Dienstag, November 26

XXL-Mode ist ein alter und nun wieder ein neuer Trend. Auch das wird vorübergehen. Inzwischen wird man sich an den Anblick des Schlabberlooks gewöhnen müssen.

Ältere Semester erinnern sich an David Byrne von den Talking Heads, wie er 1984 in «Stop Making Sense» in einem übergrossen Leinenanzug tanzte. Byrne hatte sich dazu vom japanischen Kabuki-Theater inspirieren lassen. Sein Auftritt stand in scharfem Kontrast zu der damals propagierten Mode, die zwar starke Schultern vorsah, sonst aber den Körper möglichst athletisch in Szene setzte.

Heute würde David Byrne in seinem XL-Anzug kaum noch Aufsehen erregen, man hält es heute sogar für recht normal, was er damals auf der Bühne trug. Die derzeitige Mode propagiert nämlich Oversize, also Kleidung, die mindestens zwei Nummern zu gross ist. Angefangen hat diese Welle vor zehn Jahren mit dem Siegeszug von Vetements und Balenciaga, es folgten XXL-Trendsetter wie Louis Rubi oder Hed Mayner. Man fand deren Stil zunächst bizarr, doch schnell zeigte sich, dass die Zeit reif war für eine Neuauflage des Schlabberlooks.

Manches lässt sich verstecken

Über Instagram multiplizierte sich das Phänomen. Reihenweise traten die Influencer mit übergross geschnittenen Blazern vor ihre Smartphone-Kameras und schufen einen scharfen Kontrast zu ihren gut trainierten Körpern. Viele davon trugen die Kreationen des Pariser Labels The Frankie Shop, das den Stil früh kommerzialisiert hat. Die Marke und ihr Stil wurden wiederum kopiert von den schnellen Discountern. Baggy-Jeans sind der Standard bei den Kids. Für die Konfektionäre ist der neue Stil ein Segen: Es kommt nicht mehr so auf die Passform an, man kann den Markt mit den drei Grössen M, L und XL abdecken.

Doch einfach ein bisschen zu gross reicht nicht, es muss schon übergross sein. Ausserdem funktioniert der Gag am besten mit Standardformen wie Mänteln, Blazern, Hemden und Hosen, die tendenziell aus der Herrengarderobe kommen. Weite Kleider oder Röcke sind weniger geeignet. Schliesslich darf nicht alles zu gross sein, sondern bestenfalls zwei von drei Elementen. Man kann also eine XL-Hose und einen weiten Blazer tragen, sollte dann aber ein enges Top dazu kombinieren. Zum Riesen-Sweater kombiniert man Leggings. Es braucht Kontraste und Brüche.

Für viele Menschen ist der Oversize-Style ein Geschenk. Man kann damit einiges kaschieren, ausserdem kann Kleidung in Übergrössen einen grösser aussehen lassen. Oversize-Mode erzeugt die Illusion von Länge und lässt den Körper schmaler wirken. Wer tatsächlich zierlich ist, greift zu den sogenannten Cropped-Modellen, das sind verkürzte Varianten der Oversize-Kleidung.

Spiel mit Klischees

Oversize-Kleidung gibt vielen Menschen ausserdem ein Gefühl von Sicherheit und Komfort. Sie schafft eine Distanz zwischen Mensch und Umwelt. Kombiniert mit den derzeit angesagten XL-Kopfhörern, schafft der Stil ein eindeutiges Signal für die Aussenwelt: Komm mir nicht zu nahe, ich brauche Abstand und kultiviere meine Komfortzone.

Befeuert wird der Trend von der laufenden Diskussion um Genderidentitäten. Mit den aus der klassischen Herrenmode entliehenen Stücken spielen Frauen lässig mit den sich verändernden Rollenklischees. Der Look ist – weil er den Stereotypen zuwiderläuft – ein Akt der weiblichen Selbstermächtigung und ein Zeichen fortschreitender Emanzipation. Die Männermode wird nach diesen Raubzügen so bald nicht mehr zu diesen Standards zurückkehren können.

Das führt zu der Frage: Was folgt auf Oversize? In der Logik der Mode wird es das totale Gegenteil sein: eng geschnittene, körperbetonte und ausgesprochen gendertypische Kleidung. Tatsächlich sieht man dazu bereits erste Anzeichen, seien es die klischeehaften Männertypen bei Willy Chavarria in New York oder die hauteng modellierten Sirenen von David Koma in London. Die nächste Aufregung ist programmiert.

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