Dienstag, November 5

Während erste Wählerdaten Kamala Harris hoffen lassen, sagt Trump einen unvermeidbaren Erdrutschsieg voraus und sät Zweifel am Wahlsystem. Es ist fast das gleiche Drehbuch wie 2020.

In den Umfragen steht es unentschieden. Auch in den sieben Swing States – Nevada, Arizona, North Carolina, Georgia, Wisconsin, Michigan und Pennsylvania – liegen Kamala Harris und Donald Trump praktisch Kopf an Kopf. Trotzdem vermitteln der republikanische Präsidentschaftskandidat, konservative Medien und Influencer ihrem Publikum das Gefühl, dass es am 5. November nur einen ganz klaren Sieger geben könne: Donald Trump.

Vergangene Woche machte Trump gar Wahlkampf in New Mexico. Der Gliedstaat gilt als sichere Hochburg der Demokraten. Harris führt dort in den Umfragen im Schnitt mit einem Vorsprung von knapp 7 Prozentpunkten. Doch Trump sagte zu seinen jubelnden Anhängern: «Eure Stimmen werden manipuliert. Wir können New Mexico gewinnen.» Ohne Betrug könne er auch in anderen demokratisch dominierten Gliedstaaten obsiegen: «Würde Gott die Stimmen zählen, würden wir in Kalifornien gewinnen.»

Ein grosser Gender-Gap in der «early vote»

«Wir liegen mit Abstand in Führung», wiederholt Trump immer wieder. Und in Arizona meinte er vergangene Woche: «Das Einzige, was uns stoppen kann, ist Betrug.» In Pennsylvania sagte er am Sonntag: «Sie arbeiten hart daran, dieses verdammte Ding zu stehlen.» In einem Wahlkreis seien bereits gefälschte Wahlzettel und Formulare gefunden worden.

Trump und seine Wahlkampfberater begründen ihre Zuversicht einerseits mit den jüngsten Umfrageresultaten. «Trumps Position ist national und in jedem Swing State signifikant besser als vor vier Jahren», heisst es in einer internen Analyse seines Wahlkampfteams. Damals, 2020, lag Biden in den Umfragen mit über 8 Prozentpunkten in Führung, aber am Ende gewann der Demokrat die Wahl nur knapp. Trump setzt offensichtlich darauf, dass ihn die Meinungsforscher erneut unterschätzen.

Anderseits begründen republikanische Beobachter ihren Optimismus mit den Daten zu den bereits eingegangenen Wahlzetteln. Über 76 Millionen Amerikaner haben ihre Stimme bereits eingelegt – entweder brieflich oder persönlich in einem Wahllokal. Aus den Zahlen zur sogenannten «early vote» geht hervor, dass wesentlich mehr Republikaner nun vor dem Wahltag abstimmen als noch vor vier Jahren. Damals riet Trump seinen Anhängern von der Briefwahl ab, weil sie anfällig für Betrügereien sei. Das kostete ihn womöglich Stimmen. Jetzt riefen er und seine Partei deshalb dazu auf, möglichst früh zu wählen. Und viele scheinen dem Ruf zu folgen. Aufgrund dieser Daten prophezeite der Milliardär und Trump-Unterstützer Elon Musk kürzlich einen «vernichtenden Sieg» für den Republikaner.

Der demokratische «Daten-Guru» Tom Bonier zieht aus den frühen Wählerdaten jedoch ganz andere Schlüsse. Im Swing State Pennsylvania etwa hätten vor vier Jahren 48 Prozent der jetzigen frühen republikanischen Wähler am Wahltag abgestimmt und 44 Prozent per Briefwahl. Dies deute darauf hin, dass die Republikaner kaum neue Wählergruppen für die «early vote» hätten mobilisieren können. Es handelt sich demnach lediglich um eine Verschiebung derselben Stimmen vom Wahltag zur «early vote».

Positiv für Harris scheint zudem der hohe Frauenanteil zu sein. In den Swing States haben bis zum Wahltag 10 Prozent mehr Frauen als Männer gewählt: rund 55 zu 45 Prozent. Dies entspricht etwa demselben Gender-Gap wie vor vier Jahren. Doch Bonier meinte gegenüber «USA Today»: «Die demokratischen Frauen scheinen entschlossener zu sein. Obwohl der republikanische Stimmenanteil höher ist, bleibt dieser Gender-Gap bestehen.»

Auch eine neue Umfrage im ländlichen Iowa dürfte Harris gefallen. Trump gewann diesen Gliedstaat 2016 und 2020. Doch die von der renommierten Meinungsforscherin Ann Selzer durchgeführte Erhebung sieht nun Harris mit 47 zu 44 Prozent in Führung. Vor allem parteiunabhängige Frauen sorgen für den Aufschwung der Demokratin. Volle 57 Prozent von ihnen unterstützen nun Harris, nur 29 Prozent wollen Trump wählen.

Spekulationen um ein «kleines Geheimnis»

Es kann sein, dass die Umfragen Trump auch dieses Jahr unterschätzen. Im Unterschied zur Wahl vor vier Jahren belasten ihn jedoch zwei grosse Themen: einerseits sein Versuch, das Wahlresultat 2020 umzustürzen; anderseits seine Mitverantwortung für die Beendigung des nationalen Rechts auf Abtreibung im Juni 2022 durch den Supreme Court. Es könnte deshalb auch sein, dass in diesem Jahr Harris von den Meinungsforschern unterschätzt wird, weil auch unerwartet viele moderate Konservative für die Demokratin stimmen könnten.

Besorgte Demokraten sehen in Trumps bombastischen Prophezeiungen eines überwältigenden Sieges deshalb vor allem den Versuch, die Grundlage für einen erneuten «Putschversuch» gegen das Wahlresultat zu legen, sollte er verlieren. Gemäss der «New York Times» gehen einige seiner einflussreichsten Berater davon aus, dass er auch in diesem Jahr den Sieg für sich beanspruchen könnte, bevor alle Stimmen ausgezählt sind.

Mehrere Faktoren sprechen gegen eine Wiederholung eines Capitol-Sturms. Insbesondere sitzt Trump nun nicht im Weissen Haus und kann die Macht des Amtes nicht für einen Umsturz des Wahlresultats einsetzen. Trotzdem sorgte der republikanische Präsidentschaftskandidat für Aufsehen, als er kürzlich von einem «kleinen Geheimnis» sprach, das er mit dem Speaker des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, teile. Dieses Geheimnis werde einen grossen Einfluss haben, meinte Trump.

Seither spekulieren die Medien darüber, ob Trump und Johnson etwas im Schilde führen. Als Vorsitzender der grossen Parlamentskammer spielt Johnson bei der endgültigen Zertifizierung des Wahlresultats allerdings keine entscheidende Rolle, und vielleicht wird er gar nicht mehr Speaker sein, sollten die Demokraten eine Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen. Gleichzeitig scheinen Trumps laute Betrugsvorwürfe ein klares Zeichen zu sein, dass er eine Wahlniederlage nicht einfach hinnehmen wird. Zumal für ihn persönlich mehr auf dem Spiel steht als 2020. Gewinnt Harris, dann wird auch der Sonderermittler Jack Smith im Amt bleiben. Seine Anklagen wegen des Capitol-Sturms und der Unterschlagung von Geheimdienstdokumenten könnten für Trump mit Gefängnisstrafen enden. Wie der ehemalige Präsident vorgehen würde, ist schwer abschätzbar. Aber seine Lügen könnten erneut – zumindest sporadisch – in Gewalt seiner wütenden Anhänger enden.

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