Dienstag, März 4

Jürg Lauber stoppte eine proisraelische NGO-Vertreterin, die Hamas-Mörder «palästinensische Barbaren» nannte. Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, was im Menschenrechtsrat gesagt werden darf – und was nicht.

«Absolute Schande.» Mit diesen Worten hat Elise Stefanik, die vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump nominierte, aber noch nicht bestätigte Uno-Botschafterin, den Schweizer Präsidenten des Uno-Menschenrechtsrats, Jürg Lauber, kritisiert.

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Auf X verlinkte Stefanik einen Artikel von Fox News darüber, wie Lauber die Stellungnahme einer proisraelischen NGO-Vertreterin erst unterbrach, dann beendete. Der Uno-Menschenrechtsrat versuche die Wahrheit zu zensieren, schrieb Stefanik, die Vereinten Nationen seien antiisraelisch. Deshalb habe Trump den Rückzug der USA aus dem Uno-Menschenrechtsrat eingeleitet.

Was war passiert? Am 27. Februar leitete Jürg Lauber, der seit Anfang Jahr dem Menschenrechtsrat vorsitzt, einen «interaktiven Dialog» zu den besetzten Palästinensergebieten. Daran konnten, neben staatlichen Delegierten, auch Vertreter von bei der Uno akkreditierten NGO teilnehmen. Etwa Anne Bayefsky, die Direktorin des amerikanischen Touro Institute on Human Rights and the Holocaust mit Sitz in New York.

Präsident Lauber unterbricht NGO-Video ein erstes Mal

Bayefsky hatte ihre Stellungnahme vorab per Videobotschaft eingereicht, wie das seit Covid möglich ist. Sie begann mit dem Satz: «Die Welt weiss nun, dass palästinensische Wilde das neun Monate alte Baby Kfir ermordet haben . . .» Der Satz endete abrupt, weil der Präsident Lauber das Video anhalten liess.

«Entschuldigung, ich muss unterbrechen», sagte Lauber in den Saal. «Ich muss alle Redner dazu anhalten, eine Sprache zu benutzen, die der Würde unserer Diskussionen hier zu Menschenrechten entspricht.» Jeder habe das Recht, seine Meinung zu sagen, aber nur mit «angemessener Terminologie» im Sinne von «Toleranz und Respekt».

Lauber liess das Video weiterlaufen. Die NGO-Vertreterin Bayefsky erwähnte Kfirs vier Jahre alten Bruder Ariel, der ebenso wie die Mutter der beiden am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen entführt worden war. «Palästinensische Barbaren verstümmelten ihre kleinen Körper . . .» Mehr war nicht zu hören, weil Lauber die Wiedergabe des Videos stoppen liess. «Die von der Rednerin verwendete Sprache kann nicht toleriert werden», sagte Lauber.

Der Vorfall fand zunächst wenig Beachtung. Der amerikanische TV-Sender Fox News, bekannt für seine Nähe zu Donald Trump, berichtete als einziges grosses Medium auf seiner Website darüber, deutschsprachige Social-Media-Konten folgten. Die NGO-Vertreterin Bayefsky sagte gegenüber Fox News, sie glaube, die Vereinten Nationen hätten den Vorfall «inszeniert». Schliesslich habe der Menschenrechtsrat vorab Zugang zu ihrem Video gehabt und somit gewusst, was sie sagen würde.

Laut Fox News sagt Bayefsky in dem aufgezeichneten Video weiter, dass der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk ein «Hochkommissar für menschliches Unrecht» sei und «das Blut von jüdischen Unschuldigen an seinen Händen» habe. Bayefsky reagierte am Dienstag zunächst nicht auf eine NZZ-Anfrage.

Jürg Lauber sieht palästinensisches Volk verunglimpft

Der Präsident Lauber weist Bayefskys Vorwürfe im Gespräch mit der NZZ zurück. Die Formulierungen «palästinensische Wilde» und «Barbaren» seien seiner Einschätzung nach «zu aggressiv, zu heftig» gewesen, weil sie «eine Qualifizierung eines ganzen Volkes» seien. Diese Einschätzung muss man nicht teilen, denn man kann die Qualifizierung auch enger verstehen, direkt auf die Täter zielend.

Lauber bestätigt, dass er vorab den Text der Stellungnahme kannte. Aber gerade weil es im Rat keine Zensur gebe, habe er das Video zunächst abspielen lassen, damit alle Diskussionsteilnehmer sich selbst ein Bild hätten machen können. Es gibt zwar ein allgemeines Reglement zur Sprache in den Uno-Organisationen, aber nicht spezifisch zu verbotenen Ausdrücken. «Der Präsident muss situativ entscheiden», sagt Lauber.

Warum unterbrach Lauber die Vertreterin nicht? Der Präsident achte auf Regeln und Umgangsformen, sagt Lauber vage, aber es sei weder seine Aufgabe noch Kompetenz, über den Wahrheitsgehalt von Erklärungen zu urteilen.

Letztlich entscheide er als Präsident nicht allein. «Die Ratsmitglieder haben immer die Möglichkeit zu sagen, dass sie mit dem Entscheid des Präsidenten nicht einverstanden sind.» Das sei in diesem Fall nicht geschehen, betont Lauber.

Experte sieht Provokation der proisraelischen NGO

Eric Tistounet, der bis 2023 Chefsekretär des Menschenrechtsrates war, sieht in dem Vorfall «eine leider verbreitete Praxis von manchen Organisationen, um den Rat zu provozieren». Es sei selbstverständlich möglich, klar die Hamas und deren Taten wie Mord und Kriegsverbrechen zu benennen. Aber eben nicht mit Begriffen wie «palästinensische Barbaren».

Tistounet erinnert sich an ähnliche Vorfälle mit anderen Beteiligten, etwa aus Palästina, Sri Lanka oder Iran. Wenn der Präsident des Rats diese Redner unterbreche oder ihre Stellungnahmen beende, werde er entsprechend als antipalästinensisch, anti-sri-lankisch oder antiiranisch kritisiert.

Dieser Logik folgend werfen die Trump-Vertraute Stefanik und die NGO-Vertreterin Bayefsky nun der Uno insgesamt vor, antiisraelisch eingestellt zu sein. Es ist ein Narrativ, das auch die israelische Regierung von Ministerpräsident Netanyahu nutzt: Anfang Februar begründete sie ihren Rückzug aus dem Uno-Menschenrechtsrat – wenige Tage nach dem Rückzug der USA – damit, dass der Rat seit seiner Gründung 2006 «unerbittlich» und «institutionell voreingenommen» gegenüber Israel sei.

Doch manche Kommentatoren in den Social Media werfen Lauber Doppelmoral vor. Zum Beispiel liess er die Vertreterin Katars gewähren, die Israel unter anderem Folter vorwarf – und in verklausulierter Wortwahl auch «Versuche, den Judaismus aufzuzwingen».

Kritisiert wird Lauber in Social Media auch dafür, dass er in jener Sitzung eine Nidwaldner Trachtenweste trug und nicht wie üblich einen klassischen Anzug. Lauber erläutert den Grund dafür: An jenem Tag seien alle Diskussionsteilnehmer dazu aufgerufen gewesen, anlässlich eines «Tages der Kulturen» traditionelle Kleider aus ihrer Heimat zu tragen.

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