Mittwoch, Oktober 9

Eine Maschine der Singapore Airlines ist auf dem Weg von London nach Singapur in starke Turbulenzen geraten. Ein Mann kam ums Leben, 85 Passagiere wurden verletzt. Nun zeigt sich: Die Piloten konnten die Turbulenzen nicht vorhersehen.

Die Bilder aus der Boeing 777-312ER der Singapore Airlines erinnern an einen Katastrophenfilm. Lebensmittel, Flaschen, Thermoskannen, Tabletts liegen am Boden verstreut. Abdeckungen hängen herunter. Aus den Fächern baumeln Sauerstoffmasken.

Die Maschine ist am Dienstag auf dem Weg von London nach Singapur in starke Turbulenzen geraten. Über der Westküste von Myanmar verlor das Flugzeug abrupt an Höhe. Passagiere und Crewmitglieder knallten mit ihren Köpfen an Gepäckfächer und Kabinendecke. Ein 73-jähriger Brite starb an einem Herzinfarkt. Sieben Passagiere wurden mit schweren Kopfverletzungen ins Spital gebracht. Zunächst war von 30 Verletzten die Rede, am Mittwoch wurde die Zahl auf 85 korrigiert.

Vorfälle wie jener der Singapore Airlines sind selten. Doch Passagierflugzeuge werden immer wieder von Turbulenzen durchgerüttelt. Wissenschafter haben zudem herausgefunden, dass sie aufgrund des Klimawandels in Zukunft noch häufiger auftreten könnten. Doch es gibt Massnahmen, mit denen das Fliegen trotzdem sicher bleibt.

Der Jetstream wird schneller

Bei Turbulenzen meldet sich im Flugzeug meist der Captain. Dann heisst es, man solle zurück auf seinen Platz gehen, das Licht der Sicherheitsgurte geht an, im Flugzeug klicken die Schnallen. Als Flugzeugpassagier spürt man, was passiert, doch man sieht nicht, was sich draussen abspielt. Turbulenzen sind Luftströme, auch Verwirbelungen der Luft genannt, die sich in der Flugbahn der Maschine bewegen.

Turbulenzen kommen häufig in Gewittern vor. Denn bei Unwetterzellen trifft eine warme, feuchte Luftmasse auf eine kalte, trockene Luftmasse. Die Piloten können die Turbulenzen vorhersehen. Sie erhalten die Wetterdaten unter anderem von Flugzeugen, die auf derselben Strecke unterwegs sind. Oder vom Wetterradar auf der Flugzeugnase. Die Piloten können versuchen, den Gewitterzellen auszuweichen, indem sie die Route oder die Flughöhe anpassen. Und sie können die Passagiere frühzeitig bitten, sich anzuschnallen.

Zahl der Vorfälle von starken Turbulenzen pro 10 000 Bewegungen

Doch andere Turbulenzen, die bei schönstem Wetter vorkommen können, erkennen die Piloten auf dem Radar nicht. Das macht sie besonders tückisch. Sie werden Clear-Air-Turbulenzen genannt und treten über Wüstengebieten, Gebirgen oder am Rande der Jetstreams auf. Jetstreams sind Starkwindbänder, die sich in 10 Kilometern Höhe von Ost nach West um den Globus ziehen. Piloten nutzen sie, um schneller zu sein und Kerosin zu sparen. Doch die Flugzeuge geraten immer wieder an den Rand der Bänder, wo die Winde turbulenter sind.

Wissenschafter haben zudem in Klimasimulationen herausgefunden, dass durch die Erderwärmung die Windgeschwindigkeit in den Jetstreams zunimmt. Je stärker der Wind weht, desto grösser ist die Gefahr, dass ein Flugzeug am Rand der Jetstreams in den Bereich einer Clear-Air-Turbulenz gerät.

Grund für Turbulenzen über Malaysia

In Südostasien hat die Regenzeit begonnen. Laut Berichten gab es am Dienstag in der Region, in der die Maschine der Singapore Airlines in Turbulenzen geriet, mehrere Unwetter. Doch der Captain hatte die Passagiere nicht gewarnt. Sie liefen herum, sassen auf der Toilette oder waren schlicht nicht angeschnallt, als die starken Turbulenzen das Flugzeug durchschüttelten.

Dass selbst die Besatzung von der Erschütterung überrascht wurde, spricht gegen das Unwetter als Ursache für die Turbulenzen. Laut dem Aviatikexperten Andreas Spaeth könnten es Clear-Air-Turbulenzen gewesen sein: Die Region, in der das Flugzeug absackte, sei dafür bekannt. «Ohne Warnung von vorausfliegenden Maschinen konnten die Piloten die Turbulenzen nicht vorhersehen, sie trafen das Flugzeug völlig unvorbereitet», sagt Spaeth.

Die Luftströme vom Dienstag scheinen besonders stark gewesen zu sein. Der Aviatikexperte Spaeth sagt: «Es wirkten starke Kräfte auf die Passagiere, die alles, was nicht festgeschnallt war, wie Geschosse gegen die Decke schleuderten.» Daten der Plattform Flightradar zeigen, dass das Flugzeug der Singapore Airlines beim Vorfall 2000 Meter Flughöhe verlor. Das Flugzeug fiel jedoch nicht senkrecht hinunter. Turbulenzen werden oft als Luftlöcher bezeichnet, doch der Begriff ist missverständlich. Flugzeuge fallen nicht, in der Atmosphäre gibt es zudem keine luftleeren Räume. Turbulenzen führen jedoch zu unerwarteten Auf- und Abschwüngen und erschüttern die Flugzeuge. Zudem können Piloten zusätzlich einen raschen Sinkflug einleiten, um die Turbulenzen zu umfliegen.

Die Piloten bringen eine Maschine jeweils nach kurzer Zeit wieder unter Kontrolle. Zudem halten moderne Flugzeuge den Schwankungen stand. Fluggesellschaften wollen die Turbulenzen trotzdem vermeiden. Denn wie der Vorfall der Singapore Airlines zeigt, können sie eine Gefahr für Passagiere und Besatzung sein. Die Swiss ist Mitglied des Turbulence-Aware-Programm. Es soll das Bewusstsein für die Gefahren der Turbulenz schärfen, indem etwa Flugzeuge untereinander in Echtzeit Messdaten austauschen, die vor Turbulenzen warnen.

Für Flugpassagiere gilt weiterhin: anschnallen. Oder, wie die Swiss auf ihrer Website schreibt: «Am besten reservieren Sie Ihren bevorzugten Sitzplatz im Voraus, denn im vorderen Teil des Flugzeugs sind Turbulenzen weniger stark zu spüren.»

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