Freitag, Oktober 4

Israels höchste Richter weisen in einem Urteil den Justizminister in die Schranken. Nun fordern Minister die Wiederbelebung jener Reform, mit der die Netanyahu-Regierung die Macht des Gerichts einschränken wollte.

Bevor die Terroristen der Hamas am 7. Oktober Israel überfielen, dominierte im Jahr 2023 primär ein Thema die Schlagzeilen im jüdischen Staat: die Justizreform der Regierung Netanyahu. Die Pläne der Koalition, die Befugnisse der israelischen Justiz einzuschränken, spalteten das Land und trieben wöchentlich Zehntausende Demonstranten auf die Strassen von Tel Aviv und Jerusalem. Mit dem Beginn des Gaza-Krieges wurde das Vorhaben allerdings auf Eis gelegt und verschwand aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Nun jedoch ist der Machtkampf zwischen der Regierung und dem Obersten Gericht wieder aufgeflammt. Letzteres hat am Sonntag Justizminister Yariv Levin in einem Urteil angewiesen, so schnell wie möglich den Ausschuss für die Ernennung von Richtern einzuberufen, um endlich einen Gerichtspräsidenten zu ernennen. Zuvor hatte sich Levin, der führende Kopf hinter der umstrittenen Justizreform, während rund eines Jahrs geweigert, dies zu tun.

Levin verfolgt seit der Pensionierung der ehemaligen Gerichtspräsidentin im vergangenen Oktober das Ziel, den Hardliner Yosef Elron zum Gerichtspräsidenten zu machen und damit den Gerichtshof konservativer auszurichten. Der Gerichtshof jedoch beharrt auf dem bisher geltenden Senioritätsprinzip, gemäss dem der liberale Richter Isaac Amit an der Reihe wäre. In der Folge kam es zu einem Patt: Weil Levin wusste, dass er seinen Kandidaten nicht durch den Ernennungsausschuss bringen konnte, berief er diesen auch nicht ein.

Die Opposition begrüsst den Entscheid

Das aus Richtern, Anwälten, Ministern und Parlamentariern zusammengesetzte Gremium ist so aufgestellt, dass neue Richter nur durch einen Kompromiss zwischen Justiz und Regierung ernannt werden können. Genau dieses Prozedere will Levin umkrempeln, um der Regierung mehr Einfluss auf die Besetzung des Gerichts zu verleihen – es ist ein Kernelement seiner Reform. Doch weil er auf dem Gesetzesweg nicht vorankam, setzte er in den vergangenen Monaten auf Obstruktion.

Dem hat das Oberste Gericht mit seinem Urteil nun ein vorläufiges Ende gesetzt. Einstimmig entschieden die Richter, dass Levin keinen unbegrenzten Ermessensspielraum zur Einberufung des Ausschusses habe. Der Justizminister reagierte am Sonntag entsprechend ungehalten: Er sprach von einem undemokratischen und ungültigen Entscheid und kündigte an, die Zusammenarbeit mit dem neuen Gerichtspräsidenten nach dessen Ernennung zu boykottieren. Macht Levin seine Drohung wahr, könnten beispielsweise keine neuen Richter an tiefere Gerichte berufen werden.

Levin scheint also gewillt, das Kräftemessen mit der Justiz fortzusetzen – und erhält dabei Rückendeckung von seinen Regierungspartnern. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich etwa sprach von einem skandalösen Urteil und versprach, unmittelbar nach dem Krieg die Justizreform wieder voranzutreiben. Die Opposition hingegen begrüsste den Gerichtsentscheid. Der ehemalige Ministerpräsident Yair Lapid, ein entschiedener Gegner der Justizreform, schrieb in einer Mitteilung: «Yariv Levins Staatsstreich führte in das Desaster des 7. Oktober. Er muss den Ausschuss sofort einberufen.»

Ein (über)mächtiges Gericht

Lapid ist wie viele andere Gegner der Netanyahu-Regierung der Auffassung, dass das Chaos rund um die Justizreform die israelische Armee im Vorfeld des 7. Oktobers geschwächt und damit den Terrorangriff der Hamas erst ermöglicht habe. So hatten im Sommer letzten Jahres Tausende von Reservesoldaten ihren Dienst verweigert. Ausserdem hatte Netanyahu vorübergehend seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen, nachdem dieser sich kritisch über die Reform geäussert hatte. Erst nach heftigen Protesten wurde Gallant wieder eingesetzt.

Zwar ist eine Mehrheit der Israeli der Meinung, dass das Justizsystem reformiert werden müsse. So gehört Israels Oberstes Gericht zu den mächtigsten der Welt und kann unter anderem Gesetze des Parlaments kippen. Doch die Regierung hatte 2023 mit ihrem kompromisslosen und übereifrigen Vorgehen einen grossen Teil der Bevölkerung gegen sich aufgebracht und das Land gespalten. Es ist fraglich, ob sich Netanyahu mit einem Revival der Justizreform wirklich einen Gefallen tun würde.

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