Mittwoch, Oktober 2

Der scheidende Nato-Generalsekretär wird voraussichtlich vom kommenden Jahr an die wichtigste Sicherheitstagung der westlichen Welt leiten. Dort spricht man bereits von einer «unvergleichlich besten Wahl».

61 Jahre nach ihrer Gründung soll der Münchner Sicherheitskonferenz erstmals kein Deutscher mehr vorsitzen. Laut Medienberichten übernimmt im kommenden Jahr der noch bis Oktober amtierende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Posten. Der Norweger würde nach nur zwei Jahren Christoph Heusgen in dem Amt ablösen. Der frühere Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel war wegen verschiedener Äusserungen in die Kritik geraten.

Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrats der Sicherheitskonferenz, soll Stoltenberg intern als «unvergleichlich beste Wahl» bezeichnet haben. Ischinger wollte sich am Freitagvormittag auf Anfrage der NZZ nicht zu den Berichten äussern. Er war von 2008 bis 2022 Vorsitzender der Konferenz, bevor ihm Heusgen auf eigenen Wunsch nachfolgte. Auch die beiden anderen Chairmen, Ewald-Heinrich von Kleist (1963–1998) und Horst Teltschik (1999–2008), hielten den Vorsitz über lange Jahre. Insofern sticht die, allem Anschein nach, sehr kurze Amtszeit Heusgens heraus.

Auch wenn es dazu bis jetzt keine offiziellen Aussagen gibt, dürften die Gründe für Heusgens Ausscheiden nicht zuletzt in einigen Äusserungen in der jüngeren Vergangenheit liegen. So hatte er sich im Vorjahr mehrfach für Verhandlungen mit Russland ausgesprochen und dabei auf das Minsker Abkommen von 2015 verwiesen.

Scharfe Kritik an Heusgen

Damals vereinbarten die Ukraine und Russland unter Vermittlung von Frankreich und Deutschland einen Waffenstillstand und den Abzug schwerer Waffen aus der schon seinerzeit umkämpften Ostukraine. Heusgen hatte mit den aussenpolitischen Beratern der anderen beteiligten Staaten die Vorarbeit geleistet. Das Abkommen scheiterte, als Russlands Machthaber Wladimir Putin schon kurz darauf die ukrainische Stadt Debalzewe stürmen liess.

Nach wie vor gilt der russische Machthaber in den massgeblichen westlichen Hauptstädten sowie in der Ukraine nicht als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner. In den Äusserungen Heusgens zum russischen Krieg in der Ukraine sahen viele Kritiker daher eine Schwächung der westlichen Position. Sie mahnten, Verhandlungen könnten Putins Aggression belohnen.

Scharfe Kritik zog Heusgen auch für seine Aussagen zum Nahostkonflikt auf sich. Er rügte die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen und forderte die Rückkehr zu einer Zweistaatenlösung. Als er das Massaker der Hamas an über 1400 Israeli als «Hamas-Aktion» bezeichnete und eine klare Verurteilung des Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 vermissen liess, zog der israelische Botschafter in Berlin, Ron Prosor, Heusgens Eignung als Vorsitzender der wichtigsten Sicherheitstagung der westlichen Welt offen in Zweifel.

Der ideale Mann für den Posten

Heusgen bat später für seine Formulierung um Entschuldigung. Er hätte das Massaker deutlicher als Terrorakt benennen müssen, erklärte er. Doch für eine Konferenz, die eine klare transatlantische Ausrichtung hat und das israelische Recht auf Selbstverteidigung betont, sind solche Aussagen kaum akzeptabel. Selbst in der rot-grün-gelben Regierung in Berlin hat Heusgen, der wie kein Zweiter für die Aussenpolitik der Ära Merkel steht, kaum Unterstützer.

Das liegt auch an einem gewissen belehrenden Habitus. Er äusserte sich zum Beispiel in der Bemerkung, die Bundesregierung müsse noch lernen, die vom Kanzler verkündete Zeitenwende konsequent umzusetzen. Sie müsse sich bewusst werden, dass Führung und Verantwortung nicht heissen könnten, immer nur als Letzter das Richtige zu tun. Dabei war es die nicht zuletzt von Merkel und Heusgen verantwortete Russland-Politik, die mit in das Malaise geführt hat, in dem heute die Ukraine, Deutschland und der demokratische Westen stecken.

Vor diesem Hintergrund dürfte auch die mutmassliche Aussage von Ischinger zu Jens Stoltenberg als «unvergleichlich bester Wahl» zu verstehen sein. Er bringt geradezu alles mit, was der Vorsitzende der Sicherheitskonferenz braucht. Er ist seit zehn Jahren Generalsekretär der Nato, seine Amtszeit wurde mehrfach verlängert. Dies bezeugt seine hohe Akzeptanz und das Vertrauen insbesondere der USA in seine Führungsqualitäten.

Brückenbauer zwischen Europa und den USA

Der 65 Jahre alte Stoltenberg war von 2000 bis 2001 und von 2005 bis 2013 Ministerpräsident Norwegens. Nachdem er 2014 in das Nato-Hauptquartier nach Brüssel gekommen war, stand er vor der Aufgabe, das Bündnis auf die veränderte Sicherheitslage in Europa auszurichten. Während parallel noch der Nato-Einsatz in Afghanistan lief, verstärkte er die Ostflanke der Allianz nach der russischen Krim-Annexion.

Stoltenberg erwies sich dabei als Brückenbauer zwischen den USA und Europa, insbesondere während der turbulenten Jahre der Trump-Regierung in Washington. Dass die Nato damals nicht stärker beschädigt wurde, geht auch auf sein gutes Verhältnis zu Trump zurück. Er mache einen grossartigen Job, er sei ein grosser Fan von ihm, äusserte Trump damals, nachdem er einige Jahre zuvor die Nato noch als obsolet bezeichnet hatte. Seither gilt Stoltenberg als «Trump-Bändiger».

Stoltenbergs Fähigkeit, zwischen verschiedenen Interessengruppen zu vermitteln, dürfte für die Münchner Sicherheitskonferenz von enormem Wert sein. Sie versteht sich als Plattform für den globalen sicherheitspolitischen Dialog. Mit diesem in der Nato geschätzten und für seine auf Ausgleich setzende politische Arbeit weithin anerkannten Vorsitzenden könnte die Sicherheitskonferenz zu alter Bedeutung zurückfinden.

Christoph Heusgen wird aller Voraussicht nach im Februar zum letzten Mal die Münchner Sicherheitskonferenz leiten. Der achtköpfige Stiftungsrat, in dem neben Wolfgang Ischinger auch Heusgen selbst und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt sitzen, soll eine Berufung Stoltenbergs befürwortet haben. Der noch amtierende Nato-Generalsekretär hat sich dazu bisher nicht geäussert.

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