Der Schweigegeldprozess in New York hat mit der Aussage von Michael Cohen einen Höhepunkt erreicht. Statt strafrechtlicher Substanz steht Trumps Charakter im Zentrum der Anklage.
Die Spannung steigt. Schon am Montag soll die Beratung der Geschworenen beginnen. Damit nähert sich ein Urteil im Schweigegeldprozess gegen Donald Trump. Die Geschworenen haben die anspruchsvolle Aufgabe, fast alles zu vergessen, was ihnen im vergangenen Monat im Zeugenstand vorgeführt wurde: ein kunterbunter Reigen von Persönlichkeiten aus dem halbschattigen New Yorker Milieu, die detailliert über Donald Trump als manipulativen Liebhaber, skrupellosen Geschäftsmann und herzlosen Boss herzogen.
Jede Woche servierte die Anklage eine neue Perle – vom Boulevard-Medienmogul David Pecker, der Geschichten kauft und killt, über Stormy Daniels, Pornostar, die detailliert erzählt, in welcher Stellung sie mit Trump angeblich vor fast zwanzig Jahren Geschlechtsverkehr praktizierte, bis zum ehemaligen Winkeladvokaten Michael Cohen, einem verurteilten Lügner. Er bezeugt, dass Trump ihn persönlich angewiesen habe, die Schweigegeldzahlung an Stormy Daniels zu vertuschen. Alle Protagonisten in dieser Reality-Show haben eigene Interessen, sind irgendwie käuflich oder kaufen andere. Trotzdem erzählen sie im Zeugenstand eidesstattlich: «Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit».
Wer wurde eigentlich geschädigt?
Die eigentliche Anklage ist – ganz im Gegenteil zum Zeugenaufgebot – trocken wie Zwieback. Da geht es weder um ausserehelichen Sex noch um Schweigegeld, beides ist ja auch nicht illegal. Sondern es geht darum, ob Trump elf Zahlungen für «juristische Dienstleistungen» an Michael Cohen absichtlich falsch verbucht habe, um die Schweigegeldzahlung zu verhüllen, die ein Wahlgesetz in New York verletzt haben könnte. Staatsanwalt Alvin Bragg fügte in einem der Klage beigefügten «Statement of Facts» die Umstände und Motive an, die zu den Zahlungen geführt haben sollen und jetzt im Zentrum der Auseinandersetzung stehen. Man spürt die Taktik: Es ist einfacher, das Gebaren Trumps vorzuführen, als die Klagepunkte sauber zu belegen. So wird eine kritische Auseinandersetzung mit der Anklage vermieden. Experten haben auf Schwachstellen hingewiesen, etwa die präzedenzlose These, dass Schweigegeld ein Wahlkampfmittel ist. Oder die Frage, wer eigentlich geschädigt wurde.
Trumps Anwälte dementieren den Sachverhalt: Sie argumentieren, Trump habe die späteren elf Rückzahlungen an seinen damaligen Anwalt Cohen korrekt verbucht, denn dieser habe die Zahlung an den Pornostar im Rahmen seines Mandats getätigt. Sie bestreiten die Überweisung nicht, sondern die Absicht dahinter: Trump habe nichts wegen der bevorstehenden Wahlen verbergen wollen, sondern weil er seine Frau Melanie vor diffamierenden Vorwürfen habe bewahren wollen. Die Affäre mit Daniels sei frei erfunden, so die Verteidigung. Zweimal verlangte sie die Einstellung des Prozesses. Die angeblichen Details aus dem Privatleben Trumps hätten nichts mit der Substanz des Falles zu tun. Der Richter wies den Antrag auf «Mistrial» ab mit der Begründung, die Narrative könnten helfen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu etablieren.
Bühne frei für das Wahlkampfspektakel
Die boulevardeske Gerichtsverhandlung in New York befeuert all jene, die in den Rechtsverfahren gegen Trump eine politische Verschwörung sehen. In den letzten Tagen drängte ein ganze Armada republikanischer Politiker in den engen Gerichtssaal, von Speaker Mike Johnson bis zur Abgeordneten Marjorie Taylor Greene. Sie kommen, um ihrem Präsidentschaftskandidaten den Rücken zu stützen und Loyalität zu beweisen. Der Gerichtssaal ist zum Wahlkampfspektakel geworden. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass dieser Prozess von Anfang an politische Schlagseite hatte. Der Staatsanwalt Alvin Bragg gewann seine eigene Wahl im demokratisch dominierten New York mit dem Versprechen, Trump zur Rechenschaft zu ziehen.
Am Ende der Vorstellung, wenn der Vorhang fällt, werden die Bürgerinnen und Bürger der USA den Schaden haben. Denn der New Yorker Schweigegeldprozess trivialisiert die wichtige Frage, ob Donald Trump das Gesetz gebrochen hat und dafür juristisch behaftet werden kann. In Washington, Georgia und Florida sind drei Strafprozesse gegen Donald Trump hängig, die eine viel höhere Relevanz haben. Da geht es nicht um falsche Buchführung, sondern um die Frage, inwiefern Donald Trump am 6. Januar 2021 das amerikanische Volk verraten hat und, im Fall der Geheimdokumente, die Justiz schwer behinderte.

