Samstag, Februar 22

Drei Jahre schaute der Westen zu, wie Russland die Ukraine zermürbt. Da ist ein Frieden auf der Basis der machtpolitischen Realitäten besser.

Donald Trump hat Wort gehalten. Zwar endete der Ukraine-Krieg nicht einen Tag nach seiner Wahl, wie er gar vollmundig angekündigt hatte. Aber nur einen Monat nach seiner Vereidigung beginnen Gespräche zwischen den USA und Russland. In den Begriffen der Diplomatie ist das geradezu Lichtgeschwindigkeit.

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Das ist auch deutlich mehr, als sein Vorgänger Joe Biden hinbekommen hat – ganz zu schweigen von den Europäern. Diese kritisieren zwar laut, dass sie bei den Verhandlungen nicht dabei sind. Aber sie hatten drei Jahre Zeit, das Sterben zu stoppen.

Es waren drei Jahre der halbherzigen Unterstützung Kiews. Zwar gab es Geld und Waffen, aber im Verhältnis zum gesamteuropäischen Bruttoinlandprodukt in einem beschämend geringen Ausmass.

Putin ist jetzt wichtiger als die Eitelkeit der Europäer

An grossen Worten fehlte es nie, an entschlossenen Taten schon. Daher spricht aus ihrem trotzigen Gegen-Gipfel zu den russisch-amerikanischen Verhandlungen mehr verletzte Eitelkeit als die Sorge um das Wohl der Ukraine.

Die US-Regierung tut gut daran, die europäischen Empfindlichkeiten zu ignorieren und sich auf Moskau zu konzentrieren. Wladimir Putin befindet sich in einer Position der Stärke. Seine Truppen rücken im zentralen Frontabschnitt vor. Der Nachschub ist vorerst gesichert; die Wirtschaft kollabiert auch im vierten Kriegsjahr nicht.

Natürlich sterben die russischen Soldaten wie die Fliegen. Das aber hat den Kreml noch nie sonderlich bekümmert. Putin kann es sich leisten, abzuwarten. Er benötigt keinen Frieden, wenigstens nicht jetzt.

Trump umschmeichelt daher den Zaren. Dass er direkt mit Washington verhandeln kann, ist für ihn der Jackpot. Denn der Kreml sieht sich auf Augenhöhe mit den USA. Die EU, diesen komplizierten Bund ewig uneiniger Staaten, betrachtet Putin (wie vor ihm Jelzin) nicht als gleichwertig.

Russland huldigt dem klassischen Grossmachtdenken. Die Idee, Europa unter den Grossen aufzuteilen, ohne die Kleinen beizuziehen, gefällt Putin und Trump. Dieser attackiert mit einer verstörenden Mischung aus Halbwahrheiten und Lügen Wolodimir Selenski, weil der zu Recht einen Platz am Verhandlungstisch verlangt.

Aber noch ist es zu früh, zu behaupten, dass der US-Präsident die Ukraine im Stich lässt. Wäre dem so, müsste er nicht verhandeln, sondern könnte den Kurs Bidens fortsetzen: Kiew bekam zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Fatalistisch schaute der Westen zu, wie Moskau die Ukraine zermürbt.

Da ist selbst ein prekärerer Frieden auf der Basis der machtpolitischen Realitäten besser. Ohnehin stehen die Verhandlungen erst am Anfang. Statt alles zu zerreden, sollte man erst ihr Resultat abwarten.

Trump will den Krieg schnell beenden, weil er ihn als Ablenkung betrachtet. Im Zentrum seines Denkens steht China. Darin ist er bemerkenswert konsistent. Manchmal ist er das pure Gegenteil des sprunghaften Sonnenkönigs, als der er gerne porträtiert wird.

Schon am G-7-Gipfel 2017 beklagte sich der Präsident, dass die Ukraine auf der Tagesordnung stand. Das sei keine Angelegenheit der Amerikaner und der Japaner, beschied er die Europäer. Diese waren also gewarnt. Dennoch vertrödelten sie acht wertvolle Jahre.

Militärische Macht bedeutet auch diplomatische Stärke. Die Europäer ignorierten das lange und müssen sich daher mit den billigen Plätzen begnügen.

Nach der russischen Annexion der Krim denunzierte Berlin Forderungen nach Waffenlieferungen an Kiew als «Kriegstreiberei» und «Säbelrasseln». Der moralische Zeigefinger ist hoch erhoben, die strategische Voraussicht geht gegen null. Warum sollten die USA auf solche Bundesgenossen Rücksicht nehmen?

Vielleicht wiederholt sich München 1938, und man reagiert auf die Unverschämtheiten eines Diktators wieder mit Appeasement. Das ist möglich. Doch für Trump geht es jetzt vor allem darum, dass Putin nicht den Gesprächen den Rücken kehrt. So scheint sich das Weisse Haus darauf einzulassen, auch andere Fragen zu besprechen: die europäische Sicherheitsarchitektur etwa oder den Nahen Osten. Am Ende könnte hier der eigentliche Sprengstoff liegen.

Trump ist ein gebranntes Kind. In seiner ersten Amtszeit traf er sich mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un, weil er glaubte, dieser sei zu einem «Deal» bereit: Verzicht auf Atomwaffen gegen Aufhebung der Sanktionen. Doch Kim hatte nichts dergleichen im Sinn. Am Schluss stand Trump blamiert da.

Eine solche Pleite kann er sich mit Putin nicht leisten. Trump hat sich unter hohen Erfolgsdruck gesetzt. Ein Diktatfrieden zu Putins Bedingungen liesse ihn genauso schwach aussehen wie gar keine Vereinbarung.

Muss man über jedes Stöckchen springen, das Washington hinhält?

In diesem Kontext sind zwei Zugeständnisse zu sehen, die Trump vor Gesprächsbeginn gemacht hat. Washington schliesst einen Beitritt der Ukraine zur Nato aus und akzeptiert, dass Moskau die besetzten Gebiete vorderhand behält.

So gross sind die Konzessionen allerdings nicht. Erstens gab Moskau noch nie Gebiete preis, die es mit Waffengewalt erobert hat. Zweitens dachte Washington nie auch nur im Traum daran, ein förmliches Schutzversprechen für Kiew abzugeben.

Auch die Europäer waren nie dazu bereit, die ukrainische Freiheit mit dem eigenen Leben zu verteidigen. Das hindert sie freilich nicht daran, die angebliche amerikanische Nachgiebigkeit zu verurteilen. Heuchelei in Sicherheitsfragen war schon immer eine Untugend der Europäer.

Trump baut Partnerschaften nicht auf Werten auf, sondern auf Nutzen. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Dafür hätte es jedenfalls keine Brandrede von Vizepräsident Vance in München gebraucht. Weil aber die Europäer unfähig sind, strategisch zu handeln, arbeiten sie sich jedes Mal aufs Neue an den Provokationen Washingtons ab. Das wirkt reichlich infantil.

Dabei liegt in dem opportunistischen Umgang mit Bündnissen auch eine Chance. Wenn sich die Europäer verpflichten, einen Waffenstillstand zu überwachen, wird Trump den Wert der Nato genauso umstandslos anerkennen, wie er sie jetzt beiseiteschiebt.

Bisher konnten sich die Europäer nie auf eine gemeinsame Schutztruppe verständigen. Auch das gehört zum Kollateralnutzen von Trumps Blitz-Diplomatie. Er schafft Handlungszwänge. Gegenwärtig werden exorbitante Truppenstärken genannt, die angeblich zur Kontrolle der Demarkationslinie nötig sind. Die Aufgabe der nächsten Monate wird darin bestehen, das Wünschbare an das Machbare anzupassen.

Dass die personellen Ressourcen der Nato ohne die USA überschaubar sind, ist unbestritten. Daher sollten Länder wie Deutschland die Wehrpflicht wieder einführen. Der kalte Krieg mit Russland wird lange dauern. Dafür muss man sich wappnen mit mehr Soldaten und besserer Ausrüstung. (Das gilt auch für die Schweiz.) Das wird zu mehr Schulden führen, aber Europa muss jetzt seine Machtbasis stärken.

Wenn die EU nicht nur kritisieren, sondern auch handeln will, gibt sie der Ukraine eine konkrete Perspektive: weniger als eine Vollmitgliedschaft, mehr als eine Assoziierung. Das wäre auch ein Angebot an die Türkei.

Putin wird sich den Kontinent nicht untertan machen, sofern Europa (inklusive der Schweiz) die Kraft zu einem neuen Marshall-Plan aufbringt. Dazu gehört der Wiederaufbau der Ukraine. Alle wollen ihr helfen, aber jeder wird entschuldigend auf seine leeren Kassen verweisen. Deshalb ist der wichtigste Beitrag, den die EU zum Frieden leisten kann, die Stärkung ihrer Wirtschaftskraft. Ob Green Deal oder Lieferkettengesetz: Die Abschreckungsfähigkeit des Bürokratiemonsters Brüssel ist gering. Ohne robustes Wachstum gibt es auf Dauer keine angemessene Verteidigung.

Bei Trump weiss man nie, woran man ist.

Europa benötigt daher eine Rückversicherung für den Fall, dass die USA ihre Schutzgarantie inklusive Nuklearschirm aufkündigen. Atomwaffen sind die ultimative Lebensversicherung. Diese hat an Aktualität nichts verloren, wie der Ukraine-Krieg in aller Brutalität aufzeigt.

Seit zehn Jahren diskutiert Europa, ob die Nuklearmächte Grossbritannien und Frankreich einen Reserve-Schirm aufspannen können. Seit zehn Jahren hakt es an zwei Punkten. Paris und London wollen ihre alleinige Verfügungsgewalt über die Waffen nicht aufgeben. Berlin und die anderen Staaten wollen möglichst wenig für den Schutz zahlen. Es ist das typische europäische Strategie-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Trump ist wirklich nicht das grösste Problem, das der alte Kontinent heute hat.

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