Deutschland und China stützen die Wirtschaft mit Schulden, doch die USA vollziehen eine Finanzwende in konträrer Richtung. Hinzu kommen die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Zollerhöhungen am 2. April, dem sogenannten «Liberation Day». Erinnerungen an die Wirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre kommen auf.
Konjunkturell und börsenmässig entwickeln sich die Hauptwirtschaftsregionen der Welt in unterschiedliche Richtungen. Das liegt nicht zuletzt an sehr unterschiedlichen Bewegungsrichtungen der Regierungen in Deutschland, China und den USA bei der Fiskalpolitik.
Deutschland ist gekennzeichnet durch eine historische Abkehr von einer soliden Fiskalpolitik hin zu einer Verschuldungspolitik nach französischem und italienischem «Vorbild». Zwar gab es auch im Zug der Wiedervereinigung einen erheblichen Neuverschuldungsschub, dieser war aber einmalig beziehungsweise transitorisch, während jetzt Tür und Tor geöffnet sind; zumindest für Teilbereiche wie Rüstung mit praktisch unlimitierter Neuverschuldung.
In Deutschland steht nicht nur der Bund vor einer Neuverschuldungsexplosion, auch jedes deutsche Bundesland darf sich künftig autonom verschulden; bisher war Bundesländern keine Neuverschuldung erlaubt. Allein Berlin könnte sich zum Beispiel im Zug des Landeshaushalts 2026/27 eine zusätzliche Neuverschuldung von 1,3 Mrd. € genehmigen. Allein die Flüchtlingskosten liegen pro Jahr in Berlin schon bei weit über 1 Mrd. €.
Hohe Neuverschuldung ist kurzfristig konjunkturell stimulierend. Längerfristig ist aber mit einem Aufwärtsdruck auf die europäischen Zinsen (also nicht nur in Deutschland) zu rechnen, und Deutschland könnte erstmals das Triple-A-Gütesiegel bei Anleihen verlieren. Steigt die Verschuldung im Verhältnis zum BIP in Richtung 100%, verschlechtert sich die Bonität entsprechend.
Während Kreditkartenschulden in den USA mit bis zu 25% verzinst werden, kosten Konsumkredite in China nur gut ein Zehntel davon. Die Zinsen für 10-jährige chinesische Staatsanleihen waren bekanntlich bis auf 1,6% (jetzt 1,8%) zurückgegangen.
In China versucht der Staat also den schwachen Konsum durch Niedrigzinsen plus deutlich höhere Staatsneuverschuldung anzukurbeln. Die Fiskalpolitik steuert sogar auf historische Rekordneuverschuldungsraten zu. Ähnlich wie in Europa dürfte dies zu einer Belebung von Konjunktur und Börse führen.
Ganz anders bzw. wesentlich differenzierter präsentiert sich die Situation in den USA. Dort wuchs die Neuverschuldung zwar auch bis zuletzt, aber die Fiskalpolitik, die man zunächst unter Trump als besonders expansiv erwartet hatte, scheint sich grundsätzlich umzukehren. Nach dem Motto «short-term pain, long-term gain» versucht man offensichtlich die Staatsneuverschuldung zu senken, zum Beispiel durch Entlassung von Staatsbediensteten oder durch radikale Streichung von Hilfsmitteln für Organisationen wie USAID. Man verkauft die neue Politik nach dem Motto: kurzfristig wirtschaftlich schmerzhaft, aber langfristig eine Gesundung der von früheren Präsidenten wie Biden hervorgerufenen wirtschaftlichen Ungleichgewichte.
Tatsächlich wäre eine geringere Neuverschuldung eine gesunde Politik für ein Land, das sich gerade in den letzten Jahren (seit US-Präsident Barack Obama) durch die extremste Neuverschuldungspolitik aller Zeiten in einem gefährlichen Fahrwasser befand. Wenn man allerdings bedenkt, dass die bis vor kurzem allgemein als exzeptionell und herausragend beschriebene US-Konjunktur im Wesentlichen auf der historisch in Friedenszeiten höchsten Neuverschuldung beruhte, so kann man sich vorstellen, dass die Gefahren für die Konjunktur bei einer zu schnellen Abkehr von dieser Politik beträchtlich sind. Gerade hier scheint Trump aber zu viel zu tun und dies auch noch zu schnell. Da nicht sicher ist, dass die Republikaner nach den Midterm-Wahlen vom Herbst 2026 in beiden Häusern des Kongresses weiterhin die Mehrheit besitzen, versucht Trump jetzt möglichst schnell möglichst viel durchzuziehen.
Auch im Bereich der Zölle will Trump offensichtlich – so lange er noch die Möglichkeiten dazu hat – möglichst schnell möglichst viel erreichen. Dies bringt aber wie bei der staatlichen Neuverschuldung ähnliche Gefahren mit sich; sowohl für die amerikanische als auch für die globale Konjunktur. Würde Trump seine Zollpläne wie angekündigt Anfang April radikal umsetzen, so drohen die höchsten US-Zölle seit Anfang der 1930er-Jahre. Die damaligen Zollerhöhungen gelten als einer der Auslöser für die Weltwirtschaftskrise in dieser Periode.
Höhere Zölle führen zwar in der Regel zu einer Verbesserung der Handelsbilanz eines Landes. Dies, weil die US-Verbraucher wegen höherer Zölle weniger importierte Waren kaufen können. Es ist zwar richtig, dass die US-Handelsbilanz mit einem Defizit von über einer Billion Dollar die schlechteste der Welt ist und damit zwar ausländische Arbeitsplätze fördert, aber amerikanischen Arbeitsplätzen schadet. Aber die sehr defizitäre amerikanische Handelsbilanz hat ihr Spiegelbild in den ebenso massiven Kapitalzuströmen aus dem Ausland in die USA, was dort zu tendenziell niedrigen Zinsen, aber auch zur Finanzierung von Investitionen direkt in der Wirtschaft oder am Aktienmarkt führt.
Der exzeptionelle Boom der US-Börse besonders seit der Finanzkrise 2009 ist somit auch ein Spiegelbild der negativen Handelsbilanz und der Zuströme von Auslandsgeld in die USA zur Finanzierung der durch den Handel entstandenen Leistungsbilanzdefizite. Wenn Trump nun versucht, mit Zöllen die US-Handelsbilanz zu verbessern, so könnte dies entsprechend zu erheblichen negativen Rückwirkungen auf das US-Finanzsystem und die US-Börse führen. So gut im Prinzip Trumps Idee ist, Arbeitsplätze in die USA zurückzuholen, so kann dies nur äusserst vorsichtig gemacht werden. Hinzu kommt, dass angesichts niedriger Arbeitslosigkeit und geringer fehlender Kapazitätsreserven in der US-Wirtschaft Menschen und Maschinen fehlen, die erforderlichen Arbeiten in den USA auszuführen.
Im Gegensatz zu heute herrschte in den USA und in Europa (und speziell in Deutschland) in den frühen 1930er-Jahren hohe Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft verfügte also über hohe freie Kapazitätsreserven. Damals waren als Folge der Zölle somit tatsächlich teilweise Vorteile für den US-Arbeitsmarkt und die US-Wirtschaft möglich. Heute könnten sich die Folgen einer zu radikalen Trump-Politik aber ungleich negativer auf Wirtschaft und Börse wirken.
Den wenigsten Beobachtern dürfte klar sein, wie gefährlich das Konjunktursteuerungsinstrument Zölle ist. Generell sind niedrige Zölle natürlich wirtschaftsfördernd, wie die durch die Globalisierung geprägten vergangenen Jahrzehnte gezeigt haben. Hohe Zölle dagegen wirken für die Weltwirtschaft und damit indirekt auch für die USA als zollerhebendes Land am Ende negativ. Wenn Trump nun am 2. April, den er selbst als Befreiungstag («Liberation Day») ausruft, hohe Zölle verhängt, könnte dies wie Anfang der 1930er-Jahre für die Weltwirtschaft und die Weltbörsen bald äusserst negativ sein.
Andererseits gibt es jetzt positive Impulse in Europa und China, aber diese werden sich in Europa nur als Strohfeuer erweisen. Dies, wenn nicht massive Reformen wie zum Beispiel staatliche Ausgabenkürzungen oder niedrigere Steuern umgesetzt werden wie seinerzeit unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Massnahmen, von denen Angela Merkel mindestens die Hälfte ihrer Amtszeit profitierte.
Einige Branchen wie Banken und Versicherungen liegen in Europa noch deutlich unter früheren Durchschnittsbewertungen. Allerdings haben diese beiden Branchen bisher zuletzt am meisten zugelegt, so dass hier trotz der immer noch langfristigen Unterbewertung kurzfristig die stärkste markttechnische Überreizung herrscht. Auch die Hedgefonds sind hier am meisten im Vergleich der letzten 15 Jahre engagiert bzw. am wenigsten mit Leerverkäufen (Short-Positionen) exponiert.
Eine Waffenruhe in der Ukraine würde wahrscheinlich nicht nur den Ölpreis drücken, sondern bau- und infrastrukturabhängige Aktien in Europa positiv beeinflussen (solide Ölaktien wie TotalEnergies oder Chevron dürften aber gute defensive Aktien bleiben). Auch das weltweit beste Abschneiden Polens unter den Aktienindizes (+26% für den Index Top20 Warsaw seit Jahresanfang) hängt mit Ukraine-Friedenshoffnungen zusammen. ETF-Anlagen auf polnische Aktien ziehen im Trend an.
In Deutschland und Frankreich sowie der Schweiz sollten Bau- und Zementaktien von einer positiven Entwicklung in der Ukraine profitieren können. Auch diese Titel haben in den letzten Monaten (speziell bei den Zementaktien) deutliche Kurssteigerungen vollzogen, scheinen aber im Hinblick auf die Bewertung nicht zu überzogen wie Rüstungsaktien, wo eine extreme europäische Aufrüstung bereits vorweggenommen ist. Wenn solche Vorhaben von Deutschland oder der EU (wiederum stark mit deutschen Geldern) finanziert werden, erscheint dies eher realistisch als von den anderen grossen europäischen Ländern, die mit ihrer Staatsneuverschuldung kaum Finanzspielraum haben. Generell erscheinen europäische Rüstungsaktien hoch bewertet, auch wenn man die kommende starke, deutsche und europäische Aufrüstung mitberücksichtigt.
Kommt es in Deutschland (und in den USA) zu einer Stagflation, also fehlendem Wirtschaftswachstum, aber anhaltend hoher Inflation, so dürften Anleger, die zuletzt massiv europäische und speziell deutsche Aktien gekauft haben, eine negative Überraschung erleben.
Sollte es unerwartet zu anhaltenden Schwierigkeiten bei Konjunktur und Börse kommen, so dürften Versorger eine gute Defensivanlage sein. In diesem Sektor gibt es nicht nur gleich hohe oder höhere Renditen wie bei Anleihen, sondern auch die Perspektive steigender Ausschüttungen in den nächsten Jahren. Gibt es keine europäische Aktienhausse, so würde man mit deutschen Versorgern eine schwierige Börsenzeit wahrscheinlich am besten überbrücken.
Zuletzt konnten international Value-Aktien gegenüber Wachstumsaktien Boden gutmachen. Dieser Trend dürfte in defensiven Börsenzeiten anhalten.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.
Jens Ehrhardt
Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.