Freitag, Februar 7

Die britische Society-Lady Unity Valkyrie Mitford zog nach Deutschland, um Adolf Hitler nah zu sein. Nun sollen ihre Tagebücher aus den dreissiger Jahren gefunden worden sein.

Unity Mitford war bildschön und sehr verblendet – gelinde gesagt. Ihre Geschichte ist ebenso spektakulär wie bizarr: Unity Valkyrie Mitford, ein britisches High-Society-Girl der dreissiger Jahre und Mitglied einer alten englischen Adelsfamilie, war von Hitler besessen.

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Dazu kam der Wunsch, ihre Schwester Diana zu übertrumpfen, die den englischen Faschisten Oswald Mosley geheiratet hatte – in Anwesenheit von Hitler und Joseph Goebbels. Mit 19 zog Unity nach Deutschland, um ihrem Idol nah zu kommen. Was ihr auch gelang, indem sie Hitler geradezu stalkte und sich beharrlich einen Weg in seinen inneren Kreis zu bahnen versuchte.

Für all das ist Mitford seit fast neunzig Jahren im eigenen Land berühmt und im schlimmsten Masse berüchtigt. Nun versucht die «Daily Mail» mit einem Coup aufzuwarten: Man habe Unity Mitfords Tagebücher der Jahre 1935 bis 1939 entdeckt, in denen von 139 Treffen mit Hitler die Rede sei. Nach mehr als acht Jahrzehnten sollen die ledergebundenen Bände plötzlich wieder aufgetaucht sein und angeblich neue Einsichten in das Leben des «bösesten Manns der Geschichte» geben.

«Keine fetten Schenkel vom Hockeyspielen»

Unity entstammte einer exzentrischen, verarmten Adelsfamilie. Ihre Eltern Lord und Lady Redesdale lehnten Schulerziehung ab, weil die Mädchen «keine fetten Schenkel vom Hockeyspielen» bekommen sollten. Stattdessen lernten die Kinder von Gouvernanten, was diese ihnen beibringen konnten, blieben aber weitgehend sich selbst überlassen. Medizin lehnten die Eltern ab, und Operationen kamen nur in absoluten Notfällen infrage. Den Kindern wurde eine koschere Kost verordnet, weil die Eltern glaubten, dass Krebs unter Juden weniger verbreitet sei.

Die sechs Mitford-Schwestern waren glamourös wie Filmstars, was erheblich zu ihrem kollektiven, in England bis heute anhaltenden Ruhm beitrug. Sie hätten unterschiedlicher kaum sein können. Die mit Scharfsinn gesegnete Sozialistin Nancy schrieb Romane über die Gesellschaftsschicht, der sie entstammte – farcenhaft und witzig, aber eigentlich verliebt ins eigene Milieu. Jessica (Decca) entsagte ihrer aristokratischen Wurzeln, wurde Kommunistin, engagierte sich im Spanischen Bürgerkrieg und zog schliesslich in die USA. Pamela machte am wenigsten von sich reden. Deborah (Debo) heiratete in den Hochadel, lebte in Chatsworth, in einem grandiosen Herrenhaus, und schrieb diskrete, vielgelobte Bücher über ihren ländlichen Lebensstil, etwa «Counting My Chickens».

Ledergebundene Tagebücher

Nun also die Entdeckung der Mitford-Tagebücher. Die «Daily Mail» legt grossen Wert auf die Authentizität des Fundes und lässt verschiedene Experten zu Wort kommen. Unter ihnen der Historiker Andrew Roberts und der führende Unity-Mitford-Kenner David Pryce-Jones, der von der Echtheit der Bände überzeugt ist. Woher die ledergebundenen Bücher genau stammen, enthält die Zeitung ihren Lesern allerdings vor.

Dafür erfährt die Welt nun unter anderem, wie Unity dem «Führer», wie sie ihn nennt, in einem Restaurant, der «Osteria Bavaria», in München beim Mittagessen zusehen durfte. Weil er, wie sie in Grossbuchstaben vermerkte, sie an seinen Tisch bitten liess. Er habe sich sogar mit ihr unterhalten, notierte sie stolz.

Den Tag dieser ersten Begegnung im Februar 1935 nennt Unity «THE MOST WONDERFUL DAY OF MY LIFE». Wie schon in ihren Briefen charakterisierte die junge Frau ihren «Führer» auch in ihren deutschen Tagebüchern als «very sweet and gay», sehr süss und fröhlich. Normalerweise schrieb sie in Schwarz auf Weiss. Doch wenn es um das Objekt ihrer Besessenheit ging, benutzte sie rote Tinte.

Unitys Annäherungsversuche blieben nicht vollkommen wirkungslos. Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess meinte, sein Vorgesetzter habe sich in Gegenwart der englischen Schönheit «wie ein Siebzehnjähriger» aufgeführt. Und Unity schrieb, Hitler habe ihre Hand fünfmal an einem Tag geküsst und bei anderer Gelegenheit «ewig über ihre Beine gesprochen».

Gemäss Mitfords Tagebüchern traf sie Hitler bei einigen Begegnungen allein. Bisher war man davon ausgegangen, sie seien immer in Begleitung anderer gewesen. Die Notizen seien nicht gerade das Werk einer bedeutenden Tagebuchschreiberin, bemerkte die «Times» bissig. Orte, Daten und Menschen würden in simplen Sätzen aufgezählt, und sie gehe kaum je ins Detail über das, was bei diesen Begegnungen gesagt worden sei.

Aus Mitfords Notizen geht nicht nur die Intensität ihrer Verehrung für «H», wie sie Hitler oft nennt, hervor. Sie dokumentieren auch ihren zunehmenden Judenhass. Beiläufig schreibt sie in einem Atemzug, wie sie sich Schuhe kauft, ins Kino geht und sich einen mit Blei beschwerten Knüppel als «Lebensretter» zulegt: «Get a lovely one for killing jews. Buy shoes. See ‹Poor Little Rich Girl› with Shirley Temple.»

Echtheit kaum infrage gestellt

Die von der «Daily Mail» reisserisch angekündigten Überraschungen fehlen in den Tagebüchern, sie enthalten weitgehend eine Bestätigung des bisher – etwa aus ihren Briefen – schon Bekannten. Vielleicht sorgte die Verlautbarung ihrer Entdeckung deshalb kaum für das von der «Mail» wohl beabsichtigte Aufsehen.

Die britischen Medien berichteten pflichtbewusst; die Echtheit der Aufzeichnungen wird kaum infrage gestellt. Auch die in England früher einmal übliche morbide Sensationslust, die sich einstellte, wenn es um «Nazis» ging, lässt sich in Zeiten neu erwachter rechtsradikaler Strömungen nicht mehr so recht wiederbeleben.

Kein Ende im Englischen Garten

Als Deutschland im September 1939 Polen überfiel, fand Unitys masslose Hitler-Verehrung ein abruptes Ende. Nach der Kriegserklärung Grossbritanniens gegen das nationalsozialistische Deutschland schoss sie sich im Englischen Garten in München in den Kopf.

Die Kugel drang in ihren Schädel ein – wo sie auch blieb: Unity erlitt einen Hirnschaden, aber sie erlag ihren Verletzungen nicht. Bilder dokumentieren Mitfords darauffolgende Rückkehr nach England im Jahr 1940. Äusserlich scheinbar unversehrt sitzt sie mit perfekt onduliertem Haar auf einer Trage.

Seither ist die Unity-Mitford-Geschichte eine unendliche Geschichte geworden, die seit dem Zweiten Weltkrieg fortgeschrieben wird: So hiess es, der britische Geheimdienst habe eine Zeitlang bezweifelt, dass Unity sich selbst in den Kopf geschossen habe – was ihre Schwester Deborah, Countess of Devonshire, in einem vehementen Brief an den «Observer» bestritt.

Hartnäckig hielt sich auch das – nie belegte – Gerücht, dass Unity Hitlers Geliebte gewesen sei und ein Kind mit ihm gehabt habe. Eine 2022 erschienene Biografie von Lauren Young mit dem Titel «Hitler’s Girl» erging sich ebenfalls in Spekulationen und steckte voller Fehler, was historische Fakten betraf.

Am liebsten sang sie deutsche Marschlieder

Als Invalidin verbrachte Mitford die meisten ihrer letzten Lebensjahre unter strenger Aufsicht in einem Pfarrhaus in Hillmorton in Warwickshire. «Sehr unbeliebt bei der lokalen Bevölkerung», wie sich die Pfarrerstochter entsinnt. Immerhin sei die Patientin trotz ihren Einschränkungen – inkontinent und auf dem geistigen Stand einer Zehnjährigen – immer fröhlich gewesen. Sie habe es geliebt, mit sehr lauter Stimme deutsche Marschlieder zu singen und habe viel mit ihrem Dackel namens «Lieblich» gespielt, den ihr angeblich Hitler geschenkt habe.

Mitford starb 1948 mit 33 Jahren an den Spätfolgen ihrer Schussverletzung. Die Inschrift auf ihrem Grabstein liest sich wie eine letzte ironische Fussnote zu diesem verpfuschten Leben: «Say not the struggle naught availeth» – «Sag nicht, dass der Kampf nichts nützt.»

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