Sonntag, Oktober 27

Die Stimmbürger entscheiden im November über neue Regeln zur Kündigung von Mietverträgen wegen Eigenbedarf des Vermieters. Die Änderungen sind so gering, dass man sich fragt, was die Aufregung soll.

Die Stimmbürger entscheiden am 24. November separat über zwei Mietrechtsänderungen. In einer der Abstimmungsvorlagen geht es um die Rahmenbedingungen für die Kündigungsmöglichkeiten durch Vermieter, wenn diese ihre Wohn- oder Geschäftsräume selber brauchen.

Zum besseren Verständnis braucht es etwas Kontext zum geltenden Recht. Bei unbefristeten Mietverträgen sind ordentliche Kündigungen im Grundsatz ohne anderslautende Vertragsbestimmungen jederzeit möglich. Doch unter gewissen Umständen können Mieter eine Kündigung erfolgreich anfechten. Laut dem Bundesgericht gilt dies, wenn die Kündigung gegen Treu und Glauben verstösst – etwa bei Kündigungen «aus reiner Schikane».

Sonderregeln bei Dringlichkeit

Die gesetzliche Mindestkündigungsfrist beträgt generell für Wohnräume drei Monate und für Geschäftsräume sechs Monate. Wenn der Vertrag nichts anderes bestimmt, gelten kantonal unterschiedliche gesetzliche oder ortsübliche Kündigungstermine. Im Kanton Zürich zum Beispiel sind dies der 31. März und der 30. September.

Der Eigenbedarf des Vermieters gilt grundsätzlich als valabler Grund für eine ordentliche Kündigung. Das geltende Recht enthält zudem bei «dringendem» Eigenbedarf des Vermieters «für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte» in drei Konstellationen Sonderbestimmungen. Erstens: Bei einem Verkauf der Liegenschaft kann der neue Eigentümer innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist auf den nächsten gesetzlichen (ortsüblichen) Termin kündigen – auch wenn der Mietvertrag andere Bestimmungen enthält. Der neue Eigentümer haftet indes gegenüber dem Mieter für allfälligen Schaden aus dieser Kündigung. Wichtig ist diese Sonderbestimmung vor allem bei Mietverträgen mit längerer Laufzeit, was bei Geschäftsräumen oft vorkommt.

Zweitens: Im Normalfall gelten Kündigungen während eines laufenden Mietrechtsverfahrens zwischen Vermieter und Mieter als missbräuchlich. Dies gilt auch innert drei Jahren nach einem solchen Verfahren, das für den Mieter erfolgreich war. Diese Anfechtungsgründe entfallen indes bei dringendem Eigenbedarf des Vermieters. Und drittens: Bei Mietergesuchen um Erstreckung der Mietdauer nach einer Kündigung haben die zuständigen Behörden den Eigenbedarf des Vermieters und seine Dringlichkeit zu berücksichtigen.

Die Abstimmungsvorlage ändert an diesem Rechtsrahmen nur einen Punkt in den Sonderbestimmungen für die drei genannten Konstellationen (Eigentümerwechsel, Kündigung im Umfeld von Mietrechtsverfahren und Gesuche zur Erstreckung der Mietdauer). Zur Anwendung dieser Sonderbestimmungen muss der Eigenbedarf des Vermieters nicht mehr «dringlich» sein, sondern nur noch «bedeutend» und «aktuell» – und dies «bei objektiver Betrachtung».

Damit soll die Hürde zur Kündigung durch den Vermieter etwas tiefer werden. Um wie viel tiefer, hätten letztlich die Gerichte zu entscheiden. Das Bundesgericht hat im Rahmen des geltenden Rechts den Begriff der Dringlichkeit wie folgt interpretiert: Der Vermieter muss in Streitfällen nachweisen, dass der Verzicht auf den Eigengebrauch der Mietsache unzumutbar ist.

Am Ursprung der Abstimmungsvorlage stand eine parlamentarische Initiative von 2018. Diese forderte eine Beschleunigung der Verfahren bei Kündigungen wegen dringlichen Eigenbedarfs. Bei Ausnutzung der Rechtsmittel durch Mieter könnten sich laut der damaligen Begründung der Initiative rechtliche Verfahren zur Kündigung wegen dringlichen Bedarfs über viele Monate und sogar mehrere Jahre erstrecken – diese lange Dauer sei nicht vereinbar mit einem dringlichen Eigenbedarf.

«Sehr selten, aber stossend»

Monika Sommer vom Hauseigentümerverband verweist zur Illustration auf «einen Gerichtsentscheid zu einem Fall, in dem ein älteres Ehepaar mehrere Jahre warten musste, bis es die eigene Wohnung beziehen konnte». Die Abstimmungsvorlage wird aber solche Fälle kaum verhindern, wie Sommer einräumt: «Der Hauseigentümerverband ist mit dieser Gesetzesrevision nur mässig zufrieden, denn die Revision ändert nichts an den langen Rechtsverfahren, wenn die Mietpartei den ganzen Instanzenzug ausnutzt.»

Sommer ist seit zwanzig Jahren als Vermietervertreterin Mitglied der Schlichtungsstelle des Bezirks Zürich. Wie häufig kommen denn Problemfälle im Zusammenhang mit dringlichem Eigenbedarf vor? «Solche Problemfälle sind sehr selten, aber stossend für die Betroffenen.»

«Vielleicht 30 bis 40 Fälle»

Die Mieterseite ortet Probleme aus der gegenteiligen Optik – bei vorgeschobenem Eigenbedarf des Vermieters zum Zweck, die Wohnung an einen neuen Mieter teurer zu vermieten oder einen ungeliebten Mieter hinauszuwerfen. Sie habe einige Dutzend Fälle mit Verdacht auf Rachekündigung gesehen, sagt die Anwältin Sarah Brutschin. Sie ist als Mietervertreterin seit 24 Jahren Mitglied der Schlichtungsstelle des Kantons Basel-Landschaft. Mit Rachekündigung meint sie hier, dass der Vermieter während oder kurz nach einer mietrechtlichen Auseinandersetzung mit dem Mieter unter dem Vorwand eines dringenden Eigenbedarfs kündigt.

Generell hat Brutschin nach eigenem Bekunden über die letzten 25 Jahre «vielleicht etwa 30 bis 40 Fälle» gesehen, in denen nach vorgeschobenem Eigenbedarf die Wohnung wieder vermietet worden sei. Kommt solches Verhalten ans Tageslicht und hat ein Gericht schon entschieden, dass die Eigenbedarfskündigung nicht missbräuchlich ist, kann der frühere Mieter laut juristischen Analysen wenig ausrichten. Auch Schadenersatzforderungen sind gemäss einem Bundesgerichtsurteil in solchen Fällen nicht erfolgversprechend.

Minirevision

Mit der Abstimmungsvorlage würden laut dem Mieterverband die Missbräuche der Vermieter mit vorgeschobenem Eigenbedarf noch erleichtert. «Die Gesetzesrevision ändert nichts an den Rahmenbedingungen für ordentliche Kündigungen wegen Eigenbedarf», sagt dazu Monika Sommer vom Hauseigentümerverband: «Es geht hier nur um die Möglichkeit einer ausserordentlichen Kündigung wegen dringlichen (neu: bedeutenden/aktuellen) Eigenbedarfs.» Und: «Ich habe noch keinen Fall gesehen und noch von keinem Fall gehört, in dem der dringliche Eigenbedarf eines Vermieters anerkannt wurde und der Vermieter dann nicht in seine Wohnung gezogen ist.»

Aber was würde die vorgelegte Minirevision wirklich verändern? Ein Parlamentarier und Jurist aus dem Ja-Lager illustriert die Differenz zwischen «dringlich» und «aktuell/bedeutend» mit einem Bild aus der Medizin: Bei einer Herzattacke sei dringlicher Bedarf gegeben, bei einem Druckgefühl in der Brust sei der Bedarf aktuell/bedeutend.

Doch welcher Kündigungstyp, der in der bisherigen Rechtsprechung nicht akzeptiert wäre, würde mit der Gesetzesrevision neu zulässig? Monika Sommer nennt ein Beispiel zur Illustration: wenn der Vermieter ohne Bezug seiner Wohnung einen finanziellen Schaden hätte, der zumutbar wäre.

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