Donnerstag, September 19

Die Anwärter für die amerikanische Präsidentschaft haben vage, aber sehr unterschiedliche Pläne für die Wirtschaft. Entscheidend für die Unternehmen wird sein, welche Partei im November das Parlament erobert.

Politische Börsen haben kurze Beine, das weiss jeder Börsianer. Und doch tragen diese Beinchen die Märkte manchmal in eine überraschende Richtung.

So ist es auch bei den amerikanischen Wahlen, die am 5. November anstehen. Üblicherweise sei die Unsicherheit in der Frühphase des Wahlkampfs, während der Vorwahlen, am grössten, sagt Ryan Sweet, Chefökonom USA beim Beratungsunternehmen Oxford Economics. Sobald die Kandidaten und deren Vorschläge einmal bekannt seien, reduziere sich die Unsicherheit.

Höhere Zölle unter Trump . . .

2024 ist es etwas anders. Kamala Harris ist, nachdem Präsident Joe Biden von seiner eigenen Partei ausgebootet worden ist, für amerikanische Verhältnisse erst sehr spät zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten aufgerückt und musste sich ihr Wahlprogramm rasch zusammenzimmern. Und ob der Kandidat der Republikaner, der Ex-Präsident Donald Trump, die vielen Versprechen einhält, die er im Wahlkampf abgibt, bleibt sehr ungewiss. Beide Kandidaten haben eine protektionistische und etatistische Ader.

Die groben Linien sind jedoch klar. Siegen die Republikaner auf ganzer Linie, brächte das weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Privatpersonen sowie eine Deregulierung der Energiewirtschaft mit sich. Davon würden die Aktienkurse profitieren.

Die Analysten der UBS schränken aber ein, dass höhere Zölle und Handelskriege unter Trump diesen positiven Effekt mindern könnten. «Ein Sieg Trumps brächte höhere Zölle, und diese heizen die Inflation an», sagt Sweet. Auch andere Pläne des republikanischen Kandidaten könnten preistreibend wirken. Dazu gehören weitere Steuersenkungen sowie Massenausweisungen von illegalen Einwanderern. Letzteres würde die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt verschärfen.

Manche Unternehmen, die sich auf erneuerbare Energien spezialisiert haben, könnten unter dem Wegfall grüner Subventionen leiden, die Präsident Joe Biden eingeführt hat. Es ist aber nicht klar, ob Trump diese Subventionen tatsächlich wieder abschafft.

. . . und Steuererhöhungen unter Harris

Würden die Demokraten das Weisse Haus und den Kongress erobern, müssten sich die Firmen in den USA dagegen auf höhere Steuern einstellen: Kamala Harris will den Gewinnsteuersatz von 21 auf 28 Prozent erhöhen. Eine demokratische Regierung würde vermutlich auch das Kartellrecht strikter anwenden und Übernahmen schärfer kontrollieren. Insofern sehen viele Analysten einen kompletten Triumph der Demokraten kurzfristig als schlechtestes Szenario für den Aktienmarkt.

Allen voran den Banken käme die scharfe Aufsicht einer Regierung Harris ungelegen. Die Pharmabranche würden härtere Verhandlungen um Medikamentenpreise erwarten. Es ist jedoch gut möglich, dass sich die Demokraten mit einigen publikumsträchtigen Siegen zufriedengeben und nicht gleich das ganze Preisgefüge im Pharmasektor umpflügen würden.

Allerdings wäre eine Regierung Harris für den Finanzmarkt berechenbarer, weil sie in vielen Bereichen die Politik der Biden-Administration weiterführen will. Harris’ Pläne sind etwas weniger inflationstreibend, zudem dürfte die Demokratin das Haushaltsdefizit ein bisschen besser im Griff behalten als Trump.

Das dritte Szenario

Auf den Wettmärkten hat die Vizepräsidentin nach ihrem starken Auftritt in der Fernsehdebatte am Dienstag einen leichten Vorsprung auf Trump. Auch Finanzwerte, die als «Trump Trade» gehandelt werden, schwächelten: Der Bitcoin hat nach der Debatte an Boden eingebüsst, ebenso die Aktie von Trumps eigenem sozialem Netzwerk, Truth Social. Der Wahlausgang steht jedoch auf Messers Schneide; einige zehntausend Stimmen in sieben umkämpften Gliedstaaten werden den Ausschlag geben für Trump oder Harris.

Der Finanzmarkt muss darüber hinaus die Parlamentswahlen im Auge behalten. Analysten der UBS sehen derzeit eine Chance von 50 Prozent auf einen gespaltenen Kongress. Das heisst: Die Demokraten würden die Mehrheit im Abgeordnetenhaus erobern, die Republikaner im Senat.

Für den neuen Präsidenten oder die neue Präsidentin wäre diese Konstellation unangenehm, weil viele ihrer Vorhaben im Parlament steckenblieben. Den Börsen sagt ein gespaltener Kongress tendenziell aber zu, weil er mehr Ruhe und Vorhersehbarkeit bringt. Extreme und undurchdachte Ideen aus dem Weissen Haus würden aufgehalten.

Der Präsident könnte überdies nur eingeschränkt mit eigenen Verordnungen regieren und den Kongress umgehen, weil der amerikanische Supreme Court mit einer Reihe von Urteilen die Macht der Regierungsbehörden eingeschränkt hat.

Über den Wahltag hinaus denken

Anleger, die in amerikanische Unternehmen investieren wollen, sollten daher auch die Parameter im Auge behalten, welche die Wirtschaft in den USA mittel- bis langfristig prägen:

  • Geldpolitik: Im Gegensatz zu anderen Zentralbanken hat das amerikanische Fed seinen Leitzins noch nicht gesenkt. Am kommenden Mittwoch wird der Fed-Chef Jerome Powell aber aller Voraussicht nach eine erste Senkung ankündigen, weitere dürften bald folgen. Das wird die Aktienpreise stützen; insbesondere die Kurse jener Unternehmen, die stark auf Fremdfinanzierung angewiesen sind. Allerdings preisen die Marktteilnehmer, gemäss Daten aus dem Handel mit Optionen, bereits Zinssenkungen von bis zu 1,25 Prozentpunkten bis Ende Jahr ein; entsprechend bieten Wetten auf eine lockere Geldpolitik nur wenig Aufwärtspotenzial.
  • Konsum: Noch mehr als in anderen Volkswirtschaften hängt die wirtschaftliche Entwicklung in den USA vom Binnenkonsum ab. Die Konsumenten zeigen sich, den hohen Zinsen zum Trotz, bis anhin erstaunlich widerstandsfähig. Die Kreditkartenschulden nehmen jedoch zu, die Sparquote der Amerikaner ist auf unter 3 Prozent abgesunken. Nicht alle Bevölkerungsschichten hätten gleich stark zu kämpfen, schränkt Ryan Sweet ein: «Solange der Arbeitsmarkt intakt bleibt, ist die Situation stabil.»
  • Produktivität: Für lange Jahre nach der Finanzkrise 2008 bremste die schwache Produktivitätsentwicklung die amerikanische Wirtschaft. Sweet geht wie viele Ökonomen nun aber davon aus, dass die künstliche Intelligenz einen Produktivitätsschub mit sich bringen wird; der volle Effekt werde indes erst ab 2027 eintreten.
  • Bevölkerung: Die amerikanische Wirtschaft ist jüngst auch wegen der illegalen Immigration über die Südgrenze gewachsen. Viele Neuankömmlinge sind im arbeitsfähigen Alter und nehmen rasch einen Job an, etwa in der Baubranche, im Gastgewerbe oder in der Landwirtschaft. Insbesondere bei einer Wahl Trumps könnte dieser Zustrom versiegen.
  • Ungleichheit: In der langen Frist sei die noch immer hohe Ungleichheit eines der zentralen Probleme der amerikanischen Volkswirtschaft, sagt Sweet. Sie sorgt für gesellschaftliche Spannungen und die Bereitschaft, extreme Ideen umzusetzen. Zudem verteilt sich der Konsum in einer ungleichen Gesellschaft auf weniger Schultern. Die Pandemie hat die Ungleichheit in den USA kurzzeitig verringert, weil die von der Regierung verteilte Wirtschaftshilfe ärmeren Amerikanern am meisten nützte. Zudem haben diese vom angespannten Arbeitsmarkt der letzten Jahre profitiert. Diese Sondereffekte fallen jetzt aber weg.
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