Die konservative Regierung hat aussenpolitische Ambitionen. Das kann nur funktionieren, wenn sie den ökonomischen Krebsgang stoppt.

Auf dem japanischen Börsenbarometer jagen sich gerade die Rekordwerte. Der Nikkei, getrieben von hohen Unternehmensgewinnen, übertraf unlängst die historische Höchstmarke von 1989. Die Feierstimmung am Aktienmarkt überdeckt allerdings eine für Tokio wenig schmeichelhafte Entwicklung: Deutschland hat Japan als drittgrösste Volkswirtschaft der Welt abgelöst.

2010 war Japan bereits hinter China zurückgefallen. Laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds wird Indien als Nächstes die Japaner hinter sich lassen.

Dass Japan irgendwann von China und Indien mit ihren Milliardenbevölkerungen überholt wird, überrascht wegen deren wirtschaftlicher Wachstumsdynamik wenig. Sorgen muss sich Japan dennoch machen: Es fällt auch bei anderen Indikatoren zurück. So ist etwa die im Vergleich zu anderen Industriestaaten ohnehin niedrige Arbeitsproduktivität weiter gesunken.

Müde Ermahnungen

Bemerkenswert ist, wie wenig Tokio die jüngste Rangverschiebung zu kümmern scheint. Als China an Japan vorbeigezogen war, haderte Nippon noch mit sich und der Welt: Wie nur konnte es sein, dass die dynamische Hightech-Nation von der kommunistischen Volksrepublik abgehängt wird? Der jüngste Fall löst hingegen bloss ritualisierte Mahnungen aus. Es sei dringend notwendig, Strukturreformen an die Hand zu nehmen, raunte der Minister für wirtschaftliche Revitalisierung.

Ähnlich hatte es schon vor 15 Jahren geklungen, ohne dass seither ein Ruck durchs Land gegangen wäre. Die Geburtenrate verharrt mit 1,2 auf einem niedrigen Niveau. Japan tut sich weiterhin schwer, mit Migration den Bevölkerungsrückgang zu kompensieren. Jedes Jahr sterben rund eine halbe Million Konsumenten weg.

Die Integration der Frauen am Arbeitsmarkt verläuft in der wertkonservativen Nation harzig. Für Frauen bleibt die schlechte Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben ein Riesenproblem. Der Preis für diese Politik: ein schleppendes Wachstum und eine überalterte Gesellschaft.

Schärfere aussenpolitische Konturen

Der wirtschaftliche Gewichtsverlust Japans bedeutet indes nur beschränkt einen Gesichtsverlust für die politischen Eliten. Die Zurückstufung auf wirtschaftlichen Ranglisten nimmt die Gesellschaft einfach in Kauf. Nur zaghaft passt sie sich dem Zeitgeist an: Von Multikulti ist Japan ebenso weit entfernt wie von einer Aufweichung der Geschlechterrollen.

Eingeigelt hat sich das Inselreich allerdings nicht. Im Gegenteil. Tokio schärft langsam, aber unverkennbar sein aussenpolitisches Profil. Trotz einem historisch belasteten Verhältnis nähern sich Südkorea und Japan an. Zusammen mit Amerika gingen sie einen trilateralen Sicherheitspakt ein; ein Signal an die feindlich gesinnten Atommächte in der Nachbarschaft: China, Russland und Nordkorea.

Japan stärkt zudem den Ländern Südostasiens im Südchinesischen Meer den Rücken, wo China mit überbordenden Gebietsansprüchen die anderen Anrainerstaaten vor den Kopf stösst. Mit der Overseas Security Assistance lancierte Tokio im vergangenen Jahr erstmals ein Unterstützungsprogramm im Sicherheitsbereich.

Damit ermöglicht es ökonomisch schwächeren Staaten, ihre Marine zu modernisieren. Für Japan, das mit Verweis auf seine pazifistische Verfassung lange zauderte, sicherheitspolitisch Verantwortung wahrzunehmen, kommt das einem Quantensprung gleich.

Zeitgleich ist Japan daran, sein eigenes Verteidigungsdispositiv zu stärken. Statt sich primär auf das Bündnis mit Amerika zu verlassen, stärkt das Land seine Selbstverteidigungskräfte. Innerhalb von fünf Jahren sollen die Verteidigungsausgaben verdoppelt werden. Bei der Entwicklung eines neuen Kampfjets emanzipiert sich Tokio von Washington und kooperiert stattdessen mit Grossbritannien und Italien.

Das eine bedingt das andere

Langfristig wird ein Nebeneinander von wirtschaftlichem Bedeutungsverlust und einer ambitionierten Aussen- und Sicherheitspolitik aber nicht funktionieren. Wirtschaftliche Potenz stärkt die geopolitischen Ambitionen. Japan wird daher nicht umhinkommen, die strukturellen Probleme seiner Wirtschaft endlich anzupacken.

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