Dienstag, Oktober 1

Gemeinden, die in den Ausgleichstopf zahlen, können sich künstlich ärmer rechnen, profitierende Kommunen dagegen reicher erscheinen.

Die Jahresrechnungen der 160 Gemeinden im Kanton Zürich werden nach HRM-Regeln erstellt. HRM steht für «harmonisiertes Rechnungslegungsmodell». Es hat zum Ziel, die Gemeinderechnungen vergleichbar zu machen – und es soll Bilanzkosmetik unterbinden.

Jedoch wurden diese Bemühungen vor fünf Jahren torpediert. Zum 1. Januar 2019 führte der Kanton eine Neuerung im Ressourcenausgleich (RAG) ein, die Fehlentwicklungen verursachte, wie sich nun zeigt. Der RAG ist der zentrale Teil des kantonalen Finanzausgleichs: Finanzstarke Gemeinden zahlen in den Ausgleichstopf ein, finanzschwache Gemeinden beziehen Geld daraus.

Das Problem: Seit der Änderung 2019 können Gebergemeinden sich künstlich ärmer rechnen und stille Reserven bilden. Nehmergemeinden wiederum können sich reicher rechnen und so den Druck, sparsam zu wirtschaften, mildern. Diese Fehlentwicklung trat ein, weil die Gemeinden ab 2019 falsche RAG-Zahlungen in ihr Eigenkapital buchen konnten.

Erst Erfolgsrechnungen, dann Eigenkapital verfälscht

Bis 2018 war es sehr einfach und klar: Die RAG-Zahlungen beruhten auf den jeweils zwei Jahre zurückliegenden Steuerdaten aller Gemeinden, und diese Zahlungen galten als Ertrag bzw. Aufwand. Das Gemeindeergebnis war damit nie ganz korrekt, denn der aus einem Jahresergebnis resultierende RAG wurde erst im übernächsten Jahr vollständig abgerechnet.

Manche Gemeinden wollten deshalb beim Ressourcenausgleich die aktuellen Steuerdaten berücksichtigen. In der Fachsprache heisst das «periodengerechte Abgrenzung des RAG». Diese wurde per 2019 allen Gemeinden zur Pflicht gemacht. Betroffen waren jedoch nur die Erfolgsrechnungen. Die Zahlungen sollten, wie bisher, auf zwei Jahre zurückliegenden Steuerdaten basieren. An der Aufgabe, das richtig zu buchen, scheiterte das kantonale Gemeindeamt, das zur Justizdirektion von Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) gehört, zweimal grandios.

Beim ersten Versuch ordnete das Gemeindeamt unerklärlicherweise an, die Abgrenzungen eines Jahres jeweils nach zwei Jahren wieder rückgängig zu machen. «Auflösen der Abgrenzung» nannte man das. Das ergab jedoch falsche Erfolgsrechnungen, wie bei Budgetierungen des Jahres 2019 ans Licht kam.

Regierungsrätin Fehr machte einen Fehler des Gesetzgebers für den von ihr in der NZZ so bezeichneten «Schlamassel mit Ansage» verantwortlich. Dies, ohne zu merken, dass in Wahrheit «ihr» Gemeindeamt durch die absurde «Auflösung der Abgrenzung» am Anfang des Problems stand.

Das Amt hatte mittlerweile auch bemerkt, dass beim RAG etwas nicht stimmte. Unter dem Namen «Vollmodell» erfand man ein zweites, völlig anderes Verfahren. Das Kantonsparlament hob ausserdem die Pflicht zur Abgrenzung auf.

Über der Freude, das Differenzmodell vom Tisch zu haben, sah fast niemand den neuen Fehler des Gemeindeamtes: Das Vollmodell liefert jetzt zwar korrekte Erfolgsrechnungen – jedoch falsche Bilanzwerte für das Eigenkapital.

Eine Gebergemeinde, die ab 2019 abgrenzen wollte, musste das Jahr 2019 mit den drei (!) RAG-Zahlungen 2019, 2020 und 2021 belasten. Eine wäre richtig gewesen, nämlich die Zahlung 2021, die der abgegrenzte RAG-Aufwand im Jahr 2019 ist. 2019 zusätzlich mit den Zahlungen 2019 und 2020 zu belasten, rechtfertigte das Gemeindeamt mit der nicht weiter begründeten Behauptung, die Jahre 2017/2018 seien nachträglich abzugrenzen. Das ist Unsinn. 2017/2018 wurden in ihren Jahresrechnungen unabgegrenzt gebucht, und das Gesetz bestimmt, ein Jahr entweder nicht abzugrenzen oder abzugrenzen. Es erlaubt nicht, beides zu tun.

Direktion verkennt das Problem

Auf den Fehler des Vollmodells hingewiesen, befasste sich das Generalsekretariat der Direktion der Justiz und des Innern mit der Problematik. In seiner Antwort schrieb es, eine Gebergemeinde, die abgrenzen wolle, sei «folglich angehalten, in der Eingangsbilanz 2019 Rückstellungen in der Höhe der voraussichtlichen Finanzausgleichszahlungen für die Jahre 2019 und 2020 zu bilden». Das Kausaladverb «folglich» täuscht eine Begründung vor, die nirgends gegeben wird.

Alle, die sich angesichts der Begriffsstutzigkeit in der Direktion der Justiz und des Innern die Haare rauften, beruhigte dessen Generalsekretariat mit der Weisheit: «Da die Rechnungslegung nicht den exakten Wissenschaften zuzuordnen ist, besteht ein gewisser Diskussionsspielraum für eine geeignete Lösung.»

Damit zeigt das Generalsekretariat ein bemerkenswertes Verständnis nicht exakter Wissenschaften wie der Justiz. Dort kann offenbar Schwarz auch einmal Weiss bedeuten, wenn das «geeignet» erscheint. So lange bleibt das Problem bestehen, dass die abgrenzenden Gemeinden im Kanton ihre Rechnungen mit falschen RAG-Zahlungen «frisieren» können. Es ist ein Missstand, der den HRM-Grundsätzen zuwiderläuft.

Günther Gose ist promovierter Mathematiker. Er arbeitete für die Allianz-Lebensversicherung in Stuttgart, unter anderem als Vorstandsmitglied, sowie ab 1990 für die Zürich-Versicherung, wo er von 1998 bis zu seiner Pensionierung 2002 als Finanzchef tätig war. Gose lebt in Herrliberg.

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