Freitag, November 22

Keine andere Börse hat die Anleger reicher gemacht als die amerikanische. Trotzdem stehen die Chancen gut, dass der Boom weitergeht.

Um reich zu werden, musste man in der Vergangenheit amerikanische Aktien kaufen. Keine andere Anlageklasse hat in den letzten Jahrzehnten mehr Rendite gebracht. Wer per Ende 2000 10 000 Dollar an der US-Börse investiert hat, besitzt heute ein Vermögen von 27 000 Dollar – und zwar inflationsbereinigt. Wer für dieselbe Summe Aktien ausserhalb Amerikas kaufte, kommt dagegen nur auf ein Vermögen von 16 000 Dollar.

Die eindrückliche Überlegenheit der USA an den Finanzmärkten begann schon Anfang des 20. Jahrhunderts. In den folgenden hundert Jahren erreichte die US-Börse eine reale jährliche Rendite von 7,0 Prozent, verglichen mit 4,9 Prozent in der übrigen Welt. Dies haben Ökonomen der London Business School errechnet.

Auch im laufenden Jahr zeigt sich dieser typische Unterschied bei der Performance: Der Aktienindex S&P 500 hat um 24 Prozent zugelegt, während sein europäisches Pendant, der Euro-Stoxx 600, lediglich auf ein Plus von 6 Prozent kommt. Die Wahl von Donald Trump zum neuen Präsidenten hat den gegenwärtigen Schub der US-Börse zusätzlich angetrieben: Die Investoren hoffen, dass ein günstiges Umfeld und sinkende Steuern die Gewinne der Unternehmen weiter in die Höhe schrauben.

USA dominieren die Börsenwelt

Allerdings: Auch für amerikanische Aktien wird die Luft irgendwann dünner, die Kurse können nicht ewig steigen. Zu erdrückend ist die Dominanz der USA an den globalen Finanzmärkten inzwischen. Das zeigt sich an ihrem Gewicht im Welt-Aktienindex MSCI World. Seit den frühen neunziger Jahren ist dieser Anteil von 36 auf 64 Prozent geklettert – das entspricht beinahe einer Verdoppelung. Umgekehrt hat nicht nur Japan massiv an Bedeutung verloren. Auch die Euro-Zone muss sich heute mit einem bescheidenen Anteil von 7 Prozent an der globalen Marktkapitalisierung begnügen.

«Nach unserer Einschätzung befindet sich die US-Börse nicht in einer Blase», sagt Grace Peters, die bei der JP Morgan Private Bank die globale Anlagestrategie leitet. «Wir sind im Gegenteil davon überzeugt, dass die amerikanischen Konzerne auch in den kommenden Jahren überdurchschnittliche Erträge erzielen können, was sich in steigenden Börsenkursen niederschlägt.» Für die grossen Standardwerte, die sogenannten Blue-Chip-Aktien, prognostiziert die JP Morgan Private Bank eine langfristige Rendite von 6,7 Prozent. Zudem geht die Grossbank davon aus, dass die US-Börse ihren Anteil an der globalen Marktkapitalisierung auch im Jahr 2037 bei hohen 60 Prozent halten kann.

Ihren Optimismus stützt Peters auf die fundamentale Stärke der amerikanischen Wirtschaft. Sie erwartet, dass das Bruttoinlandprodukt in den nächsten zehn Jahren um durchschnittlich 2,0 Prozent wächst. Das ist deutlich mehr als in der Euro-Zone, der sie ein jährliches Wachstum von 1,4 Prozent zutraut. «Der grosse Trumpf der USA sind die phantastischen Konzerne, welche weltweit eine einzigartige Stellung einnehmen. Diese Firmen haben es geschafft, ihre Margen auf ein rekordhohes Niveau zu steigern.»

Grace Peters geht davon aus, dass diese führenden Konzerne ihre Funktion als gigantische Gewinnmaschinen weiter ausbauen können. Sie rechnet mit einer jährlichen Ertragssteigerung von 6,8 Prozent über die nächste Dekade – derweil sie bei europäischen Firmen lediglich mit einem Zuwachs von 3,5 Prozent rechnet. Hier zeigt sich das bekannte Lamento des alten Kontinents: Europas Wirtschaft ist weniger produktiv, als sie es sein könnte. Die Unternehmen investieren weniger und fallen auch technologisch immer weiter zurück.

Die Bewertungen laufen auseinander

Immerhin, einen Vorteil haben die europäischen Aktien im Vergleich: Sie sind deutlich günstiger bewertet. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis beträgt derzeit lediglich 14, während man an der US-Börse das 24-Fache bezahlen muss. Noch weiter öffnet sich die Schere, wenn man die zehn grössten amerikanischen Aktien herauspickt. Diese kosten nämlich das 30-Fache des derzeitigen Gewinns.

Peters räumt zwar ein, dass die stolze Bewertung das langfristige Renditepotenzial etwas schmälert. Trotzdem könne man nicht von einer Überhitzung sprechen, der hohe Preis sei insgesamt gerechtfertigt. «Diese Top-Aktien besitzen dank den hohen Cashflows äusserst robuste Bilanzen und sind damit auch gegen Krisen gut abgesichert. Zudem sind sie in der Lage, riesige Beträge in neue Technologien zu investieren – namentlich in die künstliche Intelligenz.» Laut einer Auswertung von JP Morgan stemmen die zehn grössten Konzerne im Index S&P 500 über 40 Prozent der Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung.

Diese herausragende Stärke der grossen Tech-Konzerne ist eine Folge der Plattformökonomie: Digitale Marktplätze wie etwa Suchmaschinen funktionieren nach dem Prinzip «The winner takes it all». Die Macht dieser Firmen geht mittlerweile so weit, dass die zehn grössten amerikanischen Konzerne dieselbe Marktkapitalisierung auf die Waage bringen wie sämtliche Unternehmen, die an den Börsen der 27 EU-Länder kotiert sind.

Gleichzeitig führt die enorme Marktkonzentration zu einem Klumpenrisiko für die Anleger: Allein die drei weltgrössten Konzerne Apple, Microsoft und Nvidia erreichen im Welt-Aktienindex, dem insgesamt 1400 Firmen angehören, einen Anteil von 13 Prozent. Eine breite Diversifikation sei daher noch wichtiger geworden, betont Peters und empfiehlt zu diesem Zweck Aktien von europäischen Blue Chips. «Etliche dieser Konzerne haben ihre Bilanzen gestärkt und zahlen attraktive Dividenden von oftmals über 3 Prozent.»

Auch Europa hat seine Stars

Als Sinnbild dafür stehen die sogenannten Granola-Aktien – das Akronym setzt sich zusammen aus den europäischen Schwergewichten GSK, Roche, ASML, Nestlé, L’Oréal, LVMH und AstraZeneca. Je nach Definition werden auch die Pharmatitel Novo Nordisk und Novartis dazugezählt. Granola bildet das Gegenstück Europas zu den grossen Tech-Konzernen aus den USA, den «Magnificent 7».

«Starkes Wachstum in einer fragilen Welt»: Unter diesem Leitsatz fasst die JP-Morgan-Strategin die gegenwärtige Lage zusammen. Als Anleger dürfe man daher die Risiken nicht aus den Augen verlieren, mahnt sie. Namentlich könne man eine Rückkehr der Inflation nicht ausschliessen. Für dieses Szenario empfiehlt Peters nach wie vor Gold als Beimischung im Depot sowie Investments im Bereich Infrastruktur.

Genau beobachten müsse man zudem die wachsende Verschuldung, wobei dies kein unmittelbares Risiko darstelle. Und schliesslich könne man auf längere Frist auch eine Rezession nicht ausschliessen – obgleich dieses Szenario an den Märkten derzeit wenig thematisiert werde. Immerhin hat die US-Wirtschaft trotz stark gestiegenen Zinsen ein Soft Landing geschafft, welches viele Analysten nicht für möglich gehalten hätten.

Derzeit überwiegt also das positive Momentum, unterstützt durch weitere Zinssenkungen der Währungshüter. So hat die US-Notenbank Fed den Leitzins um weitere 25 Basispunkte auf 4,5 bis 4,75 Prozent gesenkt. Zusammen mit der Wahl von Donald Trump hat dies der US-Börse eine erfreuliche Woche beschert. Die Zeichen stehen indes gut, dass der Aufwärtstrend andauert und amerikanische Aktien auch künftig für erfreuliche Gewinne sorgen.

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