Die Regierungschefs der EU trafen sich in Brüssel zu einem Sondergipfel. Sie wollen massiv in die Rüstung investieren, für sich und die Ukraine. Jeden Wunsch werden sie dem Land aber nicht erfüllen.
Geld ausgeben und nochmals Geld ausgeben für Waffen sowie die Abschreckung Russlands: Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat am Donnerstagmorgen das Ziel des EU-Sondergipfels zugespitzt formuliert. Die Mitglieder des Staatenbundes trafen sich in Brüssel, um gegenüber Russland und den USA zu signalisieren, dass man für die Ukraine und die eigene Verteidigung sehr viel mehr Geld ausgeben wolle.
Die Erwartungen an den Gipfel waren hoch. Das rührte nur schon daher, dass der EU-Rats-Präsident António Costa die Regierungschefs bloss zwei Wochen vor einem ordentlichen Gipfel nach Brüssel eingeladen hatte. Drei Jahre sind vergangen, seitdem Russland einen grossflächigen Angriff gegen die Ukraine begonnen hat. Die EU-Länder und weitere europäische Staaten haben die Ukraine in dieser Zeit zwar mit viel Geld unterstützt, die Waffenlieferungen erfolgten aber zögerlich.
«Wir sind stärker»
Diese Haltung wollen die EU-Staaten ablegen, und sie gaben sich am Donnerstag alle Mühe, glaubwürdig zu wirken. Die Länder müssten nun ihre Verteidigungsfähigkeit koordinieren, dann hätten sie gegenüber Russland einen Vorteil, sagte Polens Ministerpräsident Donald Tusk. «Wir sind schlicht stärker.»
Einen Unsicherheitsfaktor bildeten erneut Viktor Orban und Robert Fico, die Ministerpräsidenten Ungarns und der Slowakei. Lange war nicht klar, ob sie eine Erklärung zur Unterstützung der Ukraine mittragen würden. Orban scherte erneut aus. Fico dagegen dürfte mit dem Versprechen gewonnen worden sein, dass sich die EU um die Energieprobleme seines Landes kümmern werde.
Gleichzeitig scheinen die übrigen EU-Länder angesichts der Gefahren nicht mehr bereit zu sein, sich von Orban und Fico ständig ins Bockshorn jagen zu lassen. Ungarns Blockadehaltung sei zwar schwierig, sagte Kaja Kallas, die EU-Aussenbeauftragte. Man strebe eine Erklärung von allen 27 Ländern zugunsten der Ukraine an. Wenn Ungarn aber nicht mitziehe, solle das Land halt für sich sprechen.
Das wichtigste Projekt, das die Regierungschefs behandelten, benötigt ohnehin nicht das Einverständnis aller EU-Länder. Es reicht die qualifizierte Mehrheit, also die Zustimmung von 15 der 27 Staaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Es geht um das Vorhaben der EU-Kommission, rund 800 Milliarden Euro für die Rüstung und die Militärhilfe an die Ukraine zu mobilisieren.
Es sieht erstens vor, dass sich die EU-Länder für Rüstungsausgaben nur noch teilweise an die Defizitgrenzen des Staatenbundes halten müssen. Zweitens will die EU am Kapitalmarkt 150 Milliarden Euro aufnehmen und dieses Geld den Mitgliedsländern als Kredite für die Rüstung zur Verfügung stellen. Am Donnerstagabend wurde das Paket nicht im Detail beschlossen, das dürfte aber am nächsten EU-Gipfel in zwei Wochen geschehen.
Es ist vor allem der amerikanische Präsident Donald Trump, der in der EU eine neue Dynamik ausgelöst hat. Die Regierungschefs des Staatenbundes haben sich von dem Schock, in den sie dessen Aktionen jüngst versetzt hatten, noch nicht erholt.
Vergangene Woche erniedrigte Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, als er mit ihm in aller Öffentlichkeit über einen Rohstoffvertrag zugunsten der Amerikaner stritt. Und vor wenigen Tagen gab der Präsident bekannt, dass man die Waffenlieferungen an die Ukraine zumindest vorläufig einstellen wolle.
Scholz will die Amerikaner dabei wissen
Doch so sehr sich die Europäer anstrengen werden, die Lücke werden sie nicht füllen können, falls Trump die Waffenlieferungen für eine längere Zeit unterbinden wird. Immerhin stammten 2024 rund 40 Prozent der Militärhilfe für die Ukraine von den USA.
Die Europäer bemühen sich deshalb weiterhin um eine möglichst einvernehmliche Kooperation mit dem Land. «Wir müssen mit kühlem und klugem Kopf Sorge tragen, dass die Unterstützung der USA gewährleistet ist», sagte Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Grossbritanniens Premierminister Keir Starmer setzen sich für ein halbwegs gutes Einvernehmen mit Trump ein. Selenski wollen sie in Gespräche mit ihm einbeziehen.
Die Europäer wollen also den Hausfrieden mit den USA wahren. Ihre Vorstellungen weichen von jenen der Amerikaner trotzdem teilweise weit ab. Die EU möchte in der Ukraine einen Frieden durch Stärke erreichen, und die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat am Donnerstag erneut darauf gedrängt, dass die territoriale Integrität der Ukraine gewahrt werden müsse. Die Amerikaner scheinen demgegenüber bereit zu sein, den Russen bei dieser Frage Zugeständnisse zu machen.
Es ist daher kein Wunder, dass zwischen Selenski und den Europäern ein fast ungetrübtes Verhältnis herrscht, mit der Ausnahme von Orban und Fico. Selenski war in Brüssel ebenfalls anwesend. Er sagte, er sei dankbar, dass er hier sein dürfe, und das seien mehr als nur Worte.
Alle Wünsche werden allerdings auch die Europäer den Ukrainern nicht erfüllen. Zwar anerkennen auch sie, dass das Land gegenüber Russland eine Sicherheitsgarantie benötigt. Vorerst soll diese aber nur durch Militärhilfe erfolgen. Für Diskussionen über europäische Truppen, die einen allfälligen Waffenstillstand überwachen, sei es dagegen zu früh, sagen Vertreter der EU. Diese Idee treiben vor allem Macron und Starmer voran.