Donnerstag, Februar 13

Die USA lassen die Ukraine im Stich und schieben das Problem an die überforderten Europäer ab. Präsident Trump setzt damit sein Wahlkampfversprechen um. Ein echter Frieden rückt in weite Ferne.

Dass der Wahlsieg Donald Trumps einen Kurswechsel in der amerikanischen Ukraine-Politik auslösen würde, war immer klar. Trump hatte im Wahlkampf deutlich genug gemacht, dass ihm die Zukunft dieses fernen Landes egal ist und er die Dollarmilliarden für den Abwehrkampf gegen Russland als reine Verschwendung betrachtet.

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Nun hat er in einem langen Telefonat mit dem Kremlchef Putin den ersten Schritt zur Umsetzung seiner Ideen unternommen: Die USA und Russland haben sich auf die sofortige Aufnahme von Friedensverhandlungen geeinigt. Diese finden vorerst über die Köpfe der Ukrainer hinweg statt – geplant sind Treffen zwischen amerikanischen und russischen Delegationen, auch Gipfeltreffen in Moskau und Washington. Putin darf bereits davon träumen, den amerikanischen Präsidenten im Mai bei den Prunkfeiern zum Sieg gegen Nazideutschland vor achtzig Jahren auf der Ehrentribüne am Roten Platz zur Seite zu haben.

Trump stellt das Ganze als grossen Schritt in Richtung Frieden dar, aber zunächst hat er einfach dem Feind des Westens einen Prestigeerfolg zugeschanzt: Putin wird faktisch rehabilitiert; dass er der grösste Kriegsverbrecher der Gegenwart ist, findet mit keinem Wort mehr Erwähnung. Zudem entspricht das Vorgehen Trumps ganz Putins Weltsicht – die Grossen teilen die Macht und ihre Einflusssphären untereinander auf; die Kleinen und Schwachen sind lediglich Manövriermasse. Putin erobert sich den ersehnten Platz am Tisch der Weltmächte zurück.

Amerika zieht sich in Europa auf eine Nebenrolle zurück

Gewiss: Um Leben zu retten und Frieden zu erreichen, muss man sich manchmal mit den übelsten Figuren zusammensetzen. Aber die USA tun dies aus einer Position der Schwäche. Nur schon um die Russen gesprächswillig zu stimmen, kapitulieren die Amerikaner in zentralen Fragen. Der neue Verteidigungsminister Pete Hegseth formulierte diese Punkte gleichentags bei seinem Antrittsbesuch in Europa: Die Ukraine muss im Rahmen einer Friedenslösung auf Territorien verzichten und darf der Nato nicht beitreten.

Mehr noch: Die USA ziehen sich in Europa, ganz wie es Putin vor dem Krieg gefordert hatte, auf eine Nebenrolle zurück. «Klare strategische Realitäten verunmöglichen es den Vereinigten Staaten, Hauptgarant der Sicherheit in Europa zu sein», sagte Hegseth in Brüssel. Das ist eine Zäsur nach acht Jahrzehnten amerikanischer Dominanz in der Sicherheitsarchitektur des Kontinents.

Konkret bedeutet es laut dem Pentagonchef, dass sich die USA weder an einer Schutztruppe zur Absicherung eines Waffenstillstands in der Ukraine beteiligen werden, noch den Europäern eine Hilfszusage geben für den Fall, dass ihre Friedenskontingente unter russischen Beschuss kommen. Europa muss alleine schauen, wie es mit der russischen Gefahr zurechtkommt, während Amerika sich auf China und den Pazifikraum konzentrieren will. Die Nato besteht formal zwar weiter. Aber ohne amerikanische Rückendeckung in der zentralen Sicherheitsfrage des Kontinents droht die ganze Konstruktion auseinanderzubrechen.

Putin kann sich angesichts der amerikanischen Konzessionen beglückwünschen. Es liegt in der Logik von Verhandlungen, dass dies erst ein Vorgeschmack ist und Russland noch weit mehr herausholen wird. Putin will sich nicht mit einem blossen Einfrieren des Krieges begnügen, sondern fordert grössere territoriale Zugeständnisse, einen Regierungswechsel in Kiew und die weitgehende Abrüstung der ukrainischen Armee. Möglicherweise ist sein Appetit nun so sehr geweckt, dass er die Unterwerfung der gesamten Ukraine anstrebt. Amerikanisches Desinteresse und europäische Führungslosigkeit dürften ihn in seinen Maximalforderungen bestärken.

Wie leicht sich Trump, der prahlerische «Meister der Verhandlungskunst», über den Tisch ziehen lässt, hat Putin im Kleinen soeben erlebt: In einem Gefangenenaustausch erreichte der Kreml diese Woche die Freilassung eines in den USA inhaftierten Russen. Der Mann hat Verbindungen zum Regime, ist ein Milliardenbetrüger und prominenter Cyberkrimineller. Im Gegenzug musste Moskau nur einen kleinen Fisch hergeben, einen wegen einer Lappalie in die Mühlen der russischen Justiz geratenen amerikanischen Lehrer. Für Trump spielt das keine Rolle; wichtiger war ihm, die Befreiung dieser Geisel als Grosserfolg herausposaunen zu können.

Putin steht nicht unter Druck

Derselbe Drang des Weissen Hauses, vorschnell einen Durchbruch zu vermelden, dürfte sich auch im Grossen zeigen, in den kommenden Friedensverhandlungen. Darin liegt allerdings auch die Quelle eines möglichen Scheiterns. Trump und Putin verfolgen letztlich sehr unterschiedliche Ziele.

Während dem Amerikaner ein rascher Waffenstillstand wohl am liebsten ist, um sich dann anderen Dingen zuwenden zu können, hat der Kreml ein Interesse daran, auf Zeit zu spielen. Militärisch steht Russland nicht unter Druck für schnelle Kompromisse. Es kann den Preis für einen Waffenstillstand immer weiter hochtreiben, unter anderem mit der Forderung nach einem Ende der Sanktionen. Gut möglich ist zugleich, dass Putin in vorgespielter Kompromissbereitschaft einer temporären Waffenruhe zustimmt, aber Sicherheitsgarantien für die Ukraine verhindert. Das Resultat wären ein Scheinfrieden und ein sicherheitspolitisches Vakuum, in dem Russland militärisch jederzeit von neuem zuschlagen könnte.

Das letzte Gipfeltreffen mit Russland sollte den Amerikanern eine bittere Lehre sein. Das Gespräch zwischen Biden und Putin im Juni 2021 in Genf wurde in vielen Medien als weltpolitisches Grossereignis dargestellt, aber seine wahre Bedeutung erschloss sich erst später: Es diente den Russen als Mittel der Täuschung, zum Vorgaukeln von Kooperation, während sie in Wirklichkeit bereits den Überfall auf die Ukraine planten. Trump argumentiert selbstverständlich, dass ihm dies nie passiert wäre. Aber seine eigenen Gipfel-Erfahrungen mahnen zur Skepsis. Aus Gier nach Selbstdarstellung traf er sich 2018 mit dem Diktator Kim Jong Un und erklärte die nordkoreanische Gefahr danach für beseitigt. In Wirklichkeit ist die Bedrohung durch Kims Atomwaffen seither weiter gewachsen.

Früher oder später wird Trump erkennen müssen, dass seine Verhandlungsmacht gegenüber Russland zu gering ist, um einen auch für die USA günstigen Frieden zu erreichen. Er ist bisher vor allem mit Nachgiebigkeit aufgefallen. Als mögliche Druckmittel hat er lediglich wirtschaftliche Instrumente ins Spiel gebracht, primär die Idee, Russlands Erdöleinnahmen zu bremsen. Aber Putin hat zur Genüge bewiesen, dass er die Wirtschaft seinen machtpolitischen Zielen unterordnet und Sanktionen zu unterlaufen vermag. Beeindrucken werden ihn nur die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld. Trump will bis anhin nichts von weiterer amerikanischer Militärhilfe an die Ukraine wissen, aber dies wäre das stärkste Druckmittel, um die Russen kompromisswillig zu stimmen.

Europa muss sein Schicksal in die eigene Hand nehmen

Mit einem raschen Umdenken in Washington ist nicht zu rechnen. Anders als in seiner ersten Amtszeit wird Trumps Appeasement-Kurs weder von besonnenen Beratern noch von einer innerparteilichen Opposition konterkariert. Soeben hat der Präsident seinen Ukraine-Sondergesandten Keith Kellogg auf ein Nebengleis geschoben – jenen Mitarbeiter, der bisher am deutlichsten von der Notwendigkeit einer starken, mit westlichen Waffen ausgerüsteten Ukraine gesprochen hatte.

In der Republikanischen Partei herrschen zudem Duckmäusertum und Angst vor dem Zorn des Präsidenten. Hatten gradlinige Sicherheitspolitiker der Partei vor acht Jahren noch unbeirrt Russland-Sanktionen hinter dem Rücken Trumps beschlossen, so ist dieses Lager heute fast unhörbar. Nichts illustriert den Wandel drastischer als die Senatsabstimmung über die neue Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard, eine unverhohlen Kreml-freundliche, zu Verschwörungstheorien neigende und sich vor allem durch ihre Trump-Loyalität auszeichnende Politikerin. In der «klassischen» Grand Old Party hätte jemand wie sie keine Chance auf eine solche Schlüsselposition gehabt. Nun jedoch war der 83-jährige frühere Senatsführer Mitch McConnell der einzige Republikaner, der sich zu einem Nein aufraffen konnte.

Europa kann die Zeitenwende in Washington bedauern, aber muss sie als Realität anerkennen. Dies bedeutet, die von Amerika hinterlassene sicherheitspolitische Lücke notdürftig auszufüllen. Derzeit ist nicht erkennbar, wie sich die Europäer ohne die Führung und die militärische Macht Amerikas zusammenraufen könnten. Auch in manchen europäischen Hauptstädten wird die Versuchung gross sein, den Wählern eine Pseudodiplomatie oder einen Scheinfrieden als Lösung zu verkaufen. Aber an höheren Militärausgaben, einer Ankurbelung der Rüstungsindustrie, einer Stärkung der Ukraine und der Bereitschaft zur Schaffung einer Schutztruppe für dieses Land wird nichts vorbeiführen, wenn Europa eine glaubwürdige Kulisse der Abschreckung gegen Putins Imperialismus aufbauen will.

Es ist die Zeche für jahrzehntelange Versäumnisse und Illusionen über Russland. Die brutale Alternative lautet, den vermeintlichen «Friedenskontinent» Europa langfristig in einen Hort der Unsicherheit zu verwandeln.

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