Donnerstag, Mai 8

Erstmals in der Kriegsgeschichte ist es gelungen, ein Flugzeug von einem ferngesteuerten Fahrzeug aus abzuschiessen. Dieser Schritt in Richtung unbemannte Kriegführung dürfte Folgen weit über den Schauplatz Osteuropa hinaus haben.

Was sich Ende vergangener Woche vor der russischen Schwarzmeerküste abspielte, wäre auch ohne den dramatischen Schlusspunkt bemerkenswert gewesen: Ein Schwarm von ferngesteuerten ukrainischen Schnellbooten, laut armeenahen russischen Quellen bis zu drei Dutzend Stück, sammelte sich ausserhalb des Militärhafens Noworossisk zum Angriff. Die Marinedrohnen hatten eine Fahrt von mindestens 600 Kilometer hinter sich, vorbei an der russisch besetzten Halbinsel Krim bis in den Osten des Schwarzen Meeres. Unterstützt wurden sie aus der Luft von gleichzeitig angreifenden Flugdrohnen.

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Was dann geschah, lässt sich aus bruchstückhaften ukrainischen und russischen Angaben rekonstruieren: Ein zur Abwehr eingesetztes russisches Kampfflugzeug wurde etwa 50 Kilometer vor der Küste von einer der Marinedrohnen beschossen und zerstört – eine Premiere nicht nur in diesem Krieg, sondern weltweit. Der ukrainische Erfolg könne nicht überbewertet werden, schreibt der Militärexperte H. I. Sutton in seiner Fachpublikation «Naval News». Mit den Marinedrohnen würden die Regeln der Seekriegsführung neu geschrieben, konstatiert er.

Neuer, grösserer und bewaffneter Typ

Moskau hat den Verlust der zweisitzigen Su-30 offiziell nicht eingestanden, aber in armeenahen russischen Kanälen wie Rybar oder Fighterbomber wird daraus kein Geheimnis gemacht. Diese nationalistischen Quellen meldeten auch, dass man die Besatzung des Kampfjets aus dem Wasser habe retten können. Die Russen setzten dafür ein ziviles Frachtschiff ein – wohlwissend, dass ein Militärboot oder ein Helikopter ebenfalls unter Beschuss der ukrainischen Drohnen gekommen wären.

Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR hat sich zu dem spektakulären Angriff vom Freitag bekannt und als Beleg ein Video seiner Spezialeinheit «Gruppe 13» veröffentlicht. Die Bilder zeigen, wie ein Flugobjekt ins Visier gerät, explodiert und wenig später ins Meer stürzt.

Seither sind weitere wichtige Details der Operation bekanntgeworden. Der HUR-Leiter, Generalleutnant Kirilo Budanow, teilte gegenüber dem Fachjournal «The War Zone» mit, dass die Ukrainer einen neuen Drohnentyp namens Magura V7 eingesetzt hätten. Sie hätten damit am selben Tag noch eine zweite Su-30 abgeschossen. Dafür gibt es allerdings weder ein Video noch andere Quellen als Bestätigung.

Aufhorchen lässt Budanows Enthüllung, dass seine Drohnen-Einheit erstmals Lenkwaffen des Typs AIM-9 Sidewinder eingesetzt habe. Bei diesem amerikanischen Produkt handelt es sich eigentlich um Luft-Luft-Raketen, mit denen beispielsweise auch die von westlichen Ländern an Kiew gelieferten F-16-Kampfflugzeuge bestückt sind.

Aber die Ukrainer haben in diesem Krieg immer wieder ihre rüstungstechnische Kreativität bewiesen: In diesem Fall montierten sie zwei Sidewinder-Lenkwaffen auf eine Marinedrohne und schufen damit eine mobile Flugabwehr-Plattform. Budanows Geheimdienst veröffentlichte ein Bild von einer Testfahrt.

Die darauf erkennbaren Dimensionen machen klar, dass es sich tatsächlich um eine weiterentwickelte Marinedrohne handelt. Die Magura V7 ist mit rund 8 Metern Länge deutlich grösser als die Magura V5, die als Kamikazedrohne bekanntgeworden ist. Schnellboote dieses älteren Typs werden, mit Sprengstoff bepackt, in den Rumpf von russischen Kriegsschiffen gerammt.

Auf diese Weise versenkten die Ukrainer in den Jahren 2023 und 2024 ein halbes Dutzend Schiffe der Schwarzmeerflotte. Nach diesen Demütigungen zog sich die russische Flotte weitgehend aus dem offenen Meer zurück und verschanzt sich mit ihren wichtigsten Schiffen im Stützpunkt Noworossisk. Sie bleibt dort eine Bedrohung, da Russland von gewissen Kriegsschiffen aus Marschflugkörpern gegen Ziele in der Ukraine starten kann.

Der gut geschützte Hafen Noworossisk erweist sich für die Ukrainer bis jetzt als schwer angreifbar. Aber wie die kombinierte Operation zur See und aus der Luft nun zeigt, versuchen sie in die Nähe des Stützpunkts vorzustossen und dabei zunächst die gegnerische Flugabwehr zu schwächen. Marinedrohnen sind wegen ihrer Kleinheit und Wendigkeit schwierig zu bekämpfen, wie russische Experten freimütig einräumen. Schiffe können dies mit ihren Bordkanonen tun, aber dabei werden sie selber zur Zielscheibe der Kamikazedrohnen, wie das untenstehende Video zeigt.

Wirksam bekämpfen lassen sich die unbemannten Boote aus der Luft, aber seit der Bewaffnung mancher Drohnen mit Abwehrraketen erhöht sich für die Russen das Risiko auch im Luftraum. Ende Dezember konnten die Ukrainer erstmals zwei Helikopter von einer Marinedrohne aus abschiessen; damals kamen noch sowjetische Lenkwaffen zum Einsatz. Nun gelang dasselbe, mit amerikanischen Sidewinders, erstmals gegenüber viel schneller fliegenden Kampfjets. Der Geheimdienstchef Budanow sprach von einem historischen Moment.

Tatsächlich werden nicht nur die Russen ihre Taktik anpassen müssen, sondern wohl auch Streitkräfte anderer Länder über die Bücher gehen. Schwärme von Marinedrohnen könnten beispielsweise amerikanische Flugzeugträger im Pazifik belagern und den dort startenden Jets gefährlich werden. Denkbar ist umgekehrt, dass Taiwan sein Abwehrdispositiv gegenüber China mit Marinedrohnen verstärkt. Noch bleiben allerdings viele Fragen ungeklärt, darunter jene nach der Erfolgsquote dieser neuen Waffe. Sidewinder-Raketen sind mit einem Stückpreis von wenigen hunderttausend Dollar viel billiger als ein mehrere Dutzend Millionen Dollar teures Kampfflugzeug. Aber die Ukraine schweigt sich aus nachvollziehbaren Gründen darüber aus, wie viele Fehlschüsse auf einen Erfolg wie den jetzigen kommen.

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