Donnerstag, November 13

In den spanischen Regionen werden die Rufe nach Unabhängigkeit leiser, doch ganz verschwinden wird der Wunsch nach einer Abspaltung von Madrid nicht. Das hat historische Gründe.

Der Schock sitzt noch immer tief. Vor über drei Monaten wählten die Katalanen ein neues Regionalparlament. Zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren verpasste das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter die absolute Mehrheit.

Mit dem Sozialisten Salvador Illa könnte am Donnerstag seit langem wieder ein Politiker zum Regionalpräsidenten gewählt werden, der gegen die Abspaltung der Region von Spanien ist. Die Zeichen dafür stehen gut. Illa sicherte sich vergangene Woche die Unterstützung der linken Separatistenpartei ERC, deren Mitglieder mehrheitlich für eine Regierungsbildung mit den Sozialisten stimmten.

Sargnagel für den katalanischen Unabhängigkeitstraum?

«Der sogenannte Procès, der ja bereits 2012 seinen Anfang nahm, hat längst seinen Höhepunkt überschritten», erklärt Javier Lorente, Professor für Politikwissenschaften an der Madrider Universität Rey Juan Carlos. Die letzte Wahl habe gezeigt, dass die Euphorie und die Hoffnung der Katalanen nach der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit im Oktober 2017 verflogen seien.

Damals kämpften die drei Separatistenparteien Junts per Catalunya des ehemaligen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, ERC und CUP trotz unterschiedlichen politischen Ausrichtungen gemeinsam für die Unabhängigkeit. Heute beäugen sie sich misstrauisch und bilden keine gemeinsame Front mehr.

Dennoch hatten Kataloniens Separatisten nicht mit einer derart krachenden Wahlniederlage gerechnet. Dies auch, weil linke und konservative Nationalisten bei den Regionalwahlen im Baskenland nur einen Monat zuvor ein historisch gutes Ergebnis erzielt und 54 der 75 Sitze im Abgeordnetenhaus in Vitoria gewonnen hatten. Allerdings war auch dort ein Zusammengehen der ideologisch konträren Formationen undenkbar, weshalb der konservative Partido Nacionalista Vasco (PNV) die bestehende Koalition mit den Sozialisten fortsetzte.

Basken und Katalanen eint vieles, aber nicht alles

Getrennt marschieren, getrennt regieren, scheint das Motto zu sein, dem sich Spaniens Unabhängigkeitsbewegungen verschrieben haben. Dabei ähneln sich die Regionen mehr, als sie es wahrhaben wollen.

Viele Menschen in beiden Regionen sehen ihre Interessen im rigiden spanischen Zentralstaat unzureichend gewahrt. Katalonien und das Baskenland haben beide eine eigene Sprache und sind wirtschaftlich besser entwickelt als der Rest Spaniens, was auf eine ehrgeizige Industrialisierung nach dem Ende des Bürgerkriegs 1939 zurückgeht.

Beide Regionen verfügen über staatliche Institutionen, die sich bereits vor Jahrhunderten herausbildeten. Nach dem Sieg von Francisco Franco im Spanischen Bürgerkrieg und der Errichtung eines national-katholischen Regimes, das erst mit seinem Tod 1975 endete, wurden diese jedoch entrechtet, und Franco zögerte nicht, die baskische und die katalanische Sprache zu verbieten.

Doch auf die Repression während der langen Diktatur reagierten Basken und Katalanen unterschiedlich. Während sich die Proteste in Katalonien meist auf passiven Ungehorsam und Enthaltungen bei Wahlen beschränkten, begann die baskische Untergrundorganisation ETA (Euskadi ta Askatasuna) 1967 ihren bewaffneten Widerstand gegen das Franco-Regime.

Dieser forderte während der Diktatur 45 Todesopfer, doch selbst nach dem Übergang Spaniens zu einer parlamentarischen Demokratie setzte die ETA ihren Kampf für ein unabhängiges Baskenland fort. Ihre Terroraktionen wurden immer blutiger und forderten weitere 785 Menschenleben, unter ihnen Politiker jeglicher Couleur, Journalisten und Polizisten. Der Terror endete erst am 20. Oktober 2011, als die ETA per Videobotschaft den endgültigen Waffenstillstand verkündete und damit den gewaltsamen Unabhängigkeitskampf beendete.

Die Basken verfügten da bereits über Autonomierechte, die ihnen eine weitgehende Selbstverwaltung mit eigener Steuer- und Polizeihoheit ermöglichten. Diese hatte sich das Baskenland bei der Ausarbeitung der spanischen Verfassung 1978 ausbedungen.

Die Katalanen kamen zunächst gut mit dem Zentralstaat aus

Diese Chance verpassten die Katalanen. Denn zu den sieben «Vätern» der neuen Verfassung zählten mit Miquel Roca und Jordi Solé Tura auch zwei Vertreter aus Katalonien. Diese setzten darauf, dass ihre Interessen im neuen demokratischen Spanien stets gewahrt würden. Und in der Tat kamen der Zentralstaat und Katalonien über lange Zeitabschnitte hinweg recht gut miteinander aus.

Das änderte sich erst mit der schweren Wirtschaftskrise 2008. Die Katalanen fühlten sich von Madrid benachteiligt, weil wegen des spanischen Finanzausgleichs zwischen den Regionen Milliarden in strukturschwache Regionen wie Andalusien flossen, während gleichzeitig in Katalonien drastische Sparmassnahmen eingeleitet wurden. «Wir sollen die Schulden der Spanier begleichen und für ein verschwenderisches Fest bezahlen, zu dem wir nie eingeladen waren», so erklärt der katalanische Diplomat Albert Pont mit spürbarer Verbitterung die damalige Stimmung unter den Katalanen.

Der Frust darüber, der vermeintliche Zahlmeister der Nation zu sein, ist in Katalonien jahrhundertealt. Liest man katalanische Geschichtsbücher, mussten die wohlhabenden Katalanen schon seit Jahrhunderten Spanien finanziell unterstützen. Das Übel begann 1714 mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs. Katalonien wurde annektiert und verlor im neuen Einheitsstaat seine Sonderrechte, das Kastilische wurde Amtssprache. Der Tag der Niederlage ist heute katalanischer Nationalfeiertag. Die erlittene Schmach hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Katalanen eingegraben.

Eine Unabhängigkeitsbewegung formierte sich aber erst 2010, als das oberste spanische Gericht in Madrid 14 Artikel aus einem neuen Autonomiestatut für Katalonien strich, das zuvor vom Parlament in Madrid und von den Katalanen in einer Volksabstimmung gutgeheissen worden war. Den Höhepunkt erlebte der Separatismus im Oktober 2017.

Nach einer verfassungswidrigen Abstimmung rief der damalige Regionalpräsident Carles Puigdemont eine unabhängige Republik am Mittelmeer aus. Die Reaktion aus Madrid liess nicht auf sich warten, Puigdemont wurde abgesetzt und flüchtete mit mehreren Getreuen ins belgische Exil.

Abspaltung rückt in Baskenland und Katalonien in die Ferne

Im Baskenland ist der Wunsch nach Abspaltung deutlich schwächer. Dennoch waren es die Basken, die den ersten Abspaltungsversuch unternahmen. Ende 2004 forderte der baskische Ministerpräsident Juan José Ibarretxe in einer Rede vor dem Madrider Parlament eine Verfassungsänderung zur Umsetzung seines Autonomieplans. Der «Plan Ibarretxe» wurde abgelehnt, woraufhin Ibarretxe enttäuscht zurücktrat. «Heute ist der PNV keine Unabhängigkeitspartei mehr, sondern lediglich eine nationalistische Partei, die ihre Kompetenzen erweitern will», sagt der Politikwissenschafter Lorente.

Auch die Unterstützung der Bevölkerung war unterschiedlich: Im Baskenland gab es nie eine so starke Mobilisierung wie in Katalonien, wo zwischen 2012 und 2018 jährlich über eine Million Menschen für die Unabhängigkeit demonstrierten. «Der Unabhängigkeitsprozess verlief in Katalonien viel hitziger und emotionaler», sagt Lorente.

Das ist bis heute so, wie die Reaktionen auf den Pakt zwischen der ERC und den Sozialisten für eine neue Regierung in Barcelona zeigen. Junts spricht von Verrat und will ihren gesamten Einfluss im Parlament nutzen, um die Amtsübernahme von Salvador Illa doch noch zu verhindern und damit Neuwahlen zu provozieren.

Laut Lorente würde ein neuerlicher Urnengang die Separatisten in Katalonien aber kaum mehr zusammenschweissen. Nur eine konservative Regierung in Madrid, die die Konfrontation mit den Unabhängigkeitsbefürwortern sucht, könnte diesen derzeit Aufwind verschaffen.

«Seit Pedro Sánchez an der Macht ist, hat sich die Lage ziemlich beruhigt, da der Sozialist im Gegensatz zur konservativen Vorgängerregierung von Mariano Rajoy auf Dialog setzt», so Lorente. Die Sozialisten in Barcelona kommen den Separatisten denn auch entgegen. Die Grundsatzeinigung zur Regierungsbildung sieht vor, dass Katalonien künftig ähnlich wie das Baskenland Steuern selbst eintreiben und einen Teil an den Zentralstaat abführen kann.

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