Die Ukraine lehnt Putins Angebot einer dreitägigen Waffenruhe um den Tag des Sieges am 9. Mai ab. Das Kriegsgeschehen gibt keinen Anlass, an einen russischen Friedenswillen zu glauben.

Wenige Tage vor der Waffenruhe, die Russland vom 8. bis 10. Mai einseitig angekündigt hat, ist in der Ukraine von einem möglichen Ruhen der Waffen nichts zu sehen. In der Nacht auf Sonntag griff die russische Armee laut ukrainischen Quellen erneut mit insgesamt 165 Drohnen Ziele im ganzen Land an.

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In der Hauptstadt Kiew kam es zu Verletzten. In der Stadt Tscherkasi am Dnipro fing ein Wohnheim Feuer. Auch aus Mikolajiw im Süden und Charkiw im Nordosten wurden Angriffe gemeldet.

«Zynismus auf höchster Ebene»

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nannte angesichts dieser Angriffe das russische Waffenstillstandsangebot «Zynismus auf höchster Ebene». Russland habe allein in der vergangenen Woche unter anderem 1180 Angriffsdrohnen und 1360 Marschflugkörper gegen die Ukraine eingesetzt.

Bereits am Samstagabend hatte Selenski erklärt, dass sich die Ukraine nicht an den Waffenstillstand halten werde. Dieser sei eine «theatralische Inszenierung» für die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges, welche die Verhandlungen für einen andauernden Frieden nicht voranbringe. Zu einem bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand, wie ihn auch die USA vorschlagen, sei die Ukraine aber jederzeit bereit.

Russland begeht am 9. Mai den 80. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland. Zum runden Jubiläum des auch in gewöhnlichen Jahren wichtigen Feiertags reisen ausländische Gäste wie der chinesische Staats- und Parteipräsident Xi Jinping an.

Obwohl einige der Eingeladenen, wie Indiens Premierminister Narendra Modi, ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt haben oder, wie Serbiens Präsident Aleksandar Vucic, darüber nachzudenken scheinen, sind die Feierlichkeiten für Russlands Präsidenten Wladimir Putin eine Gelegenheit, zu demonstrieren, dass sein Land international keineswegs isoliert ist.

Die Waffenruhe dürfte auch das Ziel haben, Sicherheitsbedenken der Gäste zu zerstreuen. Die Ukraine hat mehrmals unter Beweis gestellt, dass sie imstande ist, auch weit hinter der Frontlinie spektakuläre Aktionen durchzuführen. Selenski erklärte am Samstag, er könne für Russlands Gäste keine Sicherheitsgarantien abgeben.

Riesige Verluste

Nicht nur die nächtlichen Terrorangriffe auf ukrainische Städte lassen am russischen Friedenswillen zweifeln. Entlang der gesamten Frontlinie dauern die Kämpfe an. Am grössten ist der Druck auf die ukrainischen Verteidiger zurzeit in der Oblast Donezk, im südlichen Teil des Donbass.

Einerseits toben laut der ukrainischen Plattform livemap.ua Kämpfe in der Gegend von Tschasiw Jar und Torezk. Bisher hat sich die Frontlinie nur geringfügig verschoben, doch nehmen die Russen Kostiantiniwka seit Tagen unter schweren Beschuss. Mit sogenannten First-Person-View-Drohnen werde Jagd auf alles gemacht, das sich in der Stadt bewege, schreibt livemap.ua. Die Stadt Kostiantiniwka und ihr Umland haben grosse logistische Bedeutung für die Armee.

Weiter südlich rücken die Russen bei Pokrowsk unter schweren Verlusten in kleinen Schritten Richtung der Oblast-Grenze vor. Laut einem ukrainischen Armeesprecher in der Region verfolgt die russische Armee aus Propaganda-Gründen das Ziel, bis zum Siegestag am 9. Mai die Grenze zur Oblast Dnipro zu erreichen. Die Eroberung des gesamten Gebiets der vier «annektierten» Regionen Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson stellt ein Minimalziel des Kremls dar.

Russland ist dabei weiterhin bereit, riesige Verluste in Kauf zu nehmen. Laut der amerikanischen Denkfabrik Institute for the Study of War rücken die russischen Angreifer deutlich langsamer vor als im Herbst 2024, erleiden aber nur unwesentlich geringere Verluste. Laut den – nicht überprüfbaren – Angaben der ukrainischen Armee belaufen sich diese auf etwa 1200 Tote und Verletzte pro Tag. Ersetzt werden diese meist durch nur notdürftig ausgebildete neue Soldaten.

Laut mehreren Berichten setzt Russland vermehrt auf Motorräder und andere leichte Fahrzeuge, um seine Soldaten an die Front zu bringen. Die Kleinfahrzeuge bewegen sich in Schwärmen und sollen so für die ukrainischen Drohnen ein schwierigeres Ziel darstellen als gepanzerte Truppentransporter.

Ukrainische Überlegenheit bei Wasserdrohnen

Ihre technologische Innovationsfähigkeit haben die ukrainischen Streitkräfte am Freitag mit einer Premiere unter Beweis gestellt. Laut dem Militärgeheimdienst HUR hat eine «Magura»-Marinedrohne in der Nähe des russischen Schwarzmeerhafens Noworossisk ein russisches Kampfflugzeug des Typs SU-30 im Flug zerstört. Es wäre der erste Abschuss eines Kampfjets von einem unbemannten Boot aus. Die ukrainischen Fähigkeiten in diesem Gebiet waren allerdings bereits bekannt. Bereits im Dezember zerstörte eine Wasserdrohne zwei russische Helikopter.

Unabhängig bestätigen lassen sich die ukrainischen Angaben nicht. Allerdings berichten auch russische Militärblogger über den Verlust des Flugzeugs. Juri Kotenok schreibt auf seinem Telegramm-Kanal, dass der Abschuss zu drei Schlussfolgerungen Anlass gebe: 1. Die Ukraine hat im Schwarzen Meer die Initiative an sich gerissen. 2. Die Kampfkraft der (russischen) Schwarzmeerflotte ist nach dem Verlust mehrerer Schiffe nicht wiederhergestellt. 3. Marinedrohnen, die an jedem beliebigen Punkt im Schwarzen Meer eingesetzt werden können, verleihen der Ukraine einen grossen Vorteil.

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