Montag, Januar 27

Experten vom Liechtensteiner Missionschef bis zu alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey haben Tipps für die Schweiz.

Könnte die Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus die internationale Zusammenarbeit letztlich sogar stärken – und mit ihr das internationale Genf?

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Es braucht nicht wenig Optimismus, um diese Frage mit Ja zu beantworten. In seiner kämpferischen Antrittsrede vom Montag verkündete Trump eine Reihe von Alleingängen: Die USA würden Strafzölle gegen andere Staaten verhängen, den Golf von Mexiko in «Golf von Amerika» umbenennen, sich den Panama-Kanal «zurückholen» und territorial «wachsen». Der Präsident sagte: «Nichts wird uns im Weg stehen, weil wir Amerikaner sind.»

In Genf hat die Rede des Republikaners manche Beobachter verstört. Mit Entsetzen, Schrecken und Verzweiflung habe er reagiert, sagte Charles Adams, einst US-Botschafter in Finnland unter dem demokratischen Präsidenten Obama, an einer Veranstaltung des Club suisse de la presse. «Trumps Amerika ist dabei, all seine Verbündeten und Nachbarn zu verprellen.»

Am Weltwirtschaftsforum in Davos legte Trump am Donnerstag per Video-Schalte nach: Kanada müsse nur ein US-Gliedstaat werden, dann brauche es sich um seinen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA keine Sorgen mehr zu machen. Adams erinnert Trumps Gebaren an dunkelste Zeiten. «Es gibt viel zu viele Parallelen zu dem, was in Deutschland 1933 geschah.»

Trump ist die Antithese zum Multilateralismus

Was auch immer man von solchen Vergleichen hält – einig scheint man sich im internationalen Genf hierin: «Trumps transaktionaler Ansatz ist die genaue Antithese zum Multilateralismus», sagt Frank Büchel, der Chef der Liechtensteiner Mission in Genf, im Gespräch. Ergo: Trump ist die Antithese zum internationalen Genf.

Was bedeutet das für diesen fast mythischen Ort, wo – so zumindest der Anspruch – die Welt zusammenkommt, um die Probleme der Menschheit zu lösen? Was bedeutet es für die 43 internationalen Organisationen, die 750 NGO, ihre insgesamt mehr als 30 000 Mitarbeiter? Was bedeutet es für die kleine Schweiz, die auch dank dem Uno-Sitz international überproportional viel Einfluss hat?

Es dürfte vielen Akteuren erst einmal weh tun. Trump initiierte als eine seiner ersten Amtshandlungen erneut den Rückzug der USA aus der Weltgesundheitsorganisation, die in Genf sitzt. Zahlungen an die WHO sollen eingestellt, amerikanische Mitarbeiter abgezogen werden, heisst es in Trumps Executive Order (Durchführungsverordnung).

Zwei weitere Anweisungen Trumps könnten Genf ebenfalls hart treffen: der 90-tägige Ausgabenstopp für Entwicklungshilfe und die Umorientierung der US-Aussenpolitik. Beide sollen allein nach Trumps proklamierten amerikanischen Interessen ausgerichtet werden. Durch das Aussenministerium und die Entwicklungshilfebehörde USAID fliessen fast alle amerikanischen Ausgaben für internationale und multilaterale Organisationen.

Die Welthandelsorganisation in Genf könnte ebenso zum Opfer werden. Trumps angekündigte Strafzölle und seine «Buy American»-Programme widersprechen ihren Regeln.

Einstiger Uno-Generaldirektor Möller bleibt gelassen

Trotzdem bleibt mancher Insider in Genf cool. Man müsse bei Trump immer drei Dinge anschauen, sagt Michael Möller, der während Trumps erster Amtszeit Generaldirektor des Genfer Uno-Sitzes war: «Was sagt er? Was macht er tatsächlich? Und welche Auswirkungen haben seine Taten?» Oft wird die Kartoffel laut dem Dänen am Ende nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wurde.

Beispiel Weltgesundheitsorganisation: Trumps erster Versuch, die USA aus der WHO zurückzuziehen, scheiterte nach einem monatelangen Prozedere 2020, als er seine Wiederwahl gegen Joe Biden verpasste. Und was wird die amerikanische Pharmaindustrie wohl sagen, wenn die USA etwa bei Patentfragen nicht mehr mitreden sollten?

Die WHO selbst jedenfalls hofft auch diesmal noch auf ein glimpfliches Ende: «Wir freuen uns auf einen konstruktiven Dialog zur Aufrechterhaltung der Partnerschaft zwischen den USA und der WHO», teilte sie mit. Eine NZZ-Anfrage liess sie unbeantwortet.

Beispiel andere Uno-Organisationen: Trumps Kandidatin als Uno-Botschafterin in New York, Elise Stefanik, lobte bei ihrer Anhörung vor dem US-Senat diese Woche explizit mehrere von ihnen. Das Flüchtlingshochkommissariat etwa, das seinen Sitz in Genf hat, sei eine «bewährte Organisation». Generell plädierte Stefanik dafür, dass die USA sich weiterhin in der Uno einbringen.

Beispiel Menschenrechtsrat, ebenfalls in Genf: Die USA verliessen in Trumps erster Amtszeit das umstrittene Uno-Gremium, in dem unter anderem China seine eigenen Definitionen von Menschenrechten vorantreiben will. Nie zuvor hatte ein Staat sich zurückgezogen, der Schaden war gross.

Nun sei die Situation ganz anders, sagt Eric Tistounet, der bis 2023 Chefsekretär des Gremiums war. Denn seit dem 1. Januar, nach einer erneuten Mitgliedschaft unter Präsident Biden, sind die USA zumindest Beobachter im Menschenrechtsrat. Es bleibe zwar abzuwarten, ob Trump Vertreter in die Sitzungen schicke. Aber als er das in seiner ersten Amtszeit nicht gemacht habe, sei der Einfluss der USA extrem gering gewesen. Ob das in Trumps Sinne ist?

Die Welthandelsorganisation wiederum ist schon lange in der Krise. Insbesondere das Verfahren zur Streitbeilegung zwischen Staaten ist blockiert. Daran änderte sich auch unter Präsident Biden nichts, wie der Liechtensteiner Missionschef Büchel anmerkt. Subtext: Früher war auch nicht alles besser.

Liechtenstein will die Efta-Beziehungen vertiefen

Und wie soll das internationale Genf auf Trump reagieren? Was sollte die Schweiz tun? Offizielle Vertreter wollen sich nicht öffentlich äussern. Einfach wird es jedenfalls nicht.

Der Liechtensteiner Frank Büchel glaubt, kleinere Länder wie die Schweiz hätten es künftig schwerer, keine Position zu beziehen. «Man ist aufgrund von Trumps Stil schnell einmal exponiert.» Liechtenstein will deshalb die Zusammenarbeit in der Europäischen Freihandelsassoziation Efta ausbauen, der auch die Schweiz, Norwegen und Island angehören. «Wir schauen, wo wir im Klub allenfalls besser aufgestellt sind.»

Der amerikanisch-schweizerische Politologe Daniel Warner sieht Genf und die Schweiz schlecht vorbereitet. Er vermisst Lichtgestalten wie früher Henry Dunant oder Klaus Schwab, den Gründer des in Cologny bei Genf beheimateten Weltwirtschaftsforums, der sich aus der operativen Führung des WEF zurückgezogen hat.

Micheline Calmy-Rey, die Alt-Bundespräsidentin, wünscht sich ein offensiveres Auftreten der Schweiz zusammen mit gleichgesinnten Ländern: Sie sollten das internationale Recht verteidigen, insbesondere die Menschenrechte und die Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht. «Wenn wir passiv bleiben, den Kopf unter den Tisch stecken, werden wir es nicht schaffen.»

Einig sind sich alle Befragten, dass Reformen des Multilateralismus dringend nötig sind. Die Uno-Behörden seien seit achtzig Jahren undurchdringliche Silos, sagt der ehemalige Genfer Uno-Generaldirektor Möller. Es brauche transversale, weniger westlich geprägte Strukturen, die sich auch um Themen wie künstliche Intelligenz kümmerten – «mit oder ohne den USA».

«Das internationale Genf hat es noch nie so sehr gebraucht»

Möller sieht deshalb in Trump einen Katalysator für überfällige Reformen. Mut macht ihm zudem, dass sowieso nichtstaatliche Akteure im internationalen System an Gewicht gewännen: Geschäftsleute, die Zivilgesellschaft, Wissenschafter.

Genau diese Mischung, insbesondere die vielen NGO, ist ein grosses Plus für Genf. Und ein grosser Unterschied zum Uno-Sitz in New York, wo traditioneller Diplomatie gemacht wird. Möller sagt: «Es hat das internationale Genf noch nie so sehr gebraucht wie jetzt.»

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