Dienstag, November 19

Der künftige amerikanische Präsident weiss, wie er die Ukrainer zu Verhandlungen zwingen kann. Aber was tut er, wenn Russland nicht mitspielt? Putins Krieg ist für Europa gefährlicher denn je.

1000 Tage: So lange dauert der russische Grosskrieg gegen die Ukraine bereits an. Seit dem ersten Tag stellt sich die immergleiche Frage: Wie kann der Aggressor Putin gestoppt werden? Drei unterschiedliche Ansätze stehen zur Verfügung: Man kann mit der Lieferung von Waffen und Wirtschaftshilfe die Ukraine zu erfolgreichem Widerstand befähigen. Man kann Russland mit Sanktionen zermürben. Oder man gibt den imperialistischen Forderungen des Kremls nach und hofft, ihn damit zufriedenzustellen.

An dieser Ausgangslage hat der Wahlsieg Donald Trumps in den USA nicht das Geringste geändert. Neu ist allerdings, dass der künftige Präsident seine Theorie einer Friedenslösung testen will: Er gibt sich überzeugt, einen Kompromiss aushandeln zu können, der die Waffen dauerhaft zum Schweigen bringt. Trumps Friedensplan liegt noch nicht im Detail vor, aber die Umrisse sind erkennbar. Die Ukraine müsste auf die besetzten Gebiete verzichten, ebenso auf eine Aufnahme unter den Schutzschirm der Nato. Westliche Waffen würden weiter an die Rumpf-Ukraine geliefert, finanziert allerdings durch die Europäer.

An eine Sühne der russischen Kriegsverbrechen wäre nicht zu denken, vielleicht müsste Moskau sogar mit einer Lockerung der Sanktionen belohnt werden. Es wäre ein scheusslicher «Deal», aber immerhin einer, der dem Töten und Zerstören ein Ende setzen und Amerika aus der Verwicklung in einen lästigen Konflikt befreien würde – so die Annahme im Trump-Lager.

Was ist von dieser Kehrtwende der amerikanischen Ukraine-Politik zu halten? Man sollte die Erfolgsaussichten nicht an Trumps vollmundigen Ankündigungen messen. Der Republikaner hat versprochen, den Krieg innert 24 Stunden zu beenden, noch vor seinem Amtsantritt. Das war Wahlkampf-Palaver, über das man getrost hinwegsehen kann. Viel schwerer wiegt ein grundlegender Denkfehler, nämlich jener, dass der Schlüssel zum Frieden in Washington liege. Damit verbunden sind zwei Fehlannahmen über Russland, den Anstifter dieses Krieges. Die eine bezieht sich auf das kurzfristige Kalkül Putins, die andere auf seine langfristigen Interessen. Sie zu missachten, bedeutet, die Rechnung ohne den Wirt zu machen.

Weshalb sollte Putin überhaupt verhandeln?

Das kurzfristige Kalkül Putins ist davon geprägt, dass Russland derzeit keinen Anreiz zu ernsthaften Verhandlungen hat. Militärisch besitzt es die Oberhand, im Oktober erzielte es die grössten Gebietsgewinne seit zwei Jahren. Weshalb sollte es nun am Verhandlungstisch Konzessionen machen, wenn es sich auf dem Schlachtfeld in eine immer günstigere Lage bringen kann? Hinzu kommt, dass Trump dem Kreml direkt in die Hände gespielt hat. Indem er ein Ende der Militärhilfe an die Ukraine ankündigte und es als «fair» hinstellte, wenn Russland sich Teile des Nachbarlandes einverleibt, schwächte er die Position der Ukraine.

Mit gutem Grund kalkuliert Putin nun, dass eine von amerikanischen Waffenlieferungen abgeschnürte Ukraine dem Kollaps entgegengeht. Die Regierungskrise in Deutschland und das politische Siechtum in Frankreich dürften den Kremlherrn darin bestärken, dass Europa die Lücke nicht zu füllen vermag. Entsprechend selbstbewusst gibt sich Moskau. Putin hat kürzlich alte Forderungen bekräftigt: einen Rückzug der ukrainischen Truppen aus dem Donbass und aus den beiden Südprovinzen, die Russland zu seinem Staatsgebiet erklärt hat, ferner einen ukrainischen Verzicht auf den Beitritt zur Nato. Dies sind, wohlgemerkt, nur die Vorbedingungen dafür, dass sich Moskau zu Verhandlungen herbeilässt – eine Friedenslösung müsste Kiew zwangsläufig noch teurer bezahlen.

Die Ansprüche des Kremls gehen viel weiter: Die Ukraine müsste ihre Armee grösstenteils abrüsten, so dass sie schutzlos dem Feind im Osten ausgeliefert wäre. Die demokratisch gewählte Führung in Kiew müsste durch eine prorussische Marionettenregierung ersetzt werden – ein Vorgehen, das Moskau groteskerweise «Entnazifizierung» nennt. Als wäre dies nicht demütigend genug, müssten die Ukrainer auch noch Gelder zum Wiederaufbau des Donbass abliefern.

Vor diesem Hintergrund hält man es in Moskau für geradezu lachhaft, dass die Trumpianer das siegreiche Russland mit einem «Einfrieren» der Front abspeisen möchten. Aus Moskauer Sicht hiesse dies ein russischer Verzicht auf Territorien, die man sich nun ohnehin holt – und noch viel mehr. Den Ton setzen wie immer die Chefpropagandisten im Staatsfernsehen. Der Kriegshetzer Wladimir Solowjow formulierte es nach Trumps Wahl so: «Wir pfeifen auf eure Pläne. Wir werden mit euch nicht verhandeln. Wir werden euch vernichten. Vernichten!» Olga Skabejewa, eine nicht weniger berüchtigte Einpeitscherin, schwärmte über die Aussicht, die Ukraine zu unterwerfen und dann, verstärkt um deren militärische Ressourcen, die Grenzen der Nato zu bedrohen.

Putins Krieg dreht sich um mehr als die Ukraine

Damit sind die langfristigen Pläne Russlands angesprochen, der zweite Bereich, in dem vor Illusionen zu warnen ist. Das Trump-Lager, aber auch viele Politiker in Europa scheinen davon auszugehen, dass sie es mit einem typischen Territorialkonflikt zu tun haben – einem Streit um Land, den man mit einem Kompromiss beilegen kann. In Wirklichkeit trägt dieser Krieg einen viel gefährlicheren Charakter. Putin lässt sich nicht mit einem Streifen Land befriedigen, ihm geht es um eine fundamentale Änderung der Machtordnung in Europa. Sein Ultimatum vom Dezember 2021 spricht eine klare Sprache und ist für Moskau von unveränderter Aktualität. Um die Ukraine geht es in diesem Ultimatum nur indirekt. Die Hauptstossrichtung ist, die Nato aus Osteuropa zu drängen und den USA Beschränkungen bei der Stationierung von Waffensystemen in Europa aufzuerlegen.

Das Vorbild ist die wichtige Rolle, die Russland vom 18. bis ins 20. Jahrhundert im Konzert der europäischen Grossmächte spielte. Zu diesem Zweck muss Russland auf eine Schwächung des amerikanischen Einflusses in Europa hinarbeiten und das europäische Einigungswerk untergraben. Von zentraler Bedeutung ist aber auch, die Ukraine zu unterwerfen oder sie zumindest als Satellitenstaat zu kontrollieren. Dann stünden russische Soldaten nach langem wieder in Mitteleuropa.

Eine prosperierende und sich nach freiheitlichen Idealen entwickelnde Rest-Ukraine hingegen wäre für das Moskauer Regime eine Gefahr. Sie wäre ein Gegenmodell zum perspektivlosen Polizeistaat, den Putin verwaltet.

Es ist deshalb schwer vorstellbar, dass sich Russlands Diktator auf einen echten Frieden einlässt. Er braucht das Schreckgespenst des bösen Westens, um seine Herrschaft zu legitimieren. Zudem ist die Rüstungsindustrie zu einer derart wichtigen ökonomischen Stütze geworden, dass Moskau die Waffenproduktion nicht so einfach drosseln kann.

Die Anreize für das Regime, auf Kriegskurs zu bleiben und seine Untertanen in einem nationalistischen Wahn gefangen zu halten, sind deshalb gross. Trumps Berater tragen diesem Risiko kaum Rechnung. Der Fleitz-Kellogg-Plan, ein von Weggefährten des künftigen Präsidenten ausgearbeitetes Papier, sieht zwar auch Druck auf Putin vor – falls dieser nicht verhandle, würden die USA die Waffenlieferungen an die Ukraine erhöhen. Aber diese Drohung wirkt wenig glaubwürdig, solange sich Trump so abschätzig über die Militärhilfe an Kiew äussert.

Es besteht deshalb die Gefahr, dass Trump die Ukraine im Stich lässt und das Interesse an einer akzeptablen Lösung verliert, wenn Moskau sich sperrt. Schon in seiner ersten Amtszeit prahlte er mit seiner Fähigkeit, Amerikas Gegnern mit Druck oder Diplomatie seinen Willen aufzuzwingen. Aber seine Erfolgsbilanz war dürftig, ob bei China, Nordkorea, Iran oder Russland. Die Hoffnung bleibt, dass besonnene Köpfe im Weissen Haus den Präsidenten vor dem Szenario eines grossräumigen russischen Vormarschs warnen und ihm klarmachen werden, dass er dann als Versager dastünde.

Europa verkennt sein Eigeninteresse

Aber das ist vorerst nur Wunschdenken. Nötig wäre bereits jetzt ein Signal, dass die Ukraine im nächsten Jahr genug Militärhilfe erhält, um den russischen Ansturm zu stoppen. In der Verantwortung steht deshalb vor allem auch Europa. Nicht aus Mildtätigkeit, sondern aus purem Eigeninteresse müssten die Europäer die Bereitschaft zeigen, die wegfallenden amerikanischen Mittel selber zu schultern (und neutrale Länder wie die Schweiz, ihre Wirtschaftshilfe zu erhöhen). Amerikanische Waffen für die Ukraine können auch mit europäischem Geld finanziert werden.

Entgegen einer politischen Legende haben die Staaten der Europäischen Union bisher keine immensen Summen für den ukrainischen Abwehrkampf ausgegeben. Es waren durchschnittlich pro Jahr nur etwa 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ein Triumph der russischen Grossmachtpolitik käme den Kontinent viel teurer zu stehen, nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft allein für Deutschland das Zehn- bis Zwanzigfache. Das ist sogar eine eher optimistische Schätzung, da sich schon jetzt die Notwendigkeit abzeichnet, auf viele Jahre hinaus die Verteidigungsausgaben im europäischen Nato-Raum von zwei auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben.

Wie man es dreht und wendet: Der realistischste Weg zum Frieden führt über eine Erhöhung der Militärhilfe an die Ukraine – mit dem Ziel, Russland die Aussichtslosigkeit des Kriegskurses vor Augen zu führen. Eine Kapitulation vor Putin hingegen wird Europa keine Sicherheit bringen.

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