Sonntag, Oktober 6

Das Interesse Deutschlands an Bodenschätzen auf dem Balkan und der Verkauf von französischen Waffen an Serbien sind kein Ersatz für die EU-Integration. Sie wird jetzt schleichend ersetzt.

Belgrad begrüsste Präsident Macron mit Salutschüssen. Die ganze Stadt, so berichtet der Sonderkorrespondent von «Le Monde», sei in die französischen Farben getaucht. So weit das Auge reicht: blau-weiss-rot, wie die serbische Trikolore – und wie die russische Flagge.

Darum vor allem, um die geopolitische Stellung Serbiens, ging es dem französischen Präsidenten bei dem zweitägigen Besuch. Denn die französische Diplomatie ist überzeugt: Mit dem jetzt besiegelten Kauf von zwölf Rafale-Kampfflugzeugen macht Serbien einen Schritt weg von Russland und hin zum westlichen Lager. Der Kauf dieser Maschinen für 2,7 Milliarden Euro schafft eine technologische Abhängigkeiten und, so glauben die Franzosen, ist ein Signal. Es zeige einen strategischen Wandel an, sagte Macron.

Die serbische Schaukelpolitik funktioniert

Daran darf man zweifeln. Zwar stimmt es, dass der Rafale-Kauf nicht der einzige Schritt ist, mit dem Serbien seine Verbundenheit mit dem Westen demonstriert. Belgrad hat sämtliche Uno-Resolutionen gegen den russischen Angriffskrieg unterstützt. Es liefert – über Umwege – auch im grossen Stil Munition an die ukrainische Armee.

Aber Vucic hat nicht die Absicht, sich von seinen Freunden in Moskau und Peking abzuwenden. Er wird keine Sanktionen gegen Russland ergreifen. Weiterhin zählt er auch auf die Unterstützung Moskaus und Pekings bei der Nichtanerkennung von Kosovos Staatlichkeit. Die Chinesen haben in Serbien grosse Bergbau- und Stahlwerke übernommen, und sie modernisieren die Verkehrsinfrastruktur. Auch darauf will Vucic nicht verzichten. Der Rafale-Kauf beweist ja eigentlich nur, dass seine Schaukelpolitik funktioniert. Macron lobte öffentlich Vucics «strategischen Mut». Doch dieser besteht darin, sich nicht zwischen den Blöcken zu entscheiden. Weshalb sollte er auch?

Macron wiederholte in Belgrad die Floskeln, die von allen Besuchern aus der EU zu hören sind: Der Platz Serbiens sei in der EU. Das glaubt nicht einmal er selber. Vucic ist auch gar nicht darauf erpicht. Er will keinen funktionierenden Rechtsstaat und keinen demokratischen Machtwechsel. Was ihn interessiert, ist der Anschluss seines Landes an die europäischen Märkte. Mit den Wohlstandsgewinnen unterfüttert er die Akzeptanz seiner Herrschaft. Auf die demokratische Partizipation seiner Bürger kann er verzichten.

Der Westbalkan ist kein Beitrittsgebiet mehr

Aber auch in der EU ändern sich die Dinge. Es zeichnet sich ein neues Integrationsmodell ab. Es folgt keinem Strategiepapier, sondern resultiert aus dem praktischen Umgang mit den Ländern der Region. Wichtige Mitgliedstaaten, so scheint es, betrachten den Westbalkan nicht mehr als Beitrittsgebiet, aus dem eines Tages gleichberechtigte Mitglieder zur Union stossen, sondern als eine Art strategisches Vorgelände. Dort, in den kleinen Ländern, sitzen kleine Fürsten, mit denen man «Deals» machen kann, die zu Hause nicht möglich wären. Drei Beispiele:

  • Deutschland will, dass in einem westserbischen Landwirtschaftsgebiet die Firma Rio Tinto Lithium für seine Autoindustrie abbaut.
  • Dänemark wird in Kosovo ein Gefängnis betreiben, in das es seine ausländischen Verurteilten verschickt.
  • Italien bringt Migranten, die es auf dem Meer aufgreift, nach Albanien, wo die Asylverfahren in einem Lager stattfinden.

Und schliesslich werben EU-Länder jedes Jahr Zehntausende von Fachkräften aus der Region ab, die in diesen Ländern ausgebildet wurden und dem lokalen Arbeitsmarkt fehlen.

Für die Zukunft der Zivilgesellschaft und für die Demokratie in der Region sind das keine guten Aussichten. Ob die Bürgerinnen und Bürger auf dem Westbalkan diesen Trend wenden können, entscheiden die nächsten Jahre. Unterstützung von aussen wird kaum kommen.

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