Donnerstag, November 14

Die übergrossen Schultern sind modisch wieder angesagt – dank dramatischen Oversize-Silhouetten und einer generellen Rückbesinnung auf die Mode der 1980er Jahre.

Nun sind sie also wieder zurück, jene modischen «Konturen-Füller», für die es jedoch keine kosmetischen Eingriffe mit langer Heilungszeit braucht. Die Rede ist von Schulterpolstern, die nach einer ersten Blütezeit in den 1940er Jahren eine goldene Ära in den 1980er Jahren erlebten und sich für ein gutes Jahrzehnt ziemlich hartnäckig hielten.

Dass sie nun zurück sind, zeichnete sich in den vergangenen Jahren bereits mit dem Oversize-Trend ab, der sich anders als diese vielen vorbeirauschenden Mikrotrends halten konnte. Diesen neuzeitlichen Hang zu fliessenden, übergrossen Silhouetten verdanken wir übrigens mitunter dem Untergang der einst omnipräsenten Skinny-Hosen; sie lösten den Wunsch nach dem Gegenteil aus.

Frühjahrskollektionen 2025: Spiel mit übergrossen Silhouetten und starken Schultern bei Bottega Veneta (links) und Khaite.

Mit etwas mehr Volumen wirken Hosenbeine, Ärmel und ganze Jacken, Mäntel und Ensembles eleganter. Und auch hier gibt es eine Weiterentwicklung: Nachdem Designerinnen und Designer lange auf entspannteres Flair mit fliessenden Silhouetten Wert legten – dazu gehörten die sogenannten «dropped shoulders», also soft fallende Schultern, wenn wir zum Beispiel an eine Jacke denken –, kommen nun die Polster zum Einsatz.

Alle vierzig Jahre wieder . . .

Galten sie in der Zeit des Zweiten Weltkriegs in den späten 1930er und 1940er Jahren vor allem als Symbole von Stärke und Resilienz, wurden Schulterpolster insbesondere dank dem amerikanischen Kostümbildner und Modedesigner Gilbert Adrian zum Ausdruck eines neuen, exzentrischen Power-Glamours à la Joan Crawford – ein Kontrast zu den sonst weicheren und weiblichen Silhouetten der vorherigen Jahrzehnte.

Vierzig Jahre später, um 1984 herum, wurde dieser Look wieder aufgegriffen. In fast schon monumentalen Dimensionen war er zu sehen, etwa bei damaligen Modegrössen wie Claude Montana und Thierry Mugler, aber auch bei Azzedine Alaïa und Jean Paul Gaultier. Allerdings neu inszeniert. Die wuchtigen Schulterpolster stehen in dieser Zeit für eine textile Rüstung, die als «Power-Dressing» in die Annalen einging, um eine neue Generation emanzipierter, arbeitstätiger Frauen auszustatten.

Herbst/Winter 1984: Laufsteg-Looks von Claude Montana (links) und Thierry Mugler.

Erst im Lauf der 1990er Jahre wich die übertriebene Silhouette einem minimalistischeren, figurbetonten Look. Eine erste Rückbesinnung auf die Silhouetten der 1980er Jahre, insbesondere die ausgeprägten Schulterpartien, machte sich dann vor einigen Jahren bei Alessandro Micheles Gucci-Kollektionen bemerkbar und breitete sich zunehmend auch bei anderen Marken aus. Designerinnen wie Stella McCartney und Isabel Marant scheinen bereits seit einer Weile Fans der grossen Schultern zu sein, was sich nicht nur an ihren Kreationen auf dem Laufsteg zeigt, sondern auch daran, wie sich selbst kleiden.

Die Modedesignerinnen Isabel Marant (links, September 2022) und Stella McCartney (März 2024).

Nun waren Schulterpolster bei den jüngsten Modewochen für Herbst/Winter 2024/25 und Frühjahr/Sommer 2025 dermassen oft zu sehen, dass sie offiziell im Trend sind. Man mag das mit soziokulturellen Hintergründen belegen wollen, etwa dem Ausdruck für weibliche Ermächtigung. Plausibler scheint aber die Erklärung, dass es derzeit ein Bedürfnis gibt nach einem ausdrucksstarken, präsenten, gar hochstilisierten Auftritt mit Hang zu Dramatik, als Gegenpol zum Minimalismus.

Laufsteg-Looks von Saint Laurent, Kollektion Frühjahr/Sommer 2025.

Kamala Harris’ neues Stilmerkmal

In der englischen Sprache gibt es Ausdrücke, die den gegenwärtigen Trend zu Schulterpolstern zusätzlich zementieren: «You look sharp» zum Beispiel, was so viel heisst wie dass man einfach gut aussieht, es auf den Punkt gebracht hat. Oder die Redewendung «to square one’s shoulder», im übertragenen Sinn bedeutet es, dass man sich für einen Auftritt zusammenreisst und Haltung beweist.

Wohl keine andere Person hat sich diese Worte im vergangenen Halbjahr optisch so klar zu eigen gemacht wie Kamala Harris: Im Präsidentschaftswahlkampf wurden scharf konturierte Schultern zu ihrem stilistischen Merkmal. Viel weiss man nicht über die Modelabels, die Harris trägt, aber laut diversen Quellen soll ihr bei diesem Look die Stylistin Leslie Fremar, die Promis wie Charlize Theron einkleidet, geholfen haben.

Auch für den Look des «Vogue»-Covers, das im Oktober dieses Jahres erschien, soll sie verantwortlich gewesen sein: In einem Blazer in schokobrauner Seide von Gabriela Hearst zeigte Harris einmal mehr eine prägnante Schulter.

Kamala Harris ist aber längst nicht die einzige Prominente, die mit gepolsterten Schultern spielt. Auch die Sängerin Beyoncé Knowles zeigte in einem Blazerkleid von Wardrobe.NYC, wie es geht, Kelly Rowland wiederum in einem Anzug von Fear of God. Beispiele, wie man die starken Schultern trägt, sieht man bereits genügend. Wie das im Alltag und nicht nur an Stars gut aussieht, zeigt Lisa Ing, eine britische Juristin, die mit ihrem Modestil und ihrem coolen Business-Look auf Social Media bekannt geworden ist. Ihre Version von heutigem Power-Dressing drückt sich mit den gerundeten Schultern der «Ovalo»-Jacke von Jacquemus aus.

Im Gegensatz zum Look von vor vierzig Jahren wirken die neuen Kreationen heute meist moderater. Das hat viel mit cleveren, ausgewogenen Schnitten und Proportionen zu tun. Zudem ist das Styling heute weniger wild: Statt zu den Polstern starkes Make-up, Föhnfrisuren, High Heels, riesige Ohrringe und knallig lackierte Nägel zu kombinieren, wählt man lieber diskrete Accessoires und schmale Teile dazu, die den Look kontrastieren.

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