Mittwoch, März 12

Im Kampf gegen Russland war die Unterstützung aus Washington bisher unerlässlich. Auch, weil in Europa nur wenige Länder Verantwortung übernahmen. Das könnte sich nun ändern.

Washington setzt Europa unter Druck. Die neue amerikanische Regierung stösst nicht nur Friedensgespräche zur Ukraine ohne europäische Beteiligung an, sondern droht auch damit, die Hilfen für das Land im Krieg massiv zu kürzen oder ganz zu streichen. Ein erster Schritt ist bereits getan: Die Entwicklungshilfe wurde für 90 Tage ausgesetzt, zahlreiche Projekte in der Ukraine sind davon betroffen. Nun reagiert Europa. Bei einem kurzfristig einberufenen Gipfel berät eine ausgewählte Runde europäischer Staats- und Regierungschefs am Montag über ihre Strategie.

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Die Aufregung Europas über mögliche amerikanische Kürzungen wirkt auf den ersten Blick überzogen. Die Ukraine-Hilfen machen höchstens 0,2 Prozent des jährlichen BIP der Geberländer aus – ein verschwindend geringer Anteil. Und Europa hat die USA bei den Zusagen längst überholt. Laut neuen Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) haben die europäischen Geberländer der Ukraine insgesamt fast 250 Milliarden Euro an militärischer, wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe zugesagt. Die USA allein versprachen rund 120 Milliarden Euro.

Zählt man allerdings nur die tatsächlich geleistete Hilfe anstelle der blossen Zusagen, schrumpft Europas Vorsprung deutlich. Die mehr als dreissig europäischen Länder haben der Ukraine zusammen gerade einmal 15 Milliarden Euro mehr geliefert als die USA. Dass Europas Vorsprung überhaupt gewachsen ist, liegt vor allem daran, dass die amerikanischen Hilfen bereits einmal versiegten.

Schon einmal kam kein neues Geld aus den USA

Im Spätsommer 2023 geriet die amerikanische Militärhilfe ins Stocken. Der damalige Präsident Joe Biden zögerte bei der Lieferung der ballistischen Kurzstreckenraketen vom Typ Atacms mit einer Reichweite von 165 Kilometern. Sie wurden schliesslich bereitgestellt, standen jedoch für die ukrainische Herbstoffensive noch nicht zur Verfügung. Auch weil diese Unterstützung fehlte, blieb der erhoffte Vorstoss bis zur Schwarzmeerküste aus.

In den USA führte das ausbleibende militärische Momentum der ukrainischen Armee zu wachsender Skepsis gegenüber weiterer Unterstützung für das Land. Erst im März 2024 löste sich die Blockade, und der Kongress verabschiedete ein weiteres Hilfspaket. Im Oktober folgte eine letzte Unterstützung durch Präsident Biden – kurz bevor Donald Trump ins Weisse Haus zurückkehrte.

Europa konnte den Ausfall der USA damals nicht ausgleichen. Zwar kündigten die Länder fortlaufend neue Hilfen an, doch niemand füllte die Lücke, die die USA hinterliessen – das gilt besonders für die Militärhilfen, die den grössten Teil der Unterstützung ausmachen. Hier ist die Ukraine weiterhin auf die USA angewiesen.

Kein Land in Europa kann mit dem Umfang des amerikanischen Waffenarsenals mithalten. Die Europäer lieferten zwar teure und hochmoderne Waffensysteme, jedoch in vergleichsweise geringer Stückzahl.

Die USA hingegen versorgten die Ukraine mit allem – von Schutzhelmen und Munition bis zu Mehrfachraketenwerfern –, und das meist schnell und zuverlässig. Es sind auch die USA, die seit Kriegsbeginn massgeblich die Logistik für die Lieferung von Hilfsgütern in die Ukraine übernehmen.

Die Lasten in Europa sind ungleich verteilt

All das gilt es zu kompensieren, sollten die USA tatsächlich ihre Unterstützung für die Ukraine zurückziehen. Schon jetzt verlangt die Trump-Regierung von den Europäern deutlich mehr Engagement. Dem kommen derzeit nur wenige Länder nach. Einzig die baltischen Staaten, Dänemark und Finnland haben ihren Nachbarn in drei Jahren mit Beiträgen von bis zu 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung unterstützt. Dies neben ihren massiven Investitionen in die heimische Verteidigungsfähigkeit.

Der Rest Europas bleibt zurück. Deutschland liegt gemessen an seiner Wirtschaftskraft im Mittelfeld, Frankreich noch weiter hinten. Besonders mager fällt die Hilfe in wohlhabenden Ländern wie der Schweiz, Italien und Spanien aus. Sie haben in drei Jahren Krieg in Europa gerade einmal 0,1 Prozent ihres jährlichen BIP für die Unterstützung der Ukraine ausgegeben.

Die Solidarität in Europa ist ungleich verteilt – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Länder wie Norwegen, Dänemark, die Niederlande und Grossbritannien haben der Ukraine die Überlassung von bis zu der Hälfte ihrer schweren Waffen zugesagt. Darunter waren Panzerhaubitzen, Mehrfachraketenwerfer und Flugabwehrsysteme sowie F-16-Kampfjets. Sie sprangen für die Ukraine ein, während Länder wie Frankreich, Spanien und Italien knauserten und die europäische Rüstungsindustrie erst ihre Produktion hochfahren musste.

Vor allem in Paris und Madrid begründete man die zurückhaltende Haltung wiederholt mit der Notwendigkeit, die eigene Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen. Dass diese Hauptstädte jedoch mindestens doppelt so weit von der Ukraine entfernt sind wie etwa Oslo oder Tallinn, spielte dabei offenbar keine Rolle.

Eine Frage der Prioritäten

Ohne die Rückendeckung der USA wird der Blick künftig wohl besonders auf die bisher zurückhaltenden europäischen Länder fallen. Während West- und Südeuropa militärisch mehr beitragen könnten, hat beispielsweise die Schweiz insbesondere bei der wirtschaftlichen und humanitären Hilfe noch Luft nach oben.

«Betrachtet man die Staatshaushalte der meisten europäischen Geberländer, wirkt die Ukraine-Hilfe der letzten drei Jahre eher wie ein politisches Nebenprojekt als wie eine ernsthafte finanzielle Anstrengung», urteilt Christoph Trebesch vom IfW. Ein Blick auf vergangene Krisen zeigt denn auch, dass Europas Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Die EU hat für Rettungsfonds während der Corona-Pandemie und Nothilfekredite in der Euro-Krise ein Vielfaches dessen ausgegeben, was bisher in die Ukraine-Hilfe geflossen ist. Doch im Zweifel setzen die EU-Länder ihre Prioritäten innenpolitisch. So kosten beispielsweise die deutschen Steuersubventionen für Diesel den Steuerzahler jährlich das Dreifache der deutschen Militärhilfe für die Ukraine.

Diese Prioritätensetzung entspricht jedoch nicht der Stimmung in der europäischen Bevölkerung. Laut einer repräsentativen Eurobarometer-Umfrage, die regelmässig in allen 27 EU-Mitgliedsländern durchgeführt wird, blieb die Unterstützung für die Ukraine jüngst weiterhin hoch. 58 Prozent der Befragten befürworteten weitere Militärhilfen, 60 Prozent unterstützen die EU-Kandidatur des Landes.

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