Die Umsetzung der Volksinitiative der Jungen Grünen würde die Schweiz viel kosten, aber es brächte der Welt fast nichts. Man kann die Initiative trotzdem wollen.
Die Menschen dieses Planeten leben im Mittel gemessen an der Umweltbelastung über ihre Verhältnisse. Darauf deuten einschlägige Schätzungen über den ökologischen Fussabdruck. Gemäss Daten des Global Footprint Network für 2019 wären für die langfristige Verdaubarkeit der derzeitigen Umweltbelastung des Konsums aller Menschen 1,7 Planeten wie die Erde notwendig. Der einzige Kontinent mit Umweltbelastung innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen ist der ärmste: Afrika. Würden alle so viel konsumieren wie die Menschen in den reichsten Ländern, wären dagegen 3 bis 4 Planeten wie die Erde erforderlich.
Die Zahlen sind nicht auf die Goldwaage zu legen. Doch zwei Aussagen sind in der Tendenz schwer zu bestreiten: Die Umweltbelastung enthält bedeutende Hypotheken für künftige Generationen, und der Konsum in den reichen Ländern belastet die Welt besonders stark. Gemäss einem Bericht des Weltwirtschaftsforums von 2024 zu den globalen Risiken hatten fünf der zehn meistgenannten Langfristrisiken mit der Natur zu tun. Im neusten Bericht von dieser Woche erschienen in der Liste noch zwei naturbezogene Grossrisiken: extreme Wetterausschläge und kritische Wechselwirkungen des Erdsystems.
Schweizer Anteil 0,3 Prozent
Die Schweiz soll nun mit dem Versuch zur Rettung des Planeten vorausgehen. Das fordert die Volksinitiative der Jungen Grünen, über die das Volk am 9. Februar entscheidet. Laut der Initiative darf die in der Schweiz verursachte Umweltbelastung spätestens 2035 bei proportionaler Hochrechnung der Schweizer Belastung auf die Weltbevölkerung die Belastungsgrenzen der Erde nicht mehr überschreiten. Der Initiativtext nennt «namentlich» die Bereiche Klimaveränderung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosporeintrag. Die Initiative bezieht sich auf die Umweltbelastung des Konsums. Das heisst, Importe werden einberechnet, die Produktion von Exportprodukten ist dagegen ausgeklammert.
Der Bundesrat schätzt, dass die Schweiz für die Umsetzung der Volksinitiative den Ausstoss von Treibhausgasen innert zehn Jahren um über 90 Prozent senken müsste, die Belastung der Biodiversität um über 70 Prozent und die Belastung durch Überdüngung um etwa 50 Prozent. Besonders stark betroffen wären das Wohnen, der Verkehr und die Ernährung. Das Menu der Optionen: massiv höhere Preise, kleineres Angebot, starker Ausbau verschwenderischer Subventionen.
Man kann für solche Opfer sein. Doch laut den Gegnern brächte die Umsetzung der Volksinitiative dem Planeten praktisch nichts. Am klarsten zeigt sich dies in der Klimapolitik. Gemessen am Konsum ist die Schweiz nur für etwa 0,3 Prozent des weltweiten Ausstosses von CO2 verantwortlich. Selbst wenn die Schweiz das Netto-Null-Ziel beim Ausstoss nicht wie zurzeit geplant 2050 erreicht, sondern im Sinn der Volksinitiative schon 2035, würde dies das globale Klima praktisch nicht verändern.
Wenn indes jeder so argumentiert, täte keiner etwas gegen das Klimaproblem. Selbst die gesamte EU ist gemessen am Konsum nur für knapp 10 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich. Und sogar China könnte wahrheitsgetreu behaupten, dass das Ausland für die grosse Mehrheit des CO2-Ausstosses verantwortlich sei (vgl. Grafik).
Ärger mit Trittbrettfahrern
Die Klimafrage enthält ein klassisches Dilemma: Jedes Land scheint am besten zu fahren, wenn es selbst nichts tut, die anderen aber aktiv werden – so tut vielleicht am Ende keiner etwas, und damit ist auch kein Trittbrett da, auf dem alle gratis fahren wollen.
Die typische Antwort auf ein solches Dilemma sind internationale Vereinbarungen. In den internationalen Klimadiskussionen gibt es viele Versprechungen und politisch-moralische Verpflichtungen, doch Garantien kann keiner liefern. Immerhin: Laut einer Aufstellung der britischen Organisation Energy & Climate Intelligence Unit haben weltweit rund 80 Länder ein Netto-Null-Ziel zum Ausstoss von Treibhausgasen in einer politischen Erklärung oder im Gesetz verankert – typischerweise mit 2050 als Zieljahr. Dies gilt auch für die EU, die Schweiz, die USA (zurzeit noch) und China (mit Zieljahr 2060).
Das Schweizer Volks-Ja von 2023 zum Klimaschutzgesetz mit der gesetzlichen Verankerung des Netto-Null-Ziels hatte aber nur geringe Aussagekraft: Man ist für ein Netto-Null-Ziel, solange man selbst nichts dafür bezahlen muss.
In der EU hat das Klimathema in jüngerer Zeit an politischem Gewicht verloren, zugunsten der «Wettbewerbsfähigkeit» der Wirtschaft. Was das konkret heissen wird, ist indes noch offen. In den USA wird man derweil wohl die Klimapolitik mit dem zweiten Regime Trump für vier Jahre vergessen müssen.
Vorbild Finnland?
Doch insgesamt erscheint es gut begründbar, dass die Schweiz als eines der reichsten Länder in der Klimapolitik nicht hinter der EU zurücksteht und sich im globalen Kontext eher im vordersten Drittel als im hintersten Drittel ansiedelt. Ein ganz anderes Kaliber verlangt hingegen die vorliegende Volksinitiative: Die Anpassungskosten wären viel grösser, eine moralische Pflicht für ein solches Vorpreschen ist nicht ersichtlich, und der Rest der Welt zöge nicht mit.
Immerhin scheint es in Europa schon ein Vorbild zu geben: Finnland hat ein Netto-Null-Ziel zum Ausstoss von Treibhausgasen für 2035 verankert. Die internationalen Diskussionen und die politischen Verpflichtungen zu Netto-Null-Zielen beziehen sich aber auf die Emissionen, die durch die Produktion verursacht sind – und nicht etwa durch den Konsum.
Das Bild ist typischerweise für reiche Länder wie die Schweiz in der Konsumbetrachtung weit schlechter als in der Produktionssicht, weil viele energieintensive Güter importiert werden. So betrug laut Bundesdaten der durch die Schweiz verursachte Ausstoss von Treibhausgasen 2021 in der Produktionssicht knapp 37 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, in der Konsumsicht waren es mit fast 112 Millionen Tonnen dreimal so viel.
Gemäss Daten des Global Footprint Network für 2022 steht Finnland bei der Umweltbelastung des Konsums sogar noch schlechter da als die Schweiz. Und wer Finnland als Vorbild betrachtet, sollte auch daran denken, dass das Land auf den Ausbau der Kernkraft setzt.
Unter dem Strich stellt die Schweizer Volksinitiative bezogen auf die Klimapolitik etwa folgende Frage: Ist man bereit, als Konsument einen hohen Preis zu zahlen für einen symbolisch wohlklingenden Akt, der dem Weltklima praktisch nichts bringt?
Etwas anders sieht das Bild bei der Biodiversität und anderen betroffenen Umweltthemen aus. Die von der Initiative geforderten Massnahmen wären zwar zum Teil ebenfalls weitreichend, doch ein erheblicher Teil des Nutzens etwa in Form sauberer Gewässer und gesünderer Böden würde innerhalb der Landesgrenzen anfallen. Die Frage hier somit: Ist man bereit, als Konsument einen hohen Preis zu bezahlen, der mindestens zum Teil eine erhebliche Verbesserung des Umweltschutzes verspricht?