Montag, November 25

Der ungarische Katastrophenvisionär László Krasznahorkai ist der Weltuntergänge durchaus nicht müde. In seinen jüngsten Stücken herrschen weder Kausalität noch Moral, das macht das Ganze so unheimlich.

Auch in seinem jüngsten Erzählungsband «Im Wahn der Anderen» ist sich der ungarische Schriftsteller László Krasznahorkai als Meister des absatzlosen Redestroms und apokalyptischer Szenarien treu geblieben. Neu ist, dass zwei der drei Texte im Dialog mit Zeichnungen von Max Neumann entstanden sind und der letzte Text eine Tonspur enthält: ein Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter.

An Radikalität lassen die Erzählungen nichts zu wünschen übrig. «Animalinside» erkundet die Bedingungen der Existenz aus der Sicht eines Hundes, der sich mal als gefangene Kreatur, mal als alles verschlingende Macht äussert. In Ich-Form wendet sich das Tier an sein «Herrchen» wie an das Weltall, um seine Einsamkeit und seinen Grössenwahn, seine Abhängigkeit und seine Vernichtungswut loszuwerden. «Ich bin das, das ausbrechen wird», «… und ich reisse euch die Visagen in Stücke, weil ich das Verderben bin».

Als Drohkulisse prognostiziert das Tier eine nackte Erde, «die schwarze, tote, kalte Asche darauf, in der wir stehen, einander gegenüber, auf dem Sprung, pure Muskeln auf beiden Seiten, und jetzt ist nur noch die Frage: wer von uns beiden wird König.» Auf einen unerbittlichen Machtkampf läuft alles hinaus, ob zwischen Tier und Mensch oder Tier und Tier, bleibt offen. Und dieses letzte Kräftemessen spielt sich in einem Raum ohne Erinnerung, Urteil, Verbrechen und Strafe ab.

Unheimlich und unausweichlich

Krasznahorkais gnadenloser Existenzialismus kennt weder Kausalität noch Moral, das macht ihn so unheimlich. Doch seine Schubkraft steuert unweigerlich auf ein Ende zu: das Ende aller Enden. Erst dann findet auch die Sprache, getrieben von Paradoxien und Wiederholungen, zum Punkt, der kein Weiter duldet.

Ein Furor der Unausweichlichkeit bestimmt auch die Erzählung «Kleinstarbeit für einen Palast», mit dem Untertitel: «Eintritt in den Wahn der Anderen». Ihr Protagonist ist ein kauziger Bibliothekar, Angestellter der New York Public Library. Seine Freizeit verbringt er damit, den Spuren von Herman Melville, Malcolm Lowry und des Architekten Lebbeus Woods in Manhattan zu folgen.

Je obsessiver er seine Suche betreibt, desto mehr Verbindungen glaubt er zu entdecken, während die Realität ihm zusehends entgleitet. Ohnehin hasst er seinen Beruf: Bücher auszuleihen, erscheint ihm als Sakrileg. Er möchte der Palasthüter eines «Bibliothekspalastes» sein, der – unzugänglich – sich selbst genügt. Kafka lässt grüssen, vor allem das Phantasma einer Welt im Untergang, einer «permanenten Katastrophe» und «ununterbrochenen Apokalypse», der keiner entrinnen kann.

Mehr und mehr gefangen in seinem Wahn (und dem seiner Idole), verliert der Ich-Erzähler zuerst seine Frau, dann seinen Job. Und als er endlich auf ein riesiges fensterloses Gebäude stösst, das für die «ewig geschlossene Bibliothek» geeignet wäre, und über Transportpläne nachdenkt, wird er als «Kleinstarbeiter dieses Traumes» in die Psychiatrie eingewiesen.

Mit atemberaubender Spannung, die Heike Flemming sprachlich virtuos ins Deutsche übertragen hat, zeichnet Krasznahorkai den Weg vom Wahn in den Wahnsinn nach, darin die Katastrophe als «natürliches Biotop» und eine eingemauerte Bibliothek als Wahrzeichen von Widerstand erscheint. Denn um Widerstand geht es auch Krasznahorkais Bibliothekar. In sein Heft notiert er das Resistance-Programm von Lebbeus Woods: «Resist accepting your fate. Resist people who tell you to resist. Resist the panicky feeling that you are alone.»

Flucht als Existenzform

Die meisten von Krasznahorkais Antihelden sind einzelgängerische Rebellen, auch der Protagonist der Erzählung «Richtung Homer». Seit Wochen, Monaten, ja Jahren weiss er sich von Mördern, die nach seinem Leben trachten, verfolgt. Er kennt das über ihn verhängte Urteil, nicht aber dessen Grund. Die Flucht als Existenzform – als «Prozess» – fordert ihm immer neue Techniken und Tricks ab: das aufmerksame Lesen von Gesichtern, das unbemerkte Verschwinden in der Menge, äusserste Konzentration, die freilich die Gefahr birgt, die Aussenwelt als «ausgebrütetes Phantasma» wahrzunehmen, «das ein ganz anderer, zum Beispiel ein über der Bequemlichkeit wahnsinnig gewordener Wahnsinn auf die Welt gebracht hatte».

Wieder ist es der Sog der Obsession und des Wahns, den Krasznahorkai in absatzlosen Sätzen Sprache werden lässt. Wieder fiebert man dem Ende entgegen, das den Verfolgten auf der fast menschenleeren dalmatinischen Insel Mljet erreicht. Zwischen Aleppokiefern, «nimmerschweren Ragusa-Flockenblumen und König-Juba-Wolfsmilch» scheint er zu schweben, um schliesslich über «Kalypsos Grotte» ins Meer zu stürzen. «Er hatte nicht aufgegeben», heisst der letzte Satz. Über einen QR-Code kann man sich Szilveszters entsprechendes Schlagzeugsolo anhören.

So monomanisch Krasznahorkais Erzählungen auch anmuten mögen, sie stecken voller Zitate und visueller Bezüge. Und öffnen sich auch hin zur Musik. Das schafft eine Steigerung der Intensität, an der diesem ungarischen Katastrophenvisionär besonders gelegen ist.

László Krasznahorkai: Im Wahn der Anderen. Drei Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. Mit Zeichnungen von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2023. 255 S., Fr. 44.90.

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