Jetzt warnt sogar die Europäische Zentralbank davor, dass der Euro marginalisiert werden könnte. Denn im Internet werden fast ausschliesslich digitale Dollar eingesetzt.

China hat Flugzeugträger, grosse Sprachmodelle, eine florierende Automobilindustrie und macht selbst bei der Entwicklung von Halbleitern rasch Fortschritte.

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Es gibt eigentlich nur einen Bereich, in dem Peking Washington das Wasser nicht reichen kann: das Finanzsystem. Der Dollar ist als Handels- und Reservewährung absolut zentral, der Yuan dagegen bloss ein Zaungast. Selbst Euro und Yen haben eine untergeordnete Bedeutung.

Und die neue US-Regierung stellt gerade die Weichen dafür, dass der Dollar in Zukunft noch wichtiger wird, als er das heute schon ist. In Washington hat man die Zeichen der Zeit erkannt: Unser Geldsystem steht vor einem grossen Umbruch, es wird digital.

So einfach wie eine SMS verschicken

Das zeigt sich an der immer grösseren Zahl an sogenannten Stablecoins: Sie sind das digitale Abbild einer herkömmlichen Währung, meist des Dollars, und können so einfach verschickt und empfangen werden wie eine Textnachricht oder eine E-Mail.

Die Blockchain-Technologie sorgt dafür, dass diese digitalen Währungen nicht mehrmals ausgegeben werden können, obwohl sie nur auf Computern existieren. Als Vorbild dafür dient der Bitcoin, der zwar gut funktioniert, aber starken Wertschwankungen unterliegt.

US-Finanzminister Scott Bessent redet Klartext

Dass das Thema bei der neuen US-Regierung eine sehr hohe Priorität geniesst, zeigt zum Beispiel eine Aussage von US-Finanzminister Scott Bessent vom 7. März. «Wie Präsident Trump es angeordnet hat, werden wir den US [Dollar] als dominierende Reservewährung in der Welt verteidigen, und wir werden Stablecoins nutzen, um das zu erreichen.»

Diese Botschaft ist in Europa angekommen, zumindest bei den wenigen Verantwortungsträgern, die überhaupt verstehen, was da gerade passiert.

Wandern Bankeinlagen in die USA ab?

Piero Cipollone, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), bezeichnet die Tatsache, dass Donald Trump die weltweite Verwendung von Dollar-Stablecoins fördern will, «als besorgniserregend». «Denn wenn die Menschen in Europa anfangen, mit Stablecoins zu bezahlen, werden sie ihre Einlagen von Europa in die Vereinigten Staaten transferieren, da die meisten dieser Stablecoins amerikanisch sind und auf Dollar basieren», sagte Cipollone im Februar in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.

Europa will mit der Einführung eines digitalen Euro auf diese Entwicklung reagieren. Dieser soll von der EZB selbst herausgegeben werden. Pläne dazu gibt es zwar schon lange, aber diese sind bis jetzt noch sehr vage.

In den letzten Wochen jedoch ist in den Aussagen der europäischen Währungshüter eine neue Dringlichkeit erkennbar: Sie propagieren die Einführung eines digitalen Euro zunehmend als Verteidigungsdispositiv gegen die wachsende Dominanz von Dollar-Stablecoins.

Denn diese werden trotz fehlender Gesetzesgrundlage bereits rege genutzt. Der wichtigste von ihnen heisst USDT und hat ein tägliches Handelsvolumen von immerhin rund 73 Milliarden Dollar.

Das Vertrauen, das Nutzer aus aller Welt diesem Stablecoin entgegenbringen, ist erstaunlich. Denn hinter USDT steht Tether – eine private Firma mit Sitz in El Salvador, einem Land, das nicht gerade bekannt für eine besonders scharfe Finanzaufsicht ist. Der beliebteste digitale Dollar stammt aus einer Bananenrepublik.

Tether – und Dutzende weitere Anbieter von digitalen Dollar – legen selbst fest, wie sie sicherstellen, dass der Wert ihres Stablecoins immer einen Dollar beträgt: Dafür müssen sie Investoren und Nutzer zu jedem Zeitpunkt von der Werthaltigkeit ihres Coins überzeugen: dass dieser mit genügend Vermögenswerten – mehrheitlich amerikanischen Staatsanleihen – hinterlegt ist.

Es gibt bisher kein amerikanisches Gesetz, das zum Beispiel Mindestreserven für Dollar-Stablecoins festlegt. Geschweige denn vorschreibt, wie solche Reserven zusammengesetzt sein müssen. Theoretisch könnten sich die Promotoren solcher Privatwährungen auch einfach mit dem Geld der Anleger aus dem Staub machen.

Auch die Bank of America will einsteigen

Dollar-Stablecoins von Privatanbietern mögen ein Kuriosum sein, aber ein schnell wachsendes. Immer mehr Firmen springen auf den fahrenden Zug auf: Grossbanken wie die Bank of America oder Standard Chartered, aber auch Fintech-Firmen wie Paypal oder Revolut haben Pläne für Stablecoins. Sie rechnen mit einer digitalen Revolution beim Geld.

Wer eine Kreditkarte einsetzt, mag zwar den Eindruck gewinnen, dass es sich um eine digitale Transaktion handelt. Aber dieser Eindruck täuscht: Der umständliche Prozess hinter einer Visa- oder Mastercard-Zahlung stammt aus dem letzten Jahrhundert. Und mit ihren exorbitanten Gebühren sind Mastercard, Visa und Co. ebenfalls aus der Zeit gefallen: Eine Transaktion mit einem digitalen Dollar ist fast gratis.

Die amerikanische Zentralbank bleibt aussen vor

Washington hat private Dollar-Stablecoins zur Priorität erklärt und will möglichst schnell Gesetze schaffen, um diese aus ihrer rechtlichen Grauzone herauszuholen: Das dürfte den Startschuss für einen globalen Siegeszug darstellen.

Gleichzeitig stoppte Donald Trump bei seiner Amtseinführung per Executive Order alle Arbeiten an einer digitalen Zentralbankwährung. Zum Zug kommen sollen nur private Anbieter.

Doch wieso sollen ausgerechnet Stablecoins den dominanten Status des Dollars ausbauen helfen – den Länder wie China, Russland oder Brasilien zunehmend beklagen?

Weil insbesondere die Bürger aufstrebender Staaten rege Nutzer von Stablecoins sind: Einwohner von Ländern mit einer hohen Inflation wie etwa Iran, Nigeria oder der Türkei schätzen schon heute digitale Dollar. So schützen sie ihr Erspartes vor Geldentwertung. Chinesen können mit Stablecoins die staatlichen Kapitalverkehrskontrollen umgehen.

Nachfrage nach US-Staatsanleihen steigt

Und wer einen Dollar in Stablecoins hält, investiert indirekt in US-Staatsanleihen, da diese als Sicherheit dienen. Wenn Anbieter eines Stablecoins zusätzliche digitale Dollar schaffen, müssen sie auch die Reserven aufstocken, welche die Werthaltigkeit des Stablecoins garantieren. Das kurbelt die Nachfrage nach US-Schuldtiteln an.

Wenn hingegen die EZB einen digitalen Euro emittiert, erwirbt deswegen niemand europäische Staatsschulden. Im Jargon der Notenbanker redet man von CBDC, von Central Bank Digital Currency.

In Brüssel sieht man im Aufkommen von Dollar-Stablecoins sogar eine mögliche Gefährdung des Finanzsystems. Nur drei Tage nach den Aussagen von US-Finanzminister Bessent sagte Pierre Gramegna, der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), an einer Pressekonferenz der Euro-Gruppe, die Haltung der neuen US-Regierung tangiere die «europäische Souveränität».

Die unterstützende Haltung der US-Regierung schafft einen Anreiz für amerikanische Tech-Konzerne, «Massenzahlungslösungen auf der Grundlage von auf Dollar lautenden Stablecoins» einzuführen. «Sollte dies erfolgreich sein, könnte das die Währungssouveränität und die Finanzstabilität des Euro-Raums» beeinträchtigen, so Gramegna.

Diese Angst ist durchaus gerechtfertigt, denn eine neue Generation von digitalen Dollar macht diese noch wesentlich attraktiver als zuvor: Sie werfen Zinsen ab.

Stablecoins mit hohen Zinsen

Wer zum Beispiel USDY in seinem Wallet hält, erhält eine Verzinsung von derzeit 4,35 Prozent gutgeschrieben: Dabei handelt es sich zwar um einen Jahreszins, aber eine anteilige Gutschrift erfolgt jeden Tag, und zwar automatisch. Mit diesen Konditionen kann keine Bank mithalten.

Die Digitalisierung des Geldes könnte eine Disruption darstellen, die im Ausmass vergleichbar ist mit künstlicher Intelligenz oder der Elektrifizierung von Autos. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis Big Tech aufspringt – die Spezialisten für solche Umbrüche.

«Bis vor kurzem sind Stablecoins bloss als kleiner Nischenmarkt angesehen worden», sagt Hans Gersbach, Co-Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. «Es ist bemerkenswert, dass sie jetzt eine geopolitische Bedeutung erhalten könnten. Denn wenn die USA eine liberale Regulierung erlassen und einer der grossen Tech-Konzerne Dollar-Stablecoins als globales Zahlungsmittel propagiert, dann würde das helfen, die Dollar-Dominanz zu zementieren.»

Vor ein paar Jahren noch hat Washington den Meta-Konzern zurückgepfiffen, als dieser mit Libra ein digitales Zahlungsmittel lancieren wollte. Nun würde die US-Regierung einen solchen Schritt wohl nicht mehr verhindern, sondern nach Kräften unterstützen.

Kann Europa reagieren?

Gersbach glaubt nicht, dass Europa schnell auf diese Herausforderung reagieren kann. Das europäische CBDC-Projekt sei komplex – nicht nur technisch, sondern weil es politisch breit abgestützt sein müsse.

«Beim derzeitigen Tempo geht es sicher noch drei bis vier Jahre, bis ein digitaler Euro kommt. Es sei denn, dass die Entscheidungsträger in der EU und die Europäische Zentralbank das jetzt zu einer geopolitischen Priorität erklären», so Gersbach.

Es gibt zwar auch Euro-Stablecoins von Privatanbietern, aber diese fristen ein absolutes Nischendasein im Vergleich zu den digitalen Dollar. Und dies, obwohl die EU diese Stablecoins reguliert und damit ein Mindestmass an Sicherheit garantiert.

Europa ist also drauf und dran, das nächste grosse Ding zu verpassen. In der Politik wird das wohl erst zum Thema, wenn das Rennen bereits gelaufen ist.

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