Der einstige Liga-Primus SC Bern hat seit dem Titel von 2019 keine Play-off-Serie mehr gewonnen und viel Führungspersonal verschlissen. Jetzt soll der Hockey-Intellektuelle Martin Plüss die Organisation stabilisieren.
Halloween steht vor der Türe, aber wer dieser amerikanischen Tradition wenig abgewinnen kann und trotzdem einen Berner erschaudern lassen möchte, der kann einfach zwei Namen flüstern: Don Nachbaur und Florence Schelling. Der Trainer und die Sportchefin sind im SC Bern längst Geschichte, aber ihre Namen sind zu Synonymen geworden für die Schwierigkeiten, die den Klub seit dem letzten Meistertitel von 2019 plagen.
Unter dem finnischen Altmeister Kari Jalonen ordnete der SCB damals der Gegenwart so viel unter, dass er die Zukunft vergass: Viele Talente verliessen den Klub mangels Perspektiven; der CEO, Verwaltungsratspräsident und Mitbesitzer Marc Lüthi sagt inzwischen sogar: «Ich habe damals nicht realisiert, dass Jalonen die Organisation bei allem Erfolg auch ein Stück weit kaputtgemacht hat. Wir haben eine ganze Generation an jungen Spielern verloren.»
Der Ex-Sportchef Andrew Ebbett stand in Bern kurz vor einem Burn-out
Lüthi sagt, es sei eine seiner Erkenntnisse, keiner Einzelperson mehr so viel Macht einzuräumen wie damals dem Coach Jalonen. Es ist einer der Gründe, weshalb der SCB heute unkonventionell strukturiert ist und sowohl einen Sportdirektor als auch einen Sportchef beschäftigt. Lüthi sagt: «Das hat nichts mit Ober- und Untersportchef zu tun, wie immer wieder böswillig behauptet wird. Sondern damit, dass die Anforderungen an einen Sportchef immer komplexer werden und dieser mit der ersten Mannschaft gänzlich ausgelastet ist, wenn er seinen Job seriös erledigt. Entsprechend muss sich eine andere Person um strategische Überlegungen kümmern.»
Es ist eine Aussage, die von Andrew Ebbett gestützt wird, einem Kanadier, der den SCB in den letzten drei Jahren als Sportchef führte. In dieser Zeit, sagt er, habe er «zwei oder drei Tage wirklich frei» gehabt, also keine Mails oder Anrufe beantwortet. Auch anderswo in der Branche klagen Manager, vor einem Burn-out zu stehen.
Unter dieser Prämisse langfristige Projekte zu erdenken und zu realisieren, fällt schwer. Zumal vielerorts das Hauptaugenmerk auf den Resultaten des nächsten Wochenendes liegt – es geht ja letztlich um Job-Sicherheit. Der SCB möchte von diesem Denken wegkommen, Lüthi sagt: «Wir wollen, dass sich vom Hosenscheisser bis zur ersten Mannschaft ein roter Faden durch die Organisation zieht.» Es ist nicht zuletzt Lüthi zuzuschreiben, dass das jüngst nicht der Fall war: Der starke Mann im SCB-Konstrukt schoss wiederholt aus der Hüfte, die Richtungswechsel waren häufig und abrupt.
Nun haben im Sommer zwei neue Männer ihren Job beim SCB begonnen. Patrik Bärtschi, der Ex-Klotener, als Sportchef. Und Martin Plüss als Sportdirektor. Plüss, 47, galt schon als Spieler als eine Art Hockey-Intellektueller, der seine Worte stets mit Bedacht wählte und diesen Sport nicht zuerst als Unterhaltungssegment verstand. Er ärgerte sich über Stammtischthesen, weil es ihm fernlag, sich selbst unfundiert zu äussern. Nebenbei arbeitete er einst als Treuhänder – und schien diese Seriosität auch sonst auszustrahlen. Er war ein Musterprofi, wobei ihn schon dieses Wort stört. Dem «Sonntags-Blick» sagte er 2015, die Bezeichnung sei ihm zu plakativ.
Der Zürcher war schon zu seinen Aktivzeiten ein scharfer Analytiker und oft der verlängerte Arm des Trainers; in Bern, Kloten und der Nationalmannschaft führte er die Teams als Captain an. Nach dem Rücktritt 2017 schloss er unter anderem einen Masterlehrgang in Kommunikation, Prozessanalyse und Coaching ab. Daneben beriet er Spieler, auch solche, die beim SCB unter Vertrag stehen, den aufstrebenden Nationalspieler Marco Lehmann beispielsweise.
Lüthi wollte Plüss schon 2020 als starken Mann in der SCB-Sportabteilung installieren, doch damals schlug dieser die Offerte aus – das Timing passe nicht. Jetzt ist er da, nachdem er im letzten Winter auf Mandatsbasis als Berater gewirkt hat.
Der SCB will stärker auf den Nachwuchs setzen – und hat diese Idee aber bei weitem nicht exklusiv
Vor dem Saisonstart sagte er der Lokalzeitung, der Klub müsse sich erst einmal ein Fundament erarbeiten. Es sind bescheidene Töne für eine Organisation, die in ihrem Selbstverständnis zur absoluten Elite gehört, diesem Anspruch allerdings schon lange nicht mehr gerecht wird. Wenn man Plüss fragt, in welchem Zeithorizont der SCB seinen Führungsanspruch wieder erfüllen könne, dann antwortet er: «Ich kann nicht vorhersehen, wie schnell wir uns entwickeln, das hängt von zu vielen Faktoren ab. Zum Beispiel, ob wir mittels Transfers Zeit gewinnen können. Klar ist, dass wir in Zukunft weniger abhängig vom Transfermarkt sein wollen. Das heisst, dass wir möglichst viele Spieler der ersten Mannschaft selber ausbilden möchten.» Es gehe darum, nachhaltig um den Titel spielen zu können. Und nicht nur für eine Saison, dank einer glücklichen Fügung.
Die Integration von Eigengewächsen ist kein revolutionärer Ansatz – in der halben Liga klingt es so oder ähnlich, von Davos über Lugano bis Zürich. Aber im SCB handelte es sich bei den Beteuerungen, Juniorenförderung betreiben zu wollen, in der jüngeren Vergangenheit oft um Lippenbekenntnisse, die im nächsten Moment widerlegt wurden.
Unter der Federführung von Plüss soll das anders werden, Lüthi sagt: «Ich kenne Martin seit vielen, vielen Jahren und bin zu 200 Prozent davon überzeugt, dass er die richtige Person ist, um uns in die Zukunft zu führen. Er ist daran, unseren Nachwuchs umzubauen.» Plüss ist nicht der erste Mitarbeiter, über den Lüthi mit fast glühender Verehrung spricht. Aber das gehört in diesem Metier zum guten Ton.
Mit seinen Ansprüchen hat der SCB nicht die Zeit, um in der Mannschaft einen radikalen Generationenwechsel zu vollziehen – die Geduld im Umfeld ist nach den tristen letzten Jahren weitgehend aufgebraucht; auf den Rängen waren ungewohnte Lücken auszumachen. Lüthi spricht darum von «einer Operation am lebenden Körper».
Es ist ein Balanceakt, den der SCB da gerade versucht: heute kompetitiv sein und morgen mit Köpfchen die Spitze erklimmen. In der Gegenwart funktioniert das Unterfangen erstaunlich gut, der SCB punktete in sieben seiner ersten acht Spiele, obwohl der Trainer Jussi Tapola für Unruhe sorgte, als er in der ersten Runde seine beste Kraft Dominik Kahun auf die Tribüne setzte. Es könnte ein milder Herbst werden in Bern. Den Ideen der neuen Macher kann das nur zuträglich sein.
Ein Artikel aus der «»