Sonntag, Oktober 6

Nach der Machtergreifung vor drei Jahren haben die Taliban Schulen für Mädchen geschlossen und Frauen vom Arbeitsmarkt verbannt. Das reichte den Extremisten offenbar nicht.

Die Taliban wollen die Frauen in der Öffentlichkeit ausradieren. Mit jedem Verbot rücken sie diesem Ziel näher. Reicht ihnen denn das Verbot von weiterführenden Schulen für Mädchen nicht? Ein Arbeitsverbot für Frauen? Beides haben die Taliban nach ihrer erneuten Machtergreifung im August 2021 eingeführt.

Und nun ist klar: Die Unterdrückung der Frauen geht weiter, viel weiter. Bereits während ihrer ersten Herrschaft zwischen 1996 und 2001 haben die Extremisten ihre rigorosen Moralvorstellungen durchgesetzt. Auch für Männer gibt es strenge Gesetze, sie müssen sich bedecken und fünf Mal am Tag beten. Doch die Frauen trifft es ungemein härter. Für sie gilt die Verhüllungspflicht, das Gesicht muss bedeckt sein, der Körper in dicken Stoff gehüllt.

Weil schon das Hören einer Frauenstimme die Männer erregen könnte, dürfen Frauen in Afghanistan seit Mitte August in der Öffentlichkeit auch nicht mehr sprechen. Somit haben die Taliban die Sittengesetze erneut verschärft. Bereits seit 2022 führen die Extremisten wieder öffentliche Hinrichtungen durch. Bisher sind laut Medienberichten Männer vor Publikum exekutiert worden. Möglich, dass bald auch Frauen wieder öffentlich gesteinigt werden. Es ist die Höchststrafe für Sittenverstösse wie ausserehelichen Sex. Und es ist klar, was mit solchen Massnahmen erreicht werden soll: maximale Abschreckung und das Demonstrieren von Macht.

Kein Rechte, keine Selbständigkeit

Ab zwölf Jahren dürfen nur noch Knaben zur Schule. Ausser in wenigen Berufen, wie Hebamme, gilt für Frauen in Afghanistan ein Arbeitsverbot. Wie schon vor fast 30 Jahren ist es Frauen in Afghanistan untersagt, sich alleine ausser Hauses zu bewegen. Sie müssen stets in Begleitung eines männlichen Verwandten sein. Er soll sie führen, für sie sprechen, sie beschützen. Frauen, die keine männlichen Verwandten haben, stellt diese Regel vor grosse Herausforderungen. Wie sollen sie noch einkaufen, wenn sie niemand begleitet?

Die Gesundheitsversorgung wird den Frauen vorenthalten: Ein männlicher Arzt darf sie nicht untersuchen, aber zu einer Frau können sie auch nicht gehen, denn den meisten Ärztinnen ist die Ausübung ihres Berufs untersagt. Die Uno und internationale Hilfsorganisationen, die vor der Machtergreifung der Taliban intensiv mit Frauen und Frauenorganisationen zusammengearbeitet haben, dürfen nur noch eingeschränkt weibliche Angestellte beschäftigen.

Frauen, die Obsession der Extremisten

Frauen sind für Extremisten, die sich auf den Islam berufen, eine regelrechte Obsession. Sie degradieren sie zum Objekt, sexualisieren sie und erlauben es jedem einzelnen Mann, absolute Macht über Frauen auszuüben. Farbige Kleider, Schuhe mit Absatz, ein Lachen – all das könnte Männer in den Augen der Extremisten verführen und muss deshalb verboten werden. Diese Vorstellung teilen die Taliban mit anderen Islamisten wie den Anhängern des Islamischen Staates (IS).

Der Islamische Staat Provinz Khorasan (IS-K) ist seit der Machtergreifung eine der wenigen Gruppierungen, die den Taliban die Macht noch streitig machen. Die radikalen Salafisten zählen zu den aktivsten und gefährlichsten Ablegern der globalen Terrororganisation IS. Es ist zu vernehmen, dass der Führer der Taliban, Mullah Haibatullah Akhundzada, die Sittengesetze gegen Frauen deshalb erneut verschärft hat, weil er damit die Abwanderung von Taliban-Kämpfern zu dem noch extremeren IS verhindern will.

Ausnahmen der strengen Regeln bestehen

Wie viel an den neuen Gesetzen Rhetorik ist, ist schwer zu sagen. Angeblich stützen längst nicht alle im Machtapparat die totale Verbannung der Frauen aus der Öffentlichkeit, da dies nicht nur gesellschaftliche, sondern auch wirtschaftliche Konsequenzen hat.

Auch gibt es offenbar mehr Ausnahmen, als vielen Hardlinern lieb ist. Mädchen werden zu Tausenden im Untergrund unterrichtet. Und Frauen mit Fachwissen werden als Angestellte in wichtigen Branchen wie Banken und Telekom toleriert.

Das ändert an der Tatsache aber wenig, dass Afghanistan das einzige Land ist, in dem Frauen nicht studieren dürfen. Gemäss Schätzungen erhalten rund 80 Prozent der Mädchen im Moment keine Sekundärschulbildung. Afghanistans Wirtschaft ist am Boden. Der Grossteil der Menschen lebt unter der Armutsgrenze und ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

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