Samstag, November 23

Mit Twinner hat Thomas Binggeli nach Thömus und Stromer eine dritte Velo-Marke lanciert. Deren erstes Modell wiegt über 40 Kilo,
fährt 50 km/h und erweitert die eVelo-Welt in Richtung Oberklasse.

Mit Preisen von 13 560 bis zu 16 750 Franken dringt dieses fast komplett aus Karbon gefertigte Speed-Pedelec preislich ins Kleinwagen-Segment vor. Das kommt nicht von ungefähr, denn das technisch aufwendig gemachte Twinner möchte dem Auto im Nahverkehr eine umweltfreundliche, gleich schnelle Alternative entgegensetzen.

Dazu passt die eigenständige Optik mit betont kurzem Radstand, futuristisch geformtem Rahmen und darin integriertem Gepäckträger, stützloser Hinterradschwinge und Sechsspeichenfelgen – Verwechslungen mit anderen High-End-Bikes sind damit ausgeschlossen. Einzige Gemeinsamkeiten: Pedale, Sattel, Lenker, runde Pneus.

Ausstattung

Mit an Bord sind ein extra für Twinner produzierter Gel-Sattel von Selle Italia und langgezogene Aluminium-Kotflügel (optional aus Karbon) für wirkungsvollen Spritzschutz. Hinzu kommen Kennzeichenhalter, die durchgestylte Lenkerverkleidung, der Rückspiegel links, üppig dimensionierte Scheibenbremsen von TRP, LED-Scheinwerfer (Supernova M99 Pro 2) für Abblend- und Fernlicht sowie der Heckstrahler inklusive Bremsfunktion.

Das Rücklicht ist in den bis zu 20 Kilogramm belastbare Gepäckträger mit Seitentaschen-Aufnahmen eingepasst. Abgerundet wird das Oberklasse-Paket mit einer – eher harmlos tönenden – Hupe sowie einer patenten Pinion-Schaltung mit wartungsfreiem Karbonriemen.

Am kubistischen Kohlefaser-Skelett dieses Ausnahme-Velo ist also fast alles verbaut, was sinnvoll, gut und teuer ist; griffige Pedale und ergonomische Griffe (wahlweise mit Heizfunktion) sind Eigenentwicklungen. Nur Blinker und eine Federung fehlen, immerhin gibt es die dämpfende Kinekt-Sattelstütze gegen Aufpreis.

Auch ein Schnellspanner zum Verstellen der Sitzhöhe ist ab Werk nicht vorgesehen – das T1 Pro versteht sich offenbar nicht als Wechsel-Velo, sondern als Individual-Verkehrsmittel für Zweirad-Gourmets. Trotz Leichtbau schlagen die zahlreichen Zutaten aufs Gewicht von mehr als 40 Kilogramm. Treppenhäuser werden zwangsläufig zum Kraftakt.

Im Angebot sind matte Rahmenfarben – «White», «Petrol Blue», «Ice Blue» oder «Black Satin». Dieses E-Bike glänzt an anderen Stellen – mit hintergrundbeleuchtetem Logo sowie einem in den Vorbau eingelassenen, berührungsempfindlichen Farbdisplay, einer Rücksichtkamera, speziell von Reifenhersteller Vittoria für Twinner entwickelten 29-Zoll-Sommer-Pneu (Winterreifen kommen von Schwalbe) oder dem Vorderrad-ABS von Zulieferer Blubrake.

Nicht zu sehen, aber sehr sinnvolle Elemente sind die serienmässige GPS-Ortung samt Wegfahrsperre und Alarmfunktion bei ungewolltem Bewegen. Ein weiterer Clou ist der eigens konzipierte, aus Alu, Holz und Karbon bestehende Anhänger, der bis zu 40 Kilogramm Nutzlast aufnehmen kann und zusätzliche 1500 Franken kostet.

Verarbeitung

Alles ist gut integriert und passt sauber zusammen, da klappert oder vibriert nichts. Allein die Sattelposition war am Testbike nicht ganz in der Flucht montiert, doch davon abgesehen fühlt sich alles sehr wertig an und verstärkt den Eindruck von einer gut durchdachten Hochleistungsmaschine. Auf die gibt es werkseitig 60 Monate Garantie; den Service empfiehlt Twinner alle 10 000 Kilometer, eine Kontrolle mindestens einmal jährlich.

Fahreindruck

Mit Druck auf den Startkopf erwacht das T1 Pro. Per Smart Hub und Mobiltelefon voll vernetzt, installieren sich Updates automatisch – App-affine Velofahrer werden es lieben. Der 3,5-Zoll-Bildschirm informiert über Beleuchtung, Griffheizung, ABS, Mobil- und GPS-Empfang, Uhrzeit, Geschwindigkeit, Unterstützungsmodus (Eco, Tour oder Boost; auf fünf Stufen erweiterbar), Kadenz, Ladezustand der Batterie, die bisher absolvierten Kilometer, Fahrtdauer, Durchschnittsgeschwindigkeit, Restreichweite oder den aktuellen und gesamten Energieverbrauch. Wahlweise sieht man, was aktuell hinter dem Velo passiert. Die Führung durch die Menus gelingt intuitiv und durch Wischen, auch die Schiebehilfe bis maximal 6 km/h lässt sich hier konfigurieren.

Zwischen aufrecht und leicht nach vorne gebeugt sitzt es sich bestens auf dem T1, was insofern erstaunt, da nur eine Rahmengrösse im Programm ist. Mittels Höhenanpassung auf dem vergleichsweise schräg angeordneten Sattelrohr findet aber fast jede Statur eine gute Position – damit ist Twinner ein kleines Kunststück gelungen.

Von der Geometrie profitiert auch die Fahrdynamik: Die Lenkung ist angenehm direkt und dabei weder ruppig noch unruhig. Selbst freihändig läuft das Twinner sauber geradeaus und lässt sich dann nur mit leichten Gewichtsverlagerungen dirigieren. Konstruktiv bedingt, aber auch zum Schutz der Karbonkomponenten weist die Gabel beidseits einen Lenkanschlag auf.

Die 65er-Ballonreifen sorgen mit empfohlenen 1,8 bar für einen Hauch von Dämpfung. Das Konzept kennt man von Stromer und es funktioniert auch gut, sofern akzeptiert wird, dass dieses E-Bike für Asphaltstrecken gedacht ist. Dort agiert es pfeilschnell und ausdauernd; Distanzen von 200 Kilometern sind bei entspannter Fahrweise mit dem üppig dimensionierten Akku problemlos möglich.

Der äusserst kraftvolle und dennoch leise Nabenmotor ist ein Quell der Freude, die Schaltung agiert präzise und wechselt beim Anhalten automatisch in eine vorgewählte niedrigere Untersetzung. Angesichts der gebotenen Leistung und Beschleunigung sind die verfügbaren neun Gänge mehr als genug, kurzum: Bei freier Strecke fährt dieses S-Pedelec allen anderen auf und davon, beschleunigt in 3,6 Sekunden auf 45 km/h und läuft – bei erlaubten 10 Prozent Toleranz – laut Tacho über 50.

Klar ist aber auch: Bei einem Gesamtgewicht von 100 Kilo plus und bewusst forciertem Tempo – trotz Berg- und Talfahrt erreichten wir mühelos einen 38er-Schnitt – geht selbst eine derart grosse Batterie nach spätestens 50 Kilometern in die Knie.

Die flinke Fortbewegung birgt weitere Risiken, denn auch das Twinner hat weder Käfig noch Airbags und zieht – wie jedes Velo – gegen Pkw zwangläufig den Kürzeren. Manche Autofahrer rechnen schlicht nicht damit, dass ein Pedelec so schnell sein kann und schneiden ihm unter Umständen den Weg ab – wir haben es trotz Vorfahrt selbst erlebt. Auf die tadellos agierenden Bremsen und das ABS-System sollte man sich angesichts der eigenen Verwundbarkeit deshalb nicht allzu sehr verlassen – und im Zweifel defensiv unterwegs sein.

Fazit

Twinner steht für Avantgarde aus der Schweiz; die Hardware und Fahrleistungen dieses S-Pedelec sind beeindruckend. Es verleitet aber zum Schnellfahren und eignet sich deshalb nicht für E-Bike-Novizen. Routinierte Pendler dagegen werden ihre Freude an ihm haben, müssen dafür allerdings tief in die Tasche greifen. Das weiss man auch in der Firmenzentrale in Niederscherli und arbeitet an einem günstigeren Einstiegsmodell, das 2025 folgen soll.

Velo à la carte: In der Schweiz wurden 2023 über 170 000 E-Bikes verkauft – und ständig kommen neue Modelle dazu. Die wichtigsten, innovativsten und spektakulärsten testen wir hier in loser Reihenfolge. Die Produkte werden uns von den Herstellern/Importeuren für die Zeit der Tests zur Verfügung gestellt.

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