Er habe nichts gegen Schwedens Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis, sagt der ungarische Regierungschef seit langem. Trotzdem verweigert er weiter die Zustimmung. Was will Orban konkret?
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat in den vergangenen Monaten mehrmals betont, sein Land werde nicht das letzte Nato-Mitglied sein, das Schwedens Beitrittsgesuch zustimmen werde. Nun deutet alles darauf hin, dass es doch so kommen wird: Nach der Abstimmung des Parlaments in Ankara am Dienstagabend fehlt einzig die Unterschrift von Präsident Recep Tayyip Erdogan für die formale Ratifizierung durch die Türkei. Damit verhindert nur noch Ungarn die Erweiterung des Verteidigungsbündnisses, die einstimmig erfolgen muss.
Dass Ungarn und die Türkei sich in der Frage abstimmen, ist kein Geheimnis. Sie verzögerten bereits die Aufnahme Finnlands monatelang, bis die Parlamente der beiden Länder den Beitritt dann im vergangenen Frühling praktisch gleichzeitig ratifizierten – wobei die Abstimmung in Budapest tatsächlich wenige Tage früher erfolgte.
Schweden sieht keinen Grund für Verhandlungen
Entsprechend hat das türkische Ja zu Schweden auch in Ungarn Bewegung in den Prozess gebracht. Orban teilte am Dienstag mit, seinen schwedischen Amtskollegen Ulf Kristersson nach Budapest eingeladen zu haben, um über den Beitritt zu «verhandeln».
Today I sent an invitation letter to Prime Minister Ulf Kristersson @SwedishPM for a visit to Hungary to negotiate on Sweden’s NATO accession.
— Orbán Viktor (@PM_ViktorOrban) January 23, 2024
Damit offenbarte der Regierungschef allerdings, dass es ihm um politische Taktiererei und nicht um Inhalte geht. Die Beitrittsfrage stellt sich seit anderthalb Jahren, Gespräche haben in dieser Zeit natürlich stattgefunden. Schwedens Aussenminister Tobias Billström erklärte denn auch, man wolle den Dialog fortsetzen. Aber für Verhandlungen sehe er in dieser Situation keinen Grund. In Orbans Brief komme das Wort auch gar nicht vor. Er sei in einem «guten Ton» verfasst.
Das Schreiben steht aber auch im Widerspruch zu Orbans bisheriger Argumentation. Er hatte stets betont, Schwedens Nato-Beitritt zu unterstützen. Im Parlament bestünden aber Vorbehalte wegen der schwedischen Kritik an rechtsstaatlichen Defiziten und der «Beschimpfung Ungarns». Doch Verhandlungen auf Ebene der Regierungschefs könnten daran nichts ändern. Es handelt sich lediglich um einen Vorwand. Orbans Partei Fidesz hat eine überwältigende Mehrheit im Parlament und würde bei entsprechender Anweisung sofort zustimmen.
Mit der türkischen Ratifizierung wächst der Druck auf Budapest. Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, er zähle darauf, dass Ungarn die Ratifizierung nun so rasch wie möglich beschliesse. In einem Telefongespräch versicherte ihm Orban am Mittwoch, seine Regierung unterstütze eine Mitgliedschaft Schwedens nach wie vor. Man werde das Parlament «weiterhin drängen», dieser baldmöglichst zuzustimmen.
Die entsprechende Vorlage wurde der Legislative tatsächlich längst überwiesen und ein Votum immer wieder in Aussicht gestellt. Traktandiert wurde ein solches aber nie, und es steht auch nicht auf der Agenda der im Februar beginnenden Frühlingssession.
Es ist unklar, was Orban konkret will
Als die Nato das Aufnahmeverfahren der beiden nordischen Länder im Sommer 2022 an ihrem Gipfel in Madrid offiziell in die Wege leitete, hatte die Türkei Zugeständnisse verlangt, zu denen sich Schweden und Finnland in einem Memorandum verpflichteten. Ungarn stellte dagegen keine besonderen Bedingungen, was Billström am Dienstag auch betonte. Das macht den Prozess mit Budapest schwieriger: Es ist unklar, was Orban konkret will.
Die Nato steht deshalb vor demselben Problem wie die EU seit langem: Der ungarische Regierungschef nutzt das Einstimmigkeitsprinzip, um für seine Zustimmung sachfremde Zugeständnisse zu erzwingen. Die simpelste Antwort auf die Frage, warum Orban den schwedischen Beitritt verzögert, ist deshalb wohl: weil er es kann. Der Regierungschef gefällt sich seit Jahren in der Rolle als Rebell. Innenpolitisch erhofft er sich Punkte durch die überproportionale Bedeutung, die das kleine Ungarn so erhält. Aussenpolitisch ist er dagegen seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ohnehin isoliert und kann kaum noch weiteren Schaden anrichten.
Wegen seiner kremltreuen Haltung zerbrach das Bündnis mit dem wichtigen Alliierten Polen, und auch die ihm sonst nahestehende italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist darüber verärgert. Seit dem Machtwechsel in der Slowakei hat Orban zwar mit dem dortigen Regierungschef Robert Fico einen neuen Verbündeten, dessen Land aber wenig Gewicht hat.
Dafür bleibt das Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin intakt, dem sich Orban ideologisch verbunden fühlt und von dem er sich auch wirtschaftlich abhängig gemacht hat. Dass er letztlich alle Sanktionen gegen den Kreml mitgetragen hat, obwohl er sie gleichzeitig geisselt, fällt so weniger auf.
Orban kann sich diese Politik indes nur leisten, weil Ungarn letztlich fest in EU und Nato verankert ist, die Wohlstand und Sicherheit des Landes garantieren. Der strategisch geschickte Regierungschef weiss deshalb auch, dass er es mit den Provokationen nicht übertreiben darf. Es ist anzunehmen, dass auch Budapest Schwedens Nato-Beitritt bald ratifiziert. Wenn dafür noch etwas herausspringt, hat sich die Taktik erst recht gelohnt.