Dienstag, Oktober 15

Kleine Händler, die ihre Uhren über Chrono24 anbieten, fühlen sich wegen hoher Gebühren zunehmend in die Enge getrieben. Nun formiert sich Widerstand.

Clément de Gaulle sitzt in seinem Uhren-Showroom im zweiten Pariser Arrondissement – und hat die Nase voll. 2017 hat der frühere Unternehmensberater seine Leidenschaft für Vintage-Uhren zum Beruf gemacht und Sabiwatches gegründet. Mittlerweile verkauft er 150 bis 200 Uhren pro Jahr. Die Zeitmesser bietet er über seine Website oder im Showroom an – oder über die Uhrenplattform Chrono24.

Chrono24 ist so etwas wie das Amazon der Luxusuhrenwelt. Millionen von Uhrenliebhabern und Sammlern weltweit nutzen die Plattform, um die begehrtesten Modelle von Rolex, Patek Philippe, Omega oder IWC zu finden, Preise zu vergleichen und Verkäufe abzuwickeln. Derzeit bieten 30 000 Verkäufer rund 570 000 neue und gebrauchte Uhren an. Von den Verkäufern sind schätzungsweise 4000 professionelle Händler, der Rest Privatpersonen.

De Gaulle frustriert das Geschäftsgebaren von Chrono24. «Als ich angefangen habe, konnte ich für 69 Euro pro Monat bis zu 25 Inserate aufschalten. Dazu kam eine Kommission von 2,5 Prozent bei einem Verkauf.» Heute zahle er für das Gleiche 200 Euro im Monat und bis zu 10 Prozent Kommission.

De Gaulle ist nicht allein mit seiner Kritik. 900 Uhrenhändler haben sich ihm in den vergangenen Wochen in der Gruppe «United Chrono24 Dealers» angeschlossen, um gemeinsam gegen die Uhrenplattform anzukämpfen. Ihr Anliegen: Schluss mit den intransparenten und sich ständig verschlechternden Konditionen.

Mächtige Plattform

Die Plattform ist Marktführerin, und entsprechend gross ist ihre Macht. Sie kann die Konditionen diktieren. Und das bekommen die kleinen Händler am stärksten zu spüren, weil sie von der Plattform abhängig sind.

Früher, als Chrono24 noch froh gewesen sei um neue Angebote auf der Website, habe man ein partnerschaftliches Verhältnis gehabt, so die Händler-Gruppe. Aber heute werde man auf eine Art und Weise ausgepresst, die nicht mehr tragbar sei.

Laut Clément de Gaulle haben private Verkäufer vorteilhaftere Konditionen: 6,5 Prozent Kommission, aber keine Inserate-Gebühren. Und auch sehr grosse Händler, die deutlich über 1000 Uhren auf der Plattform vertrieben, könnten günstigere Bedingungen aushandeln.

Intransparentes Kostenmodell

Was de Gaulle und die anderen Händler neben den stark gestiegenen Preisen vor allem stört, ist die Intransparenz bei der Preisgestaltung. Seit Februar 2021 gibt es bei Chrono24 ein dynamisches Pricing. Statt einem fixen Prozentsatz des Verkaufspreises verlangt die Plattform bei professionellen Verkäufern eine Provision in Abhängigkeit der erwarteten Händlermarge.

Die Plattform stützt sich dabei laut eigenen Angaben auf ihre Marktplatzdaten. Diese hätten gezeigt, dass bei gewissen Stücken mehr Marge erzielt werde als bei anderen. Chrono24 argumentiert, mit dem dynamischen System könnten die Händler nachhaltiger wirtschaften. Verdiene der Händler weniger, verdiene auch Chrono24 weniger. Die Kommission beträgt zwischen 4 und 10 Prozent, wie Chrono24 auf Anfrage bestätigt.

Die Händler sehen das jedoch diametral anders. Das Preismodell von Chrono24 helfe ihnen keineswegs. Zum einen sei die Kommission selbst im günstigsten Fall mit 4 Prozent sehr hoch, wenn man bedenke, dass zusätzlich auch noch Gebühren für das Einstellen der Inserate bezahlt werden müssten. Bei 10 Prozent bleibe für den Händler teilweise nichts mehr übrig.

Zum anderen gebe es bei der Marge zwar Eckwerte für verschiedene Uhrentypen. So verdiene man als Händler typischerweise mit einer neuen, gefragten Rolex, die man über einen anderen Händler oder gar über mehrere Ecken besorgt hat, weniger als mit einer Vintage-Omega oder -Tissot. Aber im konkreten Fall hänge die Marge davon ab, zu welchem Preis der Händler die Uhr eingekauft habe. Diesen Preis kenne die Plattform nicht. Mit dieser Art von Kommissionsmodell greife Chrono24 direkt in das Geschäft der Händler ein.

Bessere Konditionen und mehr Transparenz

Die Unzufriedenheit der Händler dauert schon mehrere Jahre an. Aber mit der Abkühlung des Marktes für Luxusuhren habe Chrono24 die Schraube bei den Händlern immer stärker angezogen, sagt de Gaulle. Vor wenigen Wochen wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht, als Chrono24 die Gebühren ein weiteres Mal anpasste. Damit ein Händler überhaupt Uhren auf die Plattform stellen kann, sind neu 199 Euro im Monat fällig.

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Die Händler, die sich bis anhin einzeln und vergebens gewehrt hatten, schlossen sich unter der Ägide von de Gaulle in einer Whatsapp-Gruppe zusammen. In einem auf den 27. September datierten Schreiben an das Management von Chrono24 bitten die Händler um ein Gespräch, um konkrete Forderungen zu besprechen.

Sie verlangen unter anderem eine sofortige Überarbeitung der Preisstruktur. Die meisten vergleichbaren Plattformen verlangten für ähnliche technische Leistungen Provisionen zwischen 2 und 5 Prozent, heisst es in dem Schreiben, das der NZZ vorliegt.

Zudem fordern sie mehr Transparenz. Die Händler müssten die Gründe für Änderungen der Gebührenstruktur nachvollziehen können. Statt der schwankenden Provisionen solle zu einer fixen Provisionsstruktur zurückgekehrt werden. Nur so sei für die Händler eine gewisse Berechenbarkeit und Konsistenz bei der Geschäftsplanung gewährleistet.

Boykottdrohung

Noch ist nicht klar, ob Chrono24 bereit für Gespräche ist. Auf Anfrage der NZZ schreibt die Plattform zwar, sie stehe bereits im Dialog mit ihren Händlern und sei bestrebt, die Zusammenarbeit zu intensivieren, um zuzuhören, zu verstehen und letztlich gemeinsam ein nachhaltiges Geschäft aufzubauen. Das neue Preismodell mit höheren Einstellgebühren für Inserate und gleichzeitig leicht tieferen Verkaufskommissionen rechtfertigt die Plattform damit, dass man die Händler motivieren wolle, Transaktionen zu machen und Chrono24 nicht nur als Schaufenster zu nutzen.

Aber eine Antwort auf ihren Brief haben die Händler laut de Gaulle bis jetzt nicht erhalten. Man überlege sich nun, den Streit eskalieren zu lassen. Denkbar sei ein Boykott der Händler, sagt Clément de Gaulle, auch wenn er nicht wisse, ob alle Mitglieder der Gruppe mitmachen würden. Wenn plötzlich zehntausend Uhren auf der Plattform fehlten, rüttle das die Manager in Karlsruhe vielleicht auf.

De Gaulle hofft, dass sich bald eine Einigung finden lässt. Sich ganz von der Plattform zurückzuziehen – daran will er im Moment nicht denken, nicht zuletzt aus Solidarität mit anderen Händlern. Rein wirtschaftlich gesehen wäre es jedoch durchaus eine Option. Er schätze zwar die Reichweite von Chrono24, aber abhängig von der Plattform sei er zum Glück nicht, sagt de Gaulle: «Ich verkaufe etwa 10 Prozent meiner Uhren über Chrono24. Das hat mich im vergangenen halben Jahr 1000 Euro im Monat gekostet. Wenn ich dieses Geld stattdessen in eigenes Marketing auf Social Media stecke, könnte ich mindestens so viel erreichen.»

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