Er kam für eine Saison als Intendant ans Zürcher Schauspielhaus. In kurzer Zeit aber gelang es Ulrich Khuon, die Atmosphäre im Theater und die Stimmung im Publikum zu verbessern. Im Interview spricht der 74-jährige Deutsche über seine Führungsmethode.

Er hat dem Schauspielhaus aus der Patsche geholfen. Anfang 2023 war bekanntgeworden, dass man den Vertrag mit dem Intendantenduo Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann, der im Jahr darauf auslaufen würde, nicht verlängern wollte. Damit stand der Verwaltungsrat des Zürcher Theaters aber plötzlich unter Zeitdruck. Mit der einjährigen Interimsintendanz von Ulrich Khuon, der zuvor vierzehn Jahre das Deutsche Theater Berlin geleitet hatte, verschaffte er sich Luft, um für eine längerfristige Nachfolgeregelung zu sorgen.

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Ulrich Khuon war der richtige Mann zur richtigen Zeit. Wo seine Vorgänger als woke und etwas abgehoben daherkamen, da erwies sich der Interimsintendant, 1951 in Stuttgart geboren, als ein leutseliger Realist mit viel Erfahrung. Er brachte aber nicht Ruhe ins Theater, sondern Freundlichkeit. Das war insofern nötig, als die Belegschaft offenbar in Fraktionen zerrissen war.

Khuon war angewiesen auf den Teamgeist, weil er das Schauspielhaus mit einem verdichteten Angebot wieder attraktiver machen wollte. Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Die Besucherzahlen sind wieder gestiegen. Kein Wunder, spricht Ulrich Khuon mit einem gewissen Stolz über sein Zürcher Engagement. Zum Gespräch trifft man sich im Pfauen in seinem Büro. Dass der Theaterprofi so locker und heimisch wirkt, liegt aber vielleicht auch daran, dass er im Pfauengebäude nicht nur arbeitet, sondern auch wohnt.

Ulrich Khuon, um das Schauspielhaus zu führen, haben Sie Ihren Ruhestand um ein Jahr nach hinten verschieben müssen. Hat es sich gelohnt?

Dieses Jahr war für mich total aufregend. Ein Jahr im Schleudergang, sehr schön zwar, aber auch sehr anstrengend. Und bis zum 28. Juni gibt es noch grossartige Gastspiele, letzte Vorstellungen und unser Abschiedsfest zu erleben.

Was machte es so anstrengend?

Es war eine Art Sozialexperiment, sich so rasch auf ein Theater und die dreihundert Mitarbeitenden aus Kunst, Administration und Technik einzulassen. Ich habe hier einerseits eine grosse Offenheit erlebt. Aber es gab auch Misstrauen. Meine Vorgänger, die selber gerne die Theaterarbeit noch weiter gestaltet hätten, fanden es nicht fair, dass ich die Schauspielhaus-Intendanz für ein Jahr übernahm. Ich hoffe aber, dass ich mit meinem Engagement die Ausstrahlung des Schauspielhauses stärken konnte.

Was funktionierte nicht, als Sie ans Schauspielhaus gekommen sind?

Ich würde sagen, dass es im Haus keinen echten Zusammenhalt gab. Es ist nicht einfach, die vielfältigen Energien und Gruppierungen eines Theaters zusammenzuführen, und das ist wohl auch nicht in alle Bereiche hinein gelungen. Auch wenn Sie jetzt durchs Haus gehen, werden nicht alle sagen: Hey, ist das toll mit Khuon! Aber ich glaube, es wird gespürt, dass ich stets präsent und ansprechbar bin.

Die Besucherzahlen sind während Ihrer Intendanz wieder gestiegen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Wir haben neue Akzente mit Kontinuität verbunden und mit dem Dramaturgieteam ein einladendes, herausforderndes Programm erarbeitet. Gleichzeitig habe ich die Anzahl der Vorstellungen deutlich erhöht, um die Präsenz des Hauses mit seinen Bühnen am Pfauen und im Schiffbau zu stärken. Das hat sich gelohnt.

Deutsche Theatermacher sagen oft, das Zürcher Publikum sei schwer zu begeistern. Was halten Sie davon?

Ich habe zuvor noch nirgendwo erlebt, dass es nach jeder Vorstellung eines Stücks Standing Ovations gab – das ist hier nun aber der Fall bei Bastian Krafts «Die kleine Meerjungfrau» – und auch bei Polleschs «Liebe, einfach ausserirdisch». Das heisst, das Publikum, das jung und alt und immer wieder sehr divers sein kann, ist sehr begeisterungsfähig. Auch die Nachgespräche zu den Stücken kommen gut an, es wird dabei klug und differenziert diskutiert. Das zeigt, wie gross die Lust auf die Auseinandersetzung ist.

Haben Sie keine Enttäuschungen erlebt?

See und Berge gewinnen immer in Zürich. Die wunderschöne Umgebung ist im Sommer unsere grösste Konkurrenz. Als schwierig erweist es sich hier auch, Stücke wiederaufzunehmen – im Unterschied zu anderen Städten, wo gewisse Produktionen jahrelang im Repertoire gehalten werden. Zürich hat für seine Grösse ein extrem reichhaltiges Kulturangebot, ist aber keine grosse Theaterstadt wie Berlin, wo das Publikum viel zahlreicher ist, oder wie Wien, wo die Leute ins Theater gehen, auch wenn oder gerade weil sie sich über ein Stück oder einen Regisseur aufregen.

Der Pfauen wird zwar bald saniert, das Zürcher Stimmvolk aber hat sich gegen eine weitreichende Renovation ausgesprochen. Steht dem Haus eine Krise bevor?

Mit der demokratischen Entscheidung muss man leben, man sollte nicht herumjammern. Es wird jetzt zu einer kleineren Renovation kommen, die viele Bedingungen verbessert. An sich ist die Situation in Zürich mit dem Pfauen und dem Schiffbau sehr gut. Die zwei Häuser in zwei Stadtteilen mit unterschiedlicher Geschichte und Wirkmacht, das hat mir Spass gemacht.

Das Zürcher Theaterpublikum fragt sich immer wieder, weshalb nicht mehr Produktionen in der Schiffbauhalle gezeigt werden.

Leider ist es sehr teuer, in der Schiffbauhalle zu produzieren, und wir müssen die Halle auch immer wieder für Fremdveranstaltungen vermieten, um die eigene Arbeit mitzufinanzieren.

Ihre Intendanz war geprägt von Stücken, in denen es um sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen ging, darunter auch Auftragswerke wie «Staubfrau» und «Heartship». Haben Sie das Thema vorgegeben?

Nein, ich machte keine konkreten Vorgaben. Wir haben in dieser Saison aber vor allem Stücke von Autorinnen uraufgeführt, diese haben das Thema jeweils selber gewählt. Es ist generell interessant, dass es derzeit einfach viel mehr Theaterautorinnen gibt als -autoren. Aber das Thema scheint mir auch wichtig. Lange hat die gekränkte Männlichkeit von Molière bis Max Frisch auf der Bühne dominiert. Da hat man sich als Mann leicht wiedergefunden und kaum darüber nachgedacht, welche Perspektiven für Frauen interessant sein könnten. Gewalt gegen Frauen aber wurde lange von einer irritierenden Gleichgültigkeit begleitet.

Ist die gesellschaftspolitische Aktualität vieler Produktionen des laufenden Schauspielhaus-Programms auch ein Grund für den wachsenden Zuspruch des Publikums?

Natürlich ist das Aufgreifen relevanter und auf dringliche Wirklichkeit bezogener Themen wichtig. Aber ich mag penetranten Aktualitätsbezug eigentlich nicht. Ich bin gegen die Verdoppelung der Medieninhalte durch das Theater und finde es mühsam, wenn man auf der Bühne mit den Tagesthemen konfrontiert wird, über die man schon tagsüber ununterbrochen informiert wird. Die politische und gesellschaftliche Relevanz sollte eher von der Seite her einfliessen. Wie in «Sex mit Ted Cruz!», dem Stück von Lukas Bärfuss, wo die gegenwärtige amerikanische Wirklichkeit angesprochen wird, ohne dass der Name auch nur ein einziges Mal fällt.

Sucht das Theaterpublikum in Krisenzeiten wie heute vermehrt die Auseinandersetzung mit der Aktualität?

Man fragt sich tatsächlich: Wie kann es sein, dass Figuren wie Putin und Trump die Welt beherrschen und im Grunde machen, was sie wollen? Die Demokratie ist bedroht. Aber wenn diese Figuren jetzt auch noch das Theater bestimmen, finde ich das nicht hilfreich. Das Theater muss den Horizont öffnen für Menschen, die wieder Luft bekommen wollen, um nachzudenken. Statt die AfD auf die Bühne zu bringen, ist es wichtiger, an glaubhaften Utopien zu arbeiten.

Bei Kino und Literatur ist der politische Standpunkt selten eindeutig definiert. Beim deutschsprachigen Theater aber ist seit Jahrzehnten klar, dass es links positioniert ist. Weshalb eigentlich?

Es geht im Theater halt oft um politische und soziale Veränderungen. Ich finde aber, dass es sich dem Spektrum verschiedener Ideen aussetzen soll. Ich denke lieber über Spannungsfelder nach als über Parteien. Das Theater muss Widersprüche aushalten und nicht auflösen. Das Publikum soll selber frei denken und nicht an ein sicheres ideologisches Ende geführt werden.

Wie sehr nehmen Forderungen nach Diversität oder Identitätspolitik Einfluss auf den Theateralltag? Zum Beispiel bei der Rollenverteilung?

Alle sind etwas sensibler geworden. Identitätspolitik ist insgesamt auch wirklich ein kompliziertes Thema. Wer wen darstellt, ist eine Frage, die auf den Wunsch nach Verwandlung, Empathie und Selbstüberschreitung trifft. Am schönsten ist, wenn alle alles spielen können, dazu ist aber auch Diversität im Ensemble wichtig. Das hat sich in den letzten Jahren auch im Schauspielhaus entwickelt.

Sie waren erst Theaterkritiker, später Dramaturg und sind unterdessen seit knapp vierzig Jahren Intendant. Was waren in dieser Zeit die bedeutendsten Veränderungen im deutschsprachigen Theater?

Die Stadttheater sind viel mehr in die Städte hineingewachsen. Einerseits werden beispielsweise Fabriken und Industrieräume zu Theaterorten umfunktioniert. Andrerseits schaut die Stadtbevölkerung nicht mehr einfach nur zu, sie will Teil des Theaters sein. Das gilt besonders auch fürs Jugendtheater. Vor vierzig Jahren gab es kaum irgendwo ein Kinder- und Jugendtheater. Später wurden die Jugendlichen dann in einer speziellen Sparte bedient. Der nächste Schritt aber war, nicht nur für, sondern mit den Jugendlichen Theater zu machen. Das Theater gehört nun nicht mehr nur den Profis, sondern auch den Jungen, und das ist eine wunderbare Entwicklung. Wir lernen voneinander.

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