Sonntag, Februar 23

Die Aussicht auf einen «Friedens-Deal» in der Ukraine und das mögliche Ende von Sanktionen auf russische Energieexporte machen europäische Aktien wieder attraktiver.

Donald Trump baut gerade die Welt um. Vergangene Woche hat er mit der Ankündigung von Gegenzöllen für «unfaire» Handelspartner das internationale Handelssystem erschüttert.

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Diese Woche ist der neue US-Präsident daran, die politische Nachkriegsordnung Europas über den Haufen zu werfen. Er hat mit Russland Gespräche gestartet, die in der Ukraine einen «Friedens-Deal» erzwingen sollen – ohne Mitsprache der Ukraine und ohne Teilhabe der EU-Länder.

Doch während sich Trump von historischen Alliierten abwendet und die geopolitische Landkarte zuungunsten Europas neu zeichnet, herrscht an den Börsen Zuversicht. Sowohl grosse amerikanische Börsenindizes wie der S&P 500 oder der Nasdaq wie auch wichtige Länderindizes in Europa wie der deutsche DAX, der französische CAC 40 oder der britische FTSE bewegen sich nahe ihren Bestmarken.

Renaissance europäischer Aktien?

Die amerikanischen Börsen haben in den letzten Jahren traditionell viel besser abgeschnitten als ihre europäischen Pendants. Doch dieses Jahr läuft es an Europas Aktienmärkten besser: Seit Anfang Jahr ist der S&P 500 zwar nochmals um 4 Prozent gestiegen, der DAX konnte aber bereits fast 12 Prozent gewinnen, obwohl die deutsche Wirtschaft weiterhin lahmt.

Sogar amerikanische Investoren hätten sich in den letzten Wochen zum ersten Mal seit Jahren wieder mit namhaften Positionen in Europa blicken lassen, stellt Christian Gattiker fest, Leiter Research bei der Bank Julius Bär. Wobei Anlegern nachgesagt wird, dass sie am Jahresanfang bereiter sind, mehr Risiken einzugehen. Für Investoren war bisher eine positive Rendite mit amerikanischen Aktien fast immer gegeben.

Doch nach dem letzten Kursschub im Nachgang der Trump-Wahl Ende 2024 sind die Kursavancen ins Stocken geraten. Zudem sind amerikanische Aktien nach einem mehrjährigen Bullenmarkt mittlerweile sehr hoch bewertet. Dahingegen sei Europa «börsentechnisch verbrannte Erde», sagt Gattiker. Europäische Aktien wurden lange gemieden und gelten im Vergleich zu amerikanischen als relativ günstig.

Symptomatisch für die bessere Stimmung gegenüber europäischen Titeln ist der Bankensektor. Der Branchenindex Stoxx Europe 600 Banks hat in den letzten zwölf Monaten mit einem Plus von 47 Prozent sogar besser abgeschnitten als der amerikanische Technologieindex Nasdaq (+28 Prozent). Für Gattiker sind die «Trigger» für eine Trendwende zugunsten Europas vorhanden: ein möglicher «Friedens-Deal» in der Ukraine und ein bevorstehender Regierungswechsel in Deutschland, der grössten Volkswirtschaft des Kontinents.

«Börsen sind frei von Moral»

Dass ein von den USA und Russland durchgesetzter Friede die Ukraine als Staat stark benachteiligen und Europa geopolitisch geschwächt hinterlassen könnte, spielt dabei keine Rolle. «Die Börsen sind frei von Moral», sagt Björn Eberhardt, Anlagechef bei der Luzerner Kantonalbank. Dass der Krieg ein Ende finden könnte, sei grundsätzlich gut für die Stimmung der Anleger. «Ob man sich mit einem neuen Hegemonen in Europa arrangieren muss, ist dabei sekundär», sagt er.

Wie ein Friedensabkommen konkret aussehen könnte, weiss niemand. Doch der Markt gehe davon aus, dass nach so starken Aussagen, wie sie die Trump-Regierung in den letzten Tagen zur Ukraine und gegenüber den Europäern gemacht habe, auch Taten folgen würden. Für europäische Aktien spricht auch, dass die konjunkturelle Talsohle in Deutschland wie Frankreich durchschritten sein könnte.

Diese optimistische Sicht wird nicht von allen geteilt. Thomas Heller, Anlagechef bei der Frankfurter Bankgesellschaft, räumt ein, dass die amerikanische Wirtschaft weiterhin gut laufe, und auch in Europa sei von einer gewissen Erholung auszugehen. Doch für ihn ist es eine «steile These», dass die Hoffnungen auf ein Ende des Ukraine-Kriegs für einen Teil der Erholung der europäischen Börsen verantwortlich seien.

Dabei werde spekuliert, dass europäische Unternehmen von einem Wiederaufbau in der Ukraine profitieren könnten. Heller folgt derweil einer Börsenweisheit, die lautet: «Politische Börsen haben kurze Beine.» Die Marktteilnehmer haben sich seit Trumps Wahl auf eine gewisse Volatilität eingestellt. Doch solange Trumps Unberechenbarkeit nicht auf die wirtschaftliche Aktivität durchschlage, hinterlasse dies keine Spuren bei den Börsenkursen, so Heller.

Tiefere Energiepreise ohne Russland-Sanktionen

An der Börse werden die wirtschaftlichen Aussichten verhandelt, nicht die politischen. Ein «Deal», so unerfreulich er für die Ukraine und Europa auch sein möge, verspreche die mögliche Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, tiefere Rohstoff- und Energiepreise und damit ein Nachlassen der Inflation, sagt Gattiker. Für die Gewinnentwicklung der europäischen Unternehmen sei das klar positiv.

Sollten über den Weltmarkt die Energiepreise tatsächlich sinken, würde das wie ein Stimulus für die globale Wirtschaft wirken, glaubt Björn Eberhardt. Doch so weit muss es zuerst kommen. Gemäss den Anlagestrategen von Lombard Odier ist Donald Trumps übergeordnetes Ziel, die Kaufkraft der Amerikaner wiederherzustellen und vor allem die Preise für Öl, Gas und Strom zu senken. Doch damit diese auf das Niveau von vor 2022 sänken, müssten die Energiepreise weltweit fallen.

Und dafür müssten die Sanktionen für russische Energieexporte aufgehoben werden. Indien als Zwischenhändler und Saudiarabien, einer der wichtigsten Erdölproduzenten, müssten dem zustimmen. Gemäss der Einschätzung von Lombard Odier ist es zwar denkbar, dass die Opec einwilligt, mehr Öl zu niedrigeren Preisen zu produzieren. Doch mit einem Einbruch der Ölpreise rechnen die Marktstrategen nicht, denn Saudiarabien, Russland wie auch die USA hätten ein Interesse an einem Mindestpreis, um weiter in ihre Energiewirtschaften zu investieren.

Gefangene des Frankens

Dass auch Schweizer Unternehmen und ihre Aktien von tieferen Energiepreisen dank einem Frieden in der Ukraine profitieren, scheint naheliegend. Zudem hat der SMI Aufholpotenzial. Wegen der miesen Kursentwicklung des Index-Schwergewichts Nestlé hat der SMI im Jahr 2024 eine magere Performance von nur rund 4 Prozent erreicht.

Nicht nur Nestlé hielt den SMI zurück. «Schweizer Aktien sind Gefangene ihrer Währung», sagt Gattiker. Denn ein starker Franken schränkt exportorientierte Firmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit ein, wegen hoher Produktionskosten und Verkaufspreise. Sollte sich die europäische Wirtschaft aber tatsächlich fangen und der Euro damit erstarken, wäre das für Schweizer Unternehmen mit notorisch hohen Umsätzen in Euro positiv zu werten, sagt Gattiker.

Doch nicht nur eine bessere Euro-Konjunktur, auch die hartnäckigere Inflation könnte dafür sorgen, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen weniger stark senkt als erwartet – Eberhardt von der LUKB geht nur noch von zwei weiteren Zinsschritten nach unten aus. Das könnte den Euro gegenüber dem Franken stabilisieren oder zumindest nicht weiter schwächen. Zudem wäre der Franken mit einem Frieden in der Ukraine weniger als sicherer Hafen gefragt. Auch das würde den Schweizer Exportunternehmen helfen.

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