Mittwoch, November 6

Die amerikanischen Wähler und Wählerinnen wollen Wandel und bescheren Donald Trump einen unerwarteten Erdrutschsieg – sie gehen dabei wissentlich ein Stabilitätsrisiko ein.

Das Comeback von Donald Trump ist historisch, und für einmal ist das Wort angebracht. Erst einem Präsidenten in der Geschichte der USA gelang ein ähnliches Kunststück: dem Demokraten Grover Cleveland im Jahr 1892. Er war die Antithese zu Trump, ein Politiker, der sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hatte.

Donald Trump hat diesen Erdrutschsieg vier Jahre nach seiner Abwahl wohl selbst nicht erwartet. 2020 verliess er Washington als Paria, als Verräter an der amerikanischen Demokratie, nun darf sich der 78-Jährige auf eine triumphale Rückkehr ins Weisse Haus freuen. Er wird wieder dort wohnen, wo er am 6. Januar 2021 seinen wütenden Anhängern stundenlang tatenlos zuschaute, wie sie den Kongress in einem kollektiven Gewaltrausch erstürmten.

Offenbar ist die Erinnerung an diese Ereignisse für die Mehrheit der Amerikaner längst verblasst. Die hohen Preise für Lebensmittel und Hypotheken treffen das Nervenzentrum schmerzlicher als die politischen Turbulenzen von anno dazumal. Dass die Amerikaner den 6. Januar hinter sich gelassen haben, machte sich bereits bei den Prozessen gegen Trump bemerkbar. Als Trump in New York vor Gericht stand und verurteilt wurde, schnellten seine Beliebtheitszahlen hoch. Sein «mug shot» wurde zum vielverkauften Kultobjekt. Für seine Fans ist er kein Straftäter, sondern ein Held, der weiterkämpft, wenn andere aufgeben.

Günstige Bedingungen für ein Comeback

Für ein Comeback von Trump waren die Bedingungen günstig. Er konnte auf einem globalen Trend surfen: Nicht nur in den USA zeigen die Zeichen der Zeit nach rechts. Die unkontrollierte Migration an der Südgrenze sowie die hohe Inflation der vergangenen Jahre, aber auch die Wokeness bewegen die amerikanischen Wählerinnen und Wähler genauso wie in Europa.

Beim Thema Wirtschaft wird Trump, dem schwerreichen Unternehmer und wirtschaftsfreundlichen Ex-Präsidenten, hohe Kompetenz zugeschrieben, auch wenn viele seiner Rezepte – Handelszölle, Massendeportationen – der ökonomischen Lehre widersprechen. Doch als populistische Botschaft wirken die Vorschläge allemal. Die Bürgerinnen und Bürger in den USA haben keine Ersparnisse, mit welchen sie höhere Lebenskosten abfangen können – viele Millionen stehen an der Grenze der Armut und müssen sich entscheiden, ob sie Essen oder Benzin kaufen. Der Businessman Donald Trump versprach den Wählern Besserung – mit Worten, welche die Wähler verstehen.

Auch das Thema Migration spielt Trump in die Hände. Während seiner Amtszeit sank die Einwanderung über die Südgrenze merklich – dank seiner harschen Antiimmigrationspolitik. Nach der Machtübernahme buchstabierte Präsident Biden die Trumpschen Massnahmen zurück, wonach die irreguläre Migration prompt auf Rekordhöhe schnellte. Zum ersten Mal tauchten undokumentierte Migranten in grosser Zahl auch in den nördlichen Städten auf und verursachten dort demokratischen Regierungen hohe Kosten.

Kamala Harris kämpfte gegen den Wind

Die Ausgangslage für Kamala Harris war schwierig. Als Vizepräsidentin konnte sie sich nicht glaubwürdig von den Fehlleistungen der Biden-Regierung abgrenzen. Das hätte ihr Konkurrent sofort ausgeschlachtet. Denn schliesslich war sie mitverantwortlich. Mitgegangen ist bekanntlich mitgefangen.

Die Demokraten werden über die Bücher gehen müssen, warum sie 2024 eine derartige Wahlschlappe einfahren konnten. Ganz sicher schadete die misslungene Kandidatur von Joe Biden. Die Blindheit, mit der er und seine Partei in die Senilitätsfalle tappten, warf von Anfang an kein gutes Licht auf die Demokraten. Vizepräsidentin Harris, die in regulären Vorwahlen der Demokraten wohl kaum obsiegt hätte, sprang in die Lücke. Sie hatte bloss gut drei Monate Zeit, einen Wahlkampf gegen einen starken und bekannten Kandidaten zu führen.

Es war ein immenser Effort, und Harris konnte innert kürzester Zeit die Basis begeistern und eine Koalition mit gemässigten Republikanern bauen. Seite an Seite trat sie mit Liz Cheney auf die Bühne; die linksliberale Demokratin und die konservative Republikanerin machten vor, dass es möglich ist, sich trotz politischen Differenzen zu respektieren, vielleicht sogar zu mögen. In dieser Zeit hasserfüllter Ultra-Polarisierung schuf das einen Augenblick der Hoffnung. An der Urne zahlte es sich nicht aus.

Harris machte aber auch einige Fehler. Wahrscheinlich hätte ihr ein Vize aus einem Swing State wie Pennsylvania bessere Dienste geleistet als der etwas provinziell wirkende Gouverneur Tim Walz aus Minnesota. Aber letztlich fehlte Harris schlicht das Obama-Momentum, um als Frau mit indisch-jamaicanischen Wurzeln die Glasdecke zu durchbrechen.

Trump darf sich alles erlauben

Donald Trump hingegen machte viele Fehltritte, aber es spielte keine Rolle. Für ihn scheinen nicht dieselben Gesetze zu gelten wie für alle anderen. Er folgte auch in diesem Rennen seinem Instinkt und nicht seinen Beratern. Statt bei der Sachpolitik zu bleiben und hässliche Erinnerungen an seine erste Amtszeit ruhen zu lassen, drehte er das Volumen noch auf.

Er wärmte die Erinnerungen an den 6. Januar auf und spann die alte Wahlbetrugslüge weiter. Nach dem Attentat auf ihn in Butler, Pennsylvania, wurden seine Auftritte zunehmend bizarr, seine Phantasien dunkler: Migranten, die Haustiere essen, politische Gegner, die verfolgt werden müssen oder gar exekutiert.

Autokratische Allmachtsgelüste mischten sich mit Obszönität. Selbst treuen Anhängern muss die angedeutete Fellatio mit einem Mikrofon zu viel gewesen sein. Doch an Trump bleibt nichts hängen. Mehr noch: Er konnte eine Wählergruppe mobilisieren, die sonst selten hinter dem Computer hervorkommt: junge Männer aller Couleur.

Für die Republikaner zahlt es sich aus, dass sie trotz den Geschehnissen am 6. Januar 2021 den Pakt mit Trump erneuerten. Die Rechnung ist aufgegangen. Im Schlepptau von Trump hieven sie sich im Senat wieder an die Macht und dürfen hoffen, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu halten.

Die Freude bei den Republikanern ist dementsprechend gross. Mit Trump im Weissen Haus dürfen sie hoffen, ein zweites Steuerpaket durchzubringen, Regulierungen der Demokraten rückgängig zu machen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Trumps Charakter ist unberechenbar

Die Reconquista von Donald Trump in Washington wird aber den Preis der Instabilität fordern. Trump kann im Oval Office eine zerstörerische Kraft entwickeln. So will er den Beamtenapparat drastisch verkleinern und mit Günstlingen besetzen. Dabei soll ihm Elon Musk helfen, offensichtliche Interessenkonflikte hin oder her. Man darf hoffen, dass das gut kommt und der Staat funktionsfähig bleibt.

In seinen autokratischen Momenten hat Trump versprochen, das Militär auf die Zivilbevölkerung loszuschicken, was das Posse-Comitatus-Prinzip in den USA strikt verbietet. Er will das Justizdepartement auf politische Gegner ansetzen. Er will Raketen nach Mexiko schiessen, um Drogenkartelle zu bekämpfen, und um den Ukraine-Krieg zu stoppen, will er einen Deal mit Putin abschliessen. Er will der amerikanischen Zentralbank Fed den Leitzins diktieren. Trump hat viel vor – und in seiner ersten Amtszeit hat er bewiesen, dass er seine Versprechen umsetzt, wenn er kann. Dieses Mal darf er mit der Hilfe der zahlreichen Loyalisten im Kongress rechnen.

Natürlich: Die Checks und Balances in der amerikanischen Verfassung gelten auch für Trump. Die Möglichkeit bleibt, dass er sich darum foutiert und ein Chaos in Washington und auf dem Weltparkett anrichtet. Kürzlich sagte er, er hätte das Weisse Haus besser nie verlassen. Die Wette der Amerikaner auf eine zweite Amtszeit von Trump ist hochriskant. Denn sein Charakter ist unberechenbar.

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