt, dass der Schutzstatus S aberkannt wird, wenn eine Person die Schweiz für längere Zeit verlässt – beispielsweise während mehr als 14 Tagen.

Kommt es dazu, soll der Schutzstatus zu einem späteren Zeitpunkt auch nicht wiedererlangt werden können. Das Volk verstehe nicht, «dass Ukrainer den Schutzstatus S beanspruchen, aber dennoch kreuz und quer in Europa und eben auch zurück in die Ukraine reisen» könnten. Auch wer Rückkehrhilfe beansprucht oder in einem anderen Land des Dublin-Raums Schutz erhalten hat, soll den Status S nicht mehr erhalten. Würths Vorstoss wird nun ebenfalls von der SPK behandelt.

Der Bundesrat ist dagegen der Ansicht, dass die Forderungen von Würth im Gesetz schon heute vorgesehen seien: Das SEM könne den Schutzstatus S aberkennen, wenn sich die betroffenen Personen wiederholt im Ausland aufhielten. Wer in EU- oder Efta-Staaten Schutz erhalten habe, bekomme ihn in der Schweiz nicht. Laut dem SEM wurde der Schutzstatus bis im September in bisher insgesamt 2500 Fällen verweigert und ist in 100 Fällen widerrufen worden.

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