Samstag, April 26

Die künftigen Koalitionäre planen, statt der täglichen, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einzuführen. Das verschafft Unternehmen mehr Flexibilität, löst aber nicht das Wachstumsproblem des Landes. Dafür müssten die Deutschen mehr arbeiten.

Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und Erholung, acht Stunden Schlaf: Was sich wie die Empfehlung aus einem Ratgeber zur Optimierung der Work-Life-Balance liest, ist eine mehr als 200 Jahre alte Idee. Sie stammt von dem walisischen Unternehmer und Sozialreformer Robert Owen. Ihm war es ein Dorn im Auge, dass die Arbeiter in seiner Baumwollspinnerei täglich bis zu vierzehn Stunden schufteten. Daher verkürzte er ihre Arbeitszeit im Jahr 1799 drastisch. Mit Erfolg: Die Zufriedenheit der Arbeiter stieg, die Produktivität der Firma legte zu.

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Es dauerte mehr als hundert Jahre, bis Owens Idee auch in Deutschland Fuss fasste. 1918 einigten sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften auf die Einführung eines Achtstundentags für Arbeiter. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Regel ausser Kraft gesetzt. 1946 führte sie der Alliierte Kontrollrat wieder ein.

Starre Regelung

Heute ist der Achtstundentag in Deutschland im Arbeitszeitgesetz verankert. Dieses schreibt vor, dass die maximal zulässige Arbeitszeit pro Tag «acht Stunden nicht überschreiten» darf. Sie kann nur auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb einer bestimmten Frist ein Ausgleich erfolgt, damit «im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden».

Unternehmer klagen, die starre gesetzliche Regel mache es schwer, flexibel auf schwankende Auftragslagen und Kundenwünsche zu reagieren. Die künftige Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD will das Gesetz daher ändern. Im Koalitionsvertrag versprechen die Parteien, «im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit zu schaffen».

Welche Folgen hätte das für die Wirtschaft?

Die Arbeitszeitrichtlinie der EU sieht eine wöchentliche Obergrenze von 48 Stunden einschliesslich Überstunden vor. Eine Obergrenze für die tägliche Arbeitszeit wird dort nicht genannt. Unternehmen erhalten dadurch Spielraum, ihr Personal zeitlich flexibler einzusetzen.

Ökonomen begrüssen das Vorhaben der künftigen deutschen Koalitionspartner. «Die starre Obergrenze für die tägliche Arbeitszeit ist ein Relikt aus einem Industriezeitalter, über das die Moderne hinweggegangen ist», sagt Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Länger arbeiten für mehr Wachstum

Wie viele Stunden Beschäftigte pro Woche tatsächlich arbeiten müssen, ist in den Arbeitsverträgen geregelt. Entfällt die gesetzliche Obergrenze für die tägliche Arbeitszeit, bedeutet das nicht, dass die Menschen jede Woche länger arbeiten müssen. Vielmehr können die Betriebe die tägliche Arbeitszeit besser auf ihre produktionstechnischen Anforderungen und die Nachfrage der Kunden ausrichten. Das verbessert die Zufriedenheit der Kunden und sichert Arbeitsplätze.

Die häufig geäusserte Sorge, ein Ende des gesetzlich vorgeschriebenen Achtstundentags könne die Beschäftigten physisch oder psychisch überfordern, weist der IW-Ökonom Stettes zurück. Studien zeigten, dass Beschäftigte durch temporär längere Arbeitszeiten keine gesundheitlichen Folgeschäden erlitten, sagt er. Das gelte vor allem für Büroangestellte.

Aber kann die Flexibilisierung der Arbeitszeiten der Wirtschaft auch den dringend benötigten Wachstumsschub geben, der sie aus Rezession und Stagnation befreit? Der Ökonom Stettes bezweifelt das. «Für mehr Wachstum müssten die Deutschen nicht nur flexibler, sondern auch länger arbeiten», sagt er. Zumal die Produktivität stagniert und die Investitionen darniederliegen.

Die Bereitschaft, mehr zu arbeiten, scheint jedoch schwach ausgeprägt zu sein. Laut einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin arbeitet eine Mehrheit der abhängig Beschäftigten von knapp 62 Prozent nicht länger als 40 Stunden pro Woche. Von ihnen arbeiten 37,3 Prozent 35 bis maximal 40 Stunden in der Woche, 19,2 Prozent sind 20 bis unter 35 Stunden im Dienst, und 5,1 Prozent arbeiten lediglich 10 bis unter 20 Stunden.

Nur 26,7 Prozent aller Beschäftigten verbringen 40 bis 48 Stunden pro Woche mit Arbeit. Noch weniger (10,6 Prozent) arbeiten zwischen 48 und 60 Stunden pro Woche. Besonders häufig anzutreffen sind die wenigen Vielarbeiter in den Sicherheitsberufen, in der Land- und Forstwirtschaft, im medizinischen Bereich sowie im Logistik- und Verkehrswesen. Auch Führungskräfte und Experten gehören zu den Vielarbeitern. Als Hauptgrund für die langen Arbeitszeiten geben die Betroffenen an, dass die Arbeit sonst nicht zu schaffen sei, dass sie Spass daran hätten und dass sie beruflich vorankommen wollten.

Im internationalen Vergleich liegen die Deutschen mit 1031 jährlich geleisteten Arbeitsstunden je Einwohner im unteren Viertel. Deutlich mehr Stunden arbeiten die Niederländer (1167 Stunden), die Schweizer (1215 Stunden) sowie die Polen (1295 Stunden). Am fleissigsten sind die Neuseeländer, sie arbeiten im Schnitt 1393 Stunden pro Jahr.

Direkten Einfluss darauf, wie lange die Deutschen arbeiten, hat die Regierung nicht. «Die konkrete Festlegung der Arbeitszeiten ist Sache der Tarifpartner», sagt der IW-Ökonom Stettes. Allerdings kann die Regierung Anreize setzen, damit die Menschen Lust auf mehr Arbeit bekommen. So planen CDU, CSU und SPD, die Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei zu stellen, die über die tariflich vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht.

Als Arbeitgeber im öffentlichen Dienst könnte die Regierung zudem in den Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften auf längere Arbeitszeiten drängen. Für die Beamten kann sie längere Arbeitszeiten auf dem Verordnungsweg durchsetzen.

Die grösste Wirkung auf das Arbeitsvolumen aber hätte es, wenn die Regierung das gesetzliche Renteneintrittsalter von derzeit 67 Jahren nach hinten verschöbe. Damit wirkte sie der Verknappung von Arbeitskräften entgegen und stärkte das Wachstumspotenzial. Zudem entlastete ein höheres Rentenzugangsalter die Beitragszahler – und verbesserte so deren Bereitschaft, mehr zu arbeiten. Doch von einem späteren Renteneintritt ist im Koalitionsvertrag der künftigen Regierungsparteien nichts zu lesen.

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