Sonntag, Oktober 20

Um Vergangenheitsbewältigung geht es, um Zivilcourage und ihren Preis: Dieser anspruchsvolle Sonntagabendkrimi spannt einen Bogen vom Nazideutschland ins Jetzt.

In Deutschland herrscht Krieg. Es ist das Jahr 1944, einige Monate vor der alliierten Invasion in Nordfrankreich. Kommissar Rother (Ulrich Tukur) und sein Adjutant Hagen von Strelow (Ludwig Simon) stecken auf einer Landstrasse fest. Der Motor streikt, das Auto muss in die Reparatur.

Die beiden Hitler-Abgesandten kommen im nächstgelegenen Dorf unter, einem hessischen Provinznest, in dem auf den ersten Blick Ruhe und Ordnung herrscht. Doch bald häufen sich die Mordfälle. Zuerst erschiessen sich eine Handvoll deutscher Soldaten gegenseitig im Wald. Später soll ein als deutscher Spion getarnter britischer Pilot dafür verantwortlich sein. Der hatte kriegsentscheidende Dokumente auf sich, die nun zum Teil verbrannt und verschwunden sind. Schliesslich wird auch er in der Dorfkapelle tot aufgefunden.

Treuer Nazidiener

Im Laufe der Ermittlungen scheiden sich die Schafe von den Böcken, teilt sich das Dorf in aufrechte Deutsche und die Abtrünnigen, in Saboteure, auch eine jüdische Ärztin, getarnt als Aushilfe im Wirtshaus (Barbara Philipp), ist dabei. Und der spitzfindige Kommissar wird seiner Rolle zunehmend überdrüssig. Immer deutlicher lässt er durchschimmern, nicht mehr der staatstreue Beamte zu sein, dem sein Assistent nachzueifern glaubt.

Aber von Strelow lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil. Er will ein treuer Diener Nazideutschlands sein – und er sieht die Chance zum Aufstieg in der Hitler-Hierarchie. Mit dem Denken und Analysieren hat es der junge SS-Mann allerdings nicht so sehr. Befehle verfolgen und austeilen, darin ist er gut. Das macht die Ermittlungen unter seiner Führung schwer.

Tatsächlich dreht sich «Murot und das 1000-jährige Reich» (Regie: M. X. Oberg, Buch: Michael Proehl und Dirk Morgenstern) vornehmlich um von Strelow. Achtzig Jahre später wird der Kriegsverbrecher von Argentinien nach Frankfurt überführt, damit ihm in Deutschland der Prozess gemacht werden kann. Tukur spielt also nicht nur Rother, sondern übernimmt auch seine angestammte Rolle als Kommissar Murot in der Gegenwart. Philipp tritt als Co-Ermittlerin Wächter ebenfalls doppelt auf.

Darin liegt der Clou in dieser Folge: In der zweifachen Besetzung beweist das beliebte «Tatort»-Duo Wandlungsfähigkeit. Die beiden Hauptdarsteller fügen sich gekonnt in den verschachtelten Geschichtsplot.

Hakenkreuze malen

Es ist ein überraschender, anspruchsvoller Sonntagabendkrimi. Um Vergangenheitsbewältigung geht es, um Zivilcourage und ihren Preis. Dabei fallen einige Nebenfiguren besonders ins Auge, die die Durchdringung des Nazitums in allen Generationen und Schichten veranschaulichen: die kleine Tochter vom Dorfschmied, die eifrig Blumen und Hakenkreuze malt, ihre Mutter Gerda (Melanie Straub), die stolz ist, dass der ältere Sohn im Krieg gefallen ist.

Gegen Ende holt ein kurzer Schwenk zum Frankfurter Flughafen die Handlung zu Murot und Wächter in die Gegenwart zurück. Das Einsatzteam soll den Angeklagten in Gewahrsam nehmen. Dabei stellt sich heraus, dass von Strelow dem sichtlich angespannten Murot schon vor über zwanzig Jahren einmal durch die Finger gegangen ist.

«Eines Tages werden Sie für Ihre Taten zur Rechenschaft gezogen», droht Rother, wiederum in einer Rückblende, seinem Assistenten, bevor der ein letztes Mal den Abzug an seiner Waffe betätigt. Es bleibt Spielraum für eine Fortsetzung, im Hier und Jetzt.

«Tatort» aus Wiesbaden: «Murot und das 1000-jährige Reich». Am Sonntag, 20. Oktober, um 20.05 Uhr bei SRF 1 und um 20.15 Uhr bei der ARD.

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