Donnerstag, Oktober 3

Die Aktion fällt just auf das Wochenende des Zurich Art Weekends.

Als die Galeristin Maria Bernheim am Freitagmorgen auf ihr Handy schaut, ist sie schockiert. Eine ihrer Mitarbeiterinnen hat ihr Fotos von der Fassade ihrer Galerie an der Rämistrasse in der Stadt Zürich geschickt. Sie ist verschmiert mit dem Schriftzug «Free Palestine». Auf dem Boden steht in roter Schrift geschrieben: «No art for genocide!»

Maria Bernheim ist Jüdin. Sie sagt: «Nie hätte ich gedacht, dass so etwas in der Schweiz passieren könnte.»

Im Laufe des Morgens wird Bernheim erfahren: Sie ist nicht die einzige, deren Galerie mit antiisraelischen Parolen verunstaltet wurde.

Die NZZ hat Kenntnis von mindestens vier weiteren Institutionen in der Stadt, die vermutlich in der Nacht auf Freitag verschmiert wurden, darunter das Cabaret Voltaire in der Altstadt – mit den gleichen Parolen wie an der Rämistrasse. Die Mitarbeiterin an der Bar wundert sich: «Wir stehen politisch eher links und haben keinen jüdischen Hintergrund. Ich weiss nicht, was das soll.»

Vor eine Galerie an der Limmatstrasse wurde «Intifada for Victory» gesprayt, darunter ein rotes Dreieck – das gleiche Symbol verwendet auch die Hamas, um ihre Feinde zu markieren. In der Galerie werden aktuell Werke einer jüdischen Künstlerin ausgestellt.

Die Stadtpolizei bestätigt der NZZ, dass am Freitag in dem Zusammenhang vier Anzeigen wegen Sachbeschädigungen eingegangen sind. Die Ermittlungen dazu würden laufen. Der Inhalt der Graffiti werde nun dahingehend geprüft, ob er auch strafrechtlich relevant sei.

An der Rämistrasse war Pauline Renevier, die Direktorin der Galerie, am Morgen als Erste vor Ort. Sie hat die Polizei informiert und lobt deren schnelle Reaktion: «Um 9.15 Uhr habe ich angerufen, eine Viertelstunde später war die Polizei da.» Auch sie ist fassungslos über die Szenerie, die sie angetroffen hat. «Ich bin Christin. Jetzt habe ich eine Vorstellung davon, wie Jüdinnen und Juden sich fühlen müssen, wenn sie angefeindet werden.»

«Bei uns sind alle willkommen»

Am frühen Nachmittag sind Arbeiter vor Bernheims Galerie damit beschäftigt, die letzten Reste der Schmierereien zu entfernen. Die rote Farbe am Boden hält sich hartnäckig, die Mitarbeiterinnen haben die Türen geschlossen, damit kein Wasser eindringt.

Trotz des Farbanschlags hat Bernheim entschieden, ihre Galerie zu öffnen. Als Zeichen, dass sie sich nicht einschüchtern lässt. Und als Zeichen, dass ihre Galerie und die Kunstszene ganz allgemein für Offenheit und Diskurs steht. «Bei uns sind alle willkommen, Politik und Religion haben nie eine Rolle gespielt.»

Bernheim ist sich sicher: Der Zeitpunkt der Farbanschläge war kein Zufall. Noch bis Sonntag findet in der Stadt das Zurich Art Weekend statt, ein wichtiger Anlass für Kunstinstitutionen in der Stadt. Sie erwarten viel Publikum. «Man wollte uns schaden», sagt Bernheim. Doch sie lasse sich nicht unterkriegen. Am Wochenende will sie ihre Galerie wie geplant öffnen. «Ich glaube daran, dass Kunst die Kraft hat, Grenzen zu überwinden.»

Die Tür geht auf, ein Mann tritt ein, in der Hand ein Blumenstrauss, eingepackt in rosa Papier. Er tritt auf Bernheim zu und sagt: «Für Dich als Unterstützung.» Die beiden tauschen ein paar Worte auf Hebräisch aus, dann geht er wieder. Bernheim ist gerührt, wischt sich eine Träne weg. Sie hat den Mann nicht gekannt. «Den ganzen Tag schon melden sich Leute bei mir und drücken ihre Solidarität aus. Das tut gut.» Alle paar Minuten leuchtet ihr Handy auf, Freunde und Bekannte melden sich besorgt.

Die Galeristin eröffnete im Jahr 2023 einen Ableger in London, nahe der Regent Street. Dort, sagt sie, fänden regelmässig propalästinensische Demonstrationen statt. Dann werde jeweils die Strasse, an der sich ihre Galerie befindet, gesperrt. Und das Publikum bleibt aus. Ein ungutes Gefühl sei das, sagt Bernheim. Ein Gefühl, das sie in der Schweiz nie gehabt habe.

Erinnerungen an düstere Zeiten

Jonathan Kreutner, der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes sagt: «Da wird unverhohlener Israelhass an jüdischen Geschäften ausgelebt». Schliesslich handle es sich in einem Fall um eine jüdische Galerie, mit jüdischem Namen und Inhaberin. «Das ist purer Antisemitismus, nun jüdische Geschäfte und Mitbürger für den Staat Israel verantwortlich zu machen und auf diese abzuzielen», sagt Kreutner. Die Schmierereien hätten ihn an düstere Zeiten erinnert.

Kreutner sagt weiter, er kenne die Urheberschaft nicht, aber sie scheine zu wissen, was die Art-Week ist. «Es ist erschreckend, wenn man daran denkt, aus welchem Milieu die Urheber wohl stammen». Die Sicherheitslage in der Schweiz für Jüdinnen und Juden sei seit dem 7. Oktober eine andere geworden.

Maria Bernheim sagt: «Ich werde auch weiterhin keine Angst haben.» Sie hat in zahlreichen europäischen Städten gelebt, Zürich ist ihr Zuhause geworden. Nächste Woche geht sie zum Einbürgerungstest. Sie will Schweizerin werden.

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