Bei der frühkindlichen Förderung sind die Mehrheiten hauchdünn – das hat Folgen für eine wichtige Kita-Vorlage.
Vier Jahre lang hat sie die Zürcher Bildungspolitik geprägt – jetzt ist die Kita-Allianz Geschichte, vorläufig zumindest.
Die Koalition aus SP, Grünen, EVP, AL und GLP hat die Zürcher Kita-Politik in den letzten Jahren nach ihren Vorstellungen gestaltet: mit Vorstössen zu kantonalen Krippen-Subventionen, Betreuungsgutscheinen für Eltern und höheren Steuerabzügen.
Alle wurden jeweils angenommen. Den Namen «Kita-Allianz» gab sich die erfolgreiche Gruppe gleich selbst. Sie wurde in bildungspolitischen Fragen zu einer fixen Grösse. Abstimmung um Abstimmung gewann sie, sehr zum Ärger ihrer bürgerlichen Gegner.
Doch diese Zeit ist nun vorbei. Das zeigte sich am Montag im Kantonsparlament, bei einem Resultat, wie es knapper nicht geht. Eine linke Parlamentarierin bemerkte danach: «Wir könnten genauso gut ins Kasino gehen.»
Bei der Abstimmung ging es um eine symbolische Frage: eine Protestnote an die Regierung, weil diese zu wenig tue, um die frühkindliche Bildung zu fördern.
Es brauche mehr Geld, mehr Information und mehr Vernetzung, so argumentierte die altbekannte Mitte-links-Koalition. Alles falsch, man dürfe nicht überborden, fand die Gegenseite – und gewann. Mit 87 zu 86 Stimmen wurde die Protestnote abgelehnt. Das exakt gleiche Resultat gab es bei einer zweiten Vorlage über den Ausbau von Gymi-Vorbereitungs-Kursen. Die beiden Lager stimmten jeweils geschlossen und hatten gleich viele Abwesenheiten (drei).
Damit verliert die Kita-Allianz den ersten Test im letztes Jahr neu gewählten Parlament. Und zwar in einem geradezu exemplarischen Setting. Es ist ein Resultat, das weitreichende Folgen haben dürfte.
«Chancengerechtigkeit» contra «Eigenverantwortung»
Die Fronten in der Kita-Frage sind hart. Und jede Seite hat ihr Schlagwort.
Bei Mitte-links ist es: «Chancengerechtigkeit!» Um diese zu gewährleisten, müsse die frühe Förderung – eigentlich eine Aufgabe der Gemeinden – auf kantonaler Ebene ausgebaut werden. Zu oft fehlten elementare Angebote wie Spielgruppen oder Tagesfamilien, sagte Carmen Marty Fässler (SP). «Die Unterschiede sind immens, die Lücken gross.» Judith Stofer (AL) sprach von einem «unübersichtlichen, unkontrollierten Jekami».
Es brauche nun eine kantonale Koordinationsstelle, die Ordnung in dieses Chaos bringe, fand Monika Wicki (SP). Das sei das beste Mittel gegen «Geldverschwendung» im Bildungsbereich, sagte sie an die Adresse der Bürgerlichen.
Die Angesprochenen sahen das natürlich anders. Sie riefen an diesem Tag vor allem ein Wort in den Ratssaal: «Eigenverantwortung!» Rochus Burtscher (SVP): «Fördern, fördern, fördern und nochmals fördern – die links-grüne Seite hätte am liebsten alles gratis. Gebt doch mal den Eltern die Chance für Eigenverantwortung!»
An den bisherigen Angeboten im Kanton will die Rechte wenig ändern und erst recht nicht mehr Geld sprechen. «Unterschiede sind keine Schwäche, sondern eine Stärke», so Marc Bourgeois (FDP). «Die Gemeinden wissen am besten, was die Bevölkerung braucht.»
Reform verschleppt?
Dass sich diese Sichtweise nun durchgesetzt hat, dürfte Auswirkungen haben auf eine umfassende Reform des Zürcher Kita-Wesens, die in Bälde ansteht. Es geht um die Revision des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Dessen Kernelement: eine stärkere finanzielle Unterstützung der Kinderbetreuung durch Kanton und Gemeinden. Rund ein Drittel der Kosten soll künftig gedeckt sein, wovon vor allem ärmere Familien profitieren sollen.
Das kostet total rund 157,3 Millionen Franken im Jahr. Der Vorschlag dürfte deshalb höchst umstritten sein, wenn die Vorlage dereinst ins Parlament kommt. Der Test vom Montag zeigt nun, was es für eine sichere Mehrheit braucht: Stimmen aus der Mitte, vor allem jene der Mitte-Partei. Sie wolle man nun umwerben, heisst es aus der ehemaligen Kita-Allianz.
Wobei deren Mitglieder ihren Frust über die verlorene Macht nicht verbergen konnten. Enttäuscht sei sie, sagte die SP-Vertreterin Wicki. «Heute zeigt sich, wie man durch Aussitzen Reformen verhindern kann.»
Angesprochen war damit Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte). Sie, argwöhnte die Linke, sei beim Kita-Geschäft bewusst auf die Bremse gestanden – bis die Mehrheiten nun andere seien. Steiner selbst betonte dagegen, die Revision gehe ihren gewohnten Gang. Auch die Hauptkritik von Mitte-links – die fehlende Finanzierung – sei darin aufgenommen worden. «Vielleicht müsste man die Vorlagen halt mal genau lesen.»
Eine neue Realität in der Bildungspolitik
Bleibt eine letzte Frage: Wie kam es eigentlich dazu, dass die Kita-Allianz ihre Mehrheit verlor?
Das hat zum einen mit den Wahlen von vergangenem Jahr zu tun, bei denen Mitte-links leicht verlor, aber eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz behielt. Dass daraus nun eine Minderheit wurde, liegt an einem spektakulären Parteiwechsel – und einem Zufall.
Der Parteiwechsel ist jener von Kantonsrätin Isabel Garcia von der GLP zur FDP, der kurz nach den letzten Wahlen erfolgte und deshalb höchst umstritten war. Wie sich nun zeigt, kann ein solcher Wechsel in politisch umstrittenen Geschäften von grosser Bedeutung sein.
Der Zufall ist das Ratspräsidium: Wer es innehat, muss sich von Gesetzes wegen bei Abstimmungen enthalten (ausser es gibt ein Patt). Das entsprechende Lager verliert also in den meisten Abstimmungen eine Stimme. Und momentan hat die SP-Frau Sylvie Fee Matter dieses Amt inne.
Ab kommendem Mai wird sich das wieder ändern, dann wird voraussichtlich der derzeitige Vizepräsident – der SVP-Mann Jürg Sulser – das Präsidium übernehmen. Und der Zufall wird wieder Mitte-links helfen. Doch auch dann reicht eine Abwesenheit zur falschen Zeit, um das Ganze zunichtezumachen. Eine sichere Mehrheit sieht anders aus.
Die Kita-Allianz in ihrer heutigen Form ist damit vorderhand Geschichte. Aber auch eine klare bürgerliche Gegenmehrheit gibt es nicht. Wollen sie keine Niederlage per Zufallsmehr riskieren, müssen beide Seiten Verbündete suchen. Und das heisst: Es bricht die Zeit der Mitte an, der Partei von Bildungsdirektorin Steiner.
Sie wirkte am Montag denn auch ganz zufrieden über diese neue Realität in der Zürcher Bildungspolitik.