Montag, November 25

Sollte Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen, wird die Ukraine zur aussenpolitischen Frage Nummer 1. Die Angst ist gross, dass er Kiew praktisch zu einer Kapitulation zwingen könnte.

Bei einer Rückkehr ins Weisse Haus hat Donald Trump einen schnellen Frieden «innerhalb von 24 Stunden» in der Ukraine versprochen. Er wolle dabei eine gute Lösung «für beide Seiten», sagt der republikanische Präsidentschaftskandidat. Wie eine solche Einigung genau aussehen soll, hat Trump bisher nicht erklärt. Gemäss Recherchen der «Washington Post» will er Kiew dazu drängen, die von Russland besetzte Krim und die Landbrücke mitsamt Donbass an Moskau abzutreten.

«Frieden gegen Territorium» soll demnach die Zauberformel lauten. Wobei Trump bis anhin vor allem den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski dazu drängt, in seinen Positionen nachzugeben: «Wir geben einem Mann weiterhin Milliarden von Dollars, der sich weigert, ein Abkommen auszuhandeln», meinte Trump bei einem Wahlkampfauftritt im September. Es wäre besser gewesen, Selenski hätte den russischen Forderungen vor dem Krieg nachgegeben: «Selbst der schlechteste Deal wäre besser gewesen als das, was wir jetzt haben.»

Trump trödelte bei den Russland-Sanktionen

Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris hat einen solchen Tauschhandel scharf verurteilt. Trumps Ideen würden keinen Frieden bringen: «Es handelt sich um Vorschläge für eine Kapitulation. Das ist gefährlich und inakzeptabel.» Auch der republikanische Senator Lindsey Graham hält die Strategie für falsch. Er versuche dies Trump immer wieder zu erklären. Der russische Diktator Wladimir Putin müsse einen Preis für seine Aggression bezahlen: «Er darf am Ende nicht gewinnen.»

Trump behauptet bei Wahlkampfauftritten derweil, dass «niemand härter mit Russland» umgegangen sei als er in seiner ersten Amtszeit. Gewöhnlich nennt er dabei die von seiner Regierung angedrohten Sanktionen gegen den zweiten Strang der Ostseepipeline – Nord Stream 2. «Ich habe die grösste Pipeline der Welt stillgelegt», sagte Trump etwa in einem Interview mit dem konservativen Fernsehsender Fox News im September. Doch dann sei Biden – «diese erbärmliche Person» – ins Amt gekommen und habe die Sanktionen gegen die Gaspipeline wieder aufgehoben.

Der ehemalige amerikanische Diplomat Colin Cleary erzählt diese Geschichte jedoch ganz anders. Trump habe den Bau der Pipeline nicht verhindert, sondern geradezu ermöglicht, meint der heutige Dozent für internationale Politik an der George Washington University im Gespräch. Cleary war in seiner Laufbahn in Polen, Moskau und Kiew stationiert. Von 2018 bis 2020 war er im amerikanischen Aussenministerium als Direktor für die europäische Energiepolitik zuständig.

Warnung eines früheren Chefdiplomaten

Cleary verweist auf ein gegen Russland, Iran und Nordkorea gerichtetes Sanktionsgesetz, das der Kongress 2017 verabschiedet hatte. Es erlaubte dem Präsidenten unter anderem auch, Strafmassnahmen gegen den Bau von Exportpipelines zu ergreifen. Doch Trumps erster Aussenminister Rex Tillerson habe die Vorgabe formuliert, dass nur künftige und nicht bereits aufgegleiste Pipelineprojekte mit Sanktionen belegt werden sollen. Dadurch sei Nord Stream 2 in Trumps Amtszeit von 0 auf bis zu 90 Prozent fertiggestellt worden.

Erst als Republikaner und Demokraten gemeinsam im Kongress 2019 eine Bestimmung zur Belegung des Pipelinebaus mit Sanktionen ins Budgetgesetz für den Verteidigungshaushalt geschrieben hätten, sei Trump quasi gezwungen gewesen, diese zu unterzeichnen. Das Gesetz drohte Unternehmen mit Strafmassnahmen, die Schiffe zur Verlegung von Pipelineröhren in der Ostsee bereitstellten. Die Drohung wirkte zumindest verzögernd: «Es stoppte das Projekt, aber zu diesem Zeitpunkt war die Pipeline fast komplett gebaut», erzählt Cleary. Russische Schiffe hätten danach die noch fehlenden Röhren verlegt.

Cleary sieht für die Ukraine schwarz, falls Trump die Wahl gewinnt. Sollte ein Abkommen den russischen Landraub anerkennen, sieht er darin einen gefährlichen Präzedenzfall. Vor allem, weil Putin für seine konstanten Drohungen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen belohnt würde. Der russische Diktator habe dem Westen im Grunde gesagt: «Lasst uns tun, was wir wollen, auch wenn es komplett illegal ist, oder wir treffen euch mit einer Atombombe.» Wenn Putin damit durchkomme, stelle sich die Frage: «Was kommt als Nächstes?»

Internationalisten prägten die Aussenpolitik

Cleary räumt indes auch ein, dass Trump mindestens in einem Punkt gegenüber Russland wesentlich mutiger auftrat als etwa sein demokratischer Amtsvorgänger Barack Obama. Im Dezember 2017 erlaubte Trump erstmals die Lieferung von tödlichen Waffen in die Ukraine, in diesem Fall Panzerabwehrraketen des Typs Javelin. Obamas Appeasement gegenüber Putin sei verfehlt gewesen, meint Cleary.

Gemäss einer Recherche der Zeitschrift «Foreign Policy» sträubte sich Trump indes zunächst gegen die Javelin-Lieferung. Laut den Angaben soll ihn sein Berater für nationale Sicherheit, H. R. McMaster, davon überzeugt haben, indem er die wirtschaftlichen Vorteile für die USA betonte. In seinem neuen Buch «At War with Ourselves» beschreibt der ehemalige General sein Vorgehen. Er wisse, dass Putin ihm empfohlen habe, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, wenn er Frieden wolle, sagte McMaster zu Trump. Aber die Geschichte habe gezeigt: «Was Putin provoziert, ist der Anschein von Schwäche.»

McMaster legte dem Präsidenten danach eine Zeitachse vor mit Ereignissen, die amerikanische Signale der Schwäche und russische Aggressionen aufzeigten: zum Beispiel die wachende Opposition gegen den Irak-Krieg und der russische Einmarsch in Georgien 2008 oder Obamas nicht durchgesetzte rote Linien im Syrien-Krieg und die folgende Annexion der Krim. McMaster präsentierte Trump auf einem Papier drei Optionen zur Auswahl: 1. keine Javelins, 2. eine volle Lieferung, finanziert durch amerikanische Militärhilfen, 3. eine halbe Lieferung mit Hilfsgeldern, und die Ukraine kauft die andere Hälfte. Trump entschied sich für die dritte Variante.

Das Beispiel zeigt, wie entscheidend es sein könnte, auf welche Berater Trump in einer möglichen zweiten Amtszeit hören wird. McMaster beschreibt in seinem Buch eindrücklich, wie der Präsident im Weissen Haus in seiner Meinung oft hin- und hergerissen war zwischen den Ratschlägen rechtsnationalistischer Ideologen wie Steve Bannon oder Stephen Miller auf der einen Seite und seinen aussen- und sicherheitspolitischen Strategen wie McMaster auf der anderen Seite.

Nicht nur Trumps Sicherheitsberater, auch sein zweiter Aussenminister Mike Pompeo, sein Vizepräsident Mike Pence oder seine Uno-Botschafterin Nikki Haley waren traditionelle Internationalisten und keine Isolationisten. Sie versuchten die «Instinkte» ihres impulsiven Präsidenten, so gut es ging, in durchdachte Bahnen zu lenken. Trumps Weltsicht sei in zwei Punkten problematisch, soll Pompeo zu McMaster gesagt haben: «Er unterschätzt den Wert von Allianzen, und er tendiert zur moralischen Gleichsetzung, wenn er die Bedrohung durch autoritäre Mächte diskutiert.»

Vance sieht die USA als neutralen Vermittler

Wen Trump nach einem möglichen Wahlsieg in seine Regierung berufen wird, lässt sich bis jetzt schwer abschätzen. Klar ist indes, dass er mit J. D. Vance nun einen Vizepräsidenten und loyalen Vertrauten an seiner Seite hätte, der zu den frühen Kritikern der amerikanischen Unterstützung für Kiew gehörte. Im September skizzierte er einen lückenhaften Friedensplan. Laut diesem sollte Russland die Gebiete behalten, die es derzeit besetzt hat. Eine demilitarisierte und stark befestigte Zone entlang der derzeitigen Frontlinie soll die Waffenruhe garantieren. Wobei die Ukraine gleichzeitig auf einen Nato-Beitritt verzichtet. Wer die Demarkationslinie sichern soll, liess Vance indes offen. Zudem scheint er die Rolle der USA als neutralen Vermittler zu verstehen: «Die Ukraine, die Europäer und die Russen müssen herausfinden, wie eine friedliche Lösung aussehen soll.»

Ob Trump mit den von Vance geschilderten Details einverstanden ist, bleibt unklar. Es gibt auch ein Zitat von ihm, das etwas hoffnungsvoller stimmt. In einem Interview im Juli 2023 meinte Trump, er werde zu Putin sagen: «Wenn du nicht in ein Abkommen einwilligst, werden wir ihnen (den Ukrainern) viel mehr (Waffen) geben, als sie je bekamen.»

Für eine verlässliche Prognose ist Trump indes schlicht zu unberechenbar. McMaster beschreibt ihn als eine «konträre» Persönlichkeit. Als jemand, der aus Prinzip und Lust immer gerne das Gegenteil von dem tut und sagt, was von ihm erwartet und als angebracht gesehen wird.

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