Montag, November 25

Die Gesellschaft wird infantiler, die Diversität der Ausdrucksformen schwindet. Die Medien sind Spiegel davon und zeugen sprachlich von dem Bedürfnis, an die Hand genommen zu werden.

In den Medien lässt sich ein linguistisch interessantes Phänomen beobachten: Die verwendete Sprache scheint langsam zu verkümmern. Dies mag als leichte beziehungsweise einfache Sprache im Rahmen moralisch nobler Inklusionsbemühungen durchgehen, kann aber auch, frei nach Ludwig Wittgenstein, als Abbild der Wirklichkeit verstanden werden. Das Leben der Einzelnen scheint, allen globalen Verkomplizierungen zum Trotz, immer banaler, gleichsam kindischer zu werden. Nimmt man die Sprache als Abbild der als wahr erlebten Wirklichkeit, scheinen sie deshalb vermehrt geistig an die Hand genommen werden zu wollen.

Die verwendete Sprache hat einen substanziellen Teil ihrer Vielseitigkeit eingebüsst, dafür stimmt die innere Geisteshaltung. Heutzutage sind alle «unterwegs». Nicht mehr nur physisch, sondern auch mental. Man ist digital unterwegs – mit diesen Worten berichtet die «Luzerner Zeitung» über das örtlich unverrückbare Skigebiet Andermatt-Sedrun-Disentis. Man ist vegetarisch unterwegs – Keystone-SDA paraphrasiert damit den jüngsten Swissveg-Report zum Fleischkonsum in der Schweiz. Wer nicht unterwegs ist, hat den Anschluss verpasst. Oder verweigert sich der metaphorischen «Reise», die unser Dasein darstellt.

Probleme existieren nicht mehr, es gibt im besten Fall nur noch «Herausforderungen», so «20 Minuten» über die Zukunftsaussichten für Schweizer Hoteliers. So wird der deutschen Sprache ihre inhärente Fähigkeit zur Differenzierung genommen, quasi das Gegenteil von «auf eine neue Ebene gehoben», eine dieser eingedeutschten Sprachverirrungen, die das Verallgemeinern vereinfachen. Und sie wird von der «Zürichsee-Zeitung» dankbar in ihre Berichterstattung über die neusten Entwicklungen im Ukraine-Krieg aufgenommen.

Kindliches Weltbild von Gut und Böse

Es gibt heutzutage nur noch «Talente», die Unbegabten sind aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Von den Dummen ganz zu schweigen. Was gut ist, ist «nice», und was man selber nicht versteht, ist zumindest «umstritten». Opfer werden pauschal mit dem Zusatz «unschuldig» versehen, wie vorletzten Sonntag von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig anlässlich des Volkstrauertages zur Erinnerung an die Opfer von Gewalt und Krieg – als wäre der Akt der Grausamkeit nur darum zu verurteilen, und er wäre weniger verwerflich, wenn sich das designierte Opfer zuvor schuldig gemacht hätte.

Wer sich für eine beliebige Sache starkmacht, avanciert fast automatisch zum moralisch überlegenen «Aktivisten», der einen «Kampf» gegen eine «Krise» führt, auch wenn genaugenommen nur Gebrauch vom eigenen Bürgerrecht zur freien Meinungsäusserung bezüglich einer subjektiv als unliebsam wahrgenommenen Situation gemacht wird.

Solche sprachlichen Verflachungen, die immerhin das kindlich dichotome Weltbild von Gut und Böse bedienen, behindern jedweden differenzierten Diskurs und machen diesen sogar ganz unmöglich, denn wer nicht gleicher Meinung ist, gilt schnell als «toxisch». So wurde der «Süddeutschen Zeitung» Anfang Jahr im Magazin «Cicero» «toxische Abgehobenheit» im Umgang mit an sie gerichteten Plagiatsvorwürfen unterstellt, als wäre «nicht toxische Abgehobenheit» redlich.

Aus der Boulevardpresse sind zudem Worthülsen in die Leitmedien diffundiert, die Einfachheit in Zeiten der Komplexität suggerieren. «Ein Experte ordnet ein» und dessen Varianten «was dahintersteckt» und «Wir klären auf» sind Bestandteile eines jeden etwas auf sich haltenden Hintergrundartikels geworden. So müssen weder Journalist noch Leser selber denken.

Die «Thurgauer Zeitung» zerrt einen Experten ins Rampenlicht, um über die Gefährlichkeit angeblich der AfD nahestehender Medien zu sinnieren. Im «Blick» philosophiert der Experte über die zukünftigen Preise von Ski-Tickets. Das gebührenfinanzierte SRF lässt von einem Experten einordnen, ob der Marke Toblerone ihr Logowechsel nun mehr schadet oder nützt. Selbst die NZZ sieht die Notwendigkeit einer Einordnung durch eine Expertin bei der Beantwortung der Frage, wie sehr sich die mediterrane Diät im Alltag von jener in der Forschung unterscheide.

Anspruch auf Allwissenheit

Gott sei Dank, dass wenigstens jemand noch den Überblick hat und das Komplizierte in allgemein Verständliches verwässert. Selbst wenn das Thema dem Alltäglichen entbehrlich ist. Offenbarungsversprechungen hingegen wecken das kindliche Bedürfnis nach absoluter Gewissheit: «Die Wahrheit über» oder sogar «die ganze Wahrheit über» – das kindliche Bedürfnis nach absoluter Gewissheit: Beim «Tages-Anzeiger» findet man Artikel zum männlichen Gehirn, zu einem fehlenden Höschen, zu Wunderfrauen, zu Catherine Deneuve, zur «Vegi-Milch», zur Stadt Berlin und zu Kondensstreifen, deren Titel mit dem Versprechen der Aufdeckung der «Wahrheit über» locken, als ob ein Text diesem Anspruch auf Allwissenheit je gerecht werden könnte.

Wer als konsultierter Experte des zu erläuternden Sachverhalts nicht kundig ist, erschafft mit dem Adverb «sozusagen» zumindest eine vage Illusion von «Exzellenz», die wiederum eine simplifizierende und darum beruhigende Wirkung hat. Im «Tages-Anzeiger» öffnet «Nikotin dem Kokain sozusagen die Tür», und auf «20 Minuten» schafft sich «das System der mit Prämien finanzierten Versicherung sozusagen selbst ab».

Wer sein Argument nicht inhaltlich untermauern kann, tut dies immerhin sprachlich, denn was gesagt wurde, gilt «auf alle Fälle», ganz besonders in der Sportberichterstattung von «20 Minuten». Es ist «natürlich», wie es ist.

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