Mittwoch, Februar 12

Etwas mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit ein Angreifer 15 Mal mit einem Messer auf den Autor einstach. Beim Prozess in New York erzählt Rushdie erneut von der Messerattacke. Sein Angreifer plädiert auf «nicht schuldig».

Am 12. August 2022 vermengten sich ihre Leben für 27 grauenhafte Sekunden. Der Autor Salman Rushdie wollte im Kulturzentrum der Chautauqua Institution, New York, darüber sprechen, wie man Schriftsteller vor Gewalt schützen kann. Der heute 27-jährige libanesisch-amerikanische Doppelbürger Hadi Matar versuchte genau das: dem Schriftsteller grösstmöglichen Schaden zuzufügen. Gäste sahen zu, und Kameras zeichneten auf, wie der schwarz gekleidete Matar auf die Bühne stürmte und 15 Mal mit einem Messer auf Rushdie einstach.

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Mehr als zwei Jahre später kreuzen sich die beiden Lebenswege erneut. In einem Gerichtssaal in New York, nur wenige Kilometer vom Kulturzentrum der Chautauqua Institution entfernt, machte Rushdie am Dienstag seine Aussage im Prozess gegen Matar.

«Free Palestine»

Auf verschiedenen Videoaufnahmen ist zu hören, wie Matar, in ein zu grosses, hellblaues Hemd gekleidet, zweimal «Free Palestine» sagt, während er in den Gerichtssaal geführt wird. Später, während Rushdies Schilderung der Attacke, soll Matar an seinen Nägeln gekaut haben.

Rushdie beschrieb vor Gericht, wie ihn der erste Messerstich traf. Hart und dumpf wie ein Faustschlag. Erst, als er das Blut auf seiner eigenen Kleidung gesehen habe, habe er begriffen, dass da einer immer und immer wieder mit einem Messer auf ihn einsteche: «Ich hatte Schmerzen im Auge und in der Hand, und mir wurde klar, dass ich im Sterben lag.» Später zeigte Rushdie den Geschworenen seine vernarbte Augenhöhle. Die Leerstelle, an der einst das Auge sass, das er nun jeden Tag vermisse.

Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass Rushdie sich zu dem Angriff auf sein Leben äussert. In Interviews und einem ebenso sanften wie wuchtigen Buch – «Knife. Gedanken nach einem Mordversuch» – machte Rushdie das ihm Geschehene Wort für Wort wieder zu seiner eigenen Geschichte. Der Geschichte seines Überlebens. In einer Szene beschreibt der Autor, wie einer seiner Ärzte dieses Überleben vor allem dem Zufall zuschrieb: «Ihr grösstes Glück war, dass der Mann, der Sie angriff, keine Ahnung davon hat, wie man einen Menschen mit dem Messer umbringt.»

Fatwa spielt vor Gericht keine Rolle

In einem Interview aus dem Gefängnis hatte Matar sich kurz nach dem Mordversuch erstaunt darüber gezeigt, dass Rushdie noch lebe. Dass Matar anscheinend nicht wusste, wie man mit einem Messer tötet, muss also nicht heissen, dass das nicht sein Ziel war – obwohl Matar und seine Pflichtverteidiger auf «nicht schuldig» plädieren, die Tötungsabsicht also verneinen.

In dem Gespräch aus dem Gefängnis sprach Matar nicht nur über Rushdie, den er einen Gegner des Islams nannte, sondern auch über Ayatollah Khomeiny, einen «grossartigen Menschen».

Khomeiny war es, der 1989 die Fatwa gegen Rushdie aussprach, nachdem dessen Roman «Die satanischen Verse» publiziert worden war. Im Zuge der Messerattacke von 2022 hat Iran offiziell jegliche Verbindung zu dem Angeklagten bestritten. Iran liess laut al-Jazeera nun aber zudem verlauten, Rushdie selbst trage die Verantwortung für die Messerattacke.

In den USA sieht man das anders. Matar droht eine separate Klage wegen Terrorismus vor dem amerikanischen Bundesgericht. Dabei dürften sein Glaube an den Islam und sein Motiv für den Messerangriff im Zentrum stehen.

Ein Akt der Liebe

In der zweiten Reihe, da, wo Platz für die Familie ist, sass während Rushdies Aussage vor Gericht auch Rachel Eliza Griffiths, Rushdies Ehefrau. Mehrmals, so schreiben es amerikanische Medien, habe sie während der Ausführungen ihres Mannes geweint.

«Seit dem Angriff auf meinen Mann hat sich für mich die Landkarte dessen, was Sicherheit bedeutet, verschoben», sagte Griffiths im vergangenen Herbst im Gespräch mit der NZZ. «Die Fatwa war für mich einfach ein Teil seiner Geschichte. Ich war traurig für ihn, dass er damit leben musste, und betrachtete ihn gleichzeitig als sehr mutig. Nun kam ein Teil seiner Geschichte in unsere Gegenwart.»

Griffiths sagte auch, sie habe nach der Messerattacke auf ihren Mann eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Mit ihrer Teilnahme am Prozess schien sie sich ihrem Trauma zu stellen, um dem Hass, den das Gericht zu verhandeln hat, mit der Liebe zu ihrem Mann zu begegnen.

Rushdies Helden

Beim Autorenverband PEN America, den Rushdie einst selbst präsidierte, sagte der Autor in einer Ansprache nach der Attacke: «An diesem Tag war ich das Opfer – aber sie waren die Helden.» Sie, das sind all die Menschen, die noch im Schock handelten und Rushdie damit das Leben retteten.

Einer von ihnen ist Henry Reese, der zum Zeitpunkt der Attacke gemeinsam mit Rushdie auf der Bühne stand und das Gespräch moderieren sollte. «Zuerst dachte ich, es sei ein Streich, eine wirklich geschmacklose Imitationsattacke», sagte Reese im Gespräch mit dem «New Yorker». Als er die Situation erfasst habe, sei er für einige Sekunden erstarrt. «Dann ging ich auf den Kerl los. Instinktiv.» Auch Reese wurde von Matar im Gesicht verletzt, bevor dieser sich wieder Rushdie zuwandte. Schliesslich gelang es einem Arzt und Freund Rushdies, der aus dem Zuschauerraum auf die Bühne stürzte, Matar von seinem Opfer wegzureissen. Beide Männer dürften ebenfalls noch vor Gericht auftreten, bevor in zwei Wochen das Urteil erwartet wird.

Rushdie selbst hat den Mann, der zu seinem Angreifer wurde, für sich bereits verhandelt. «Unsere Leben berührten sich für einen Augenblick und trennten sich dann», schreibt er in «Knife». Und, in einer direkten Ansprache: «Mein Leben hat sich seit diesem Tag verbessert, während Ihres sich verschlechtert hat. Sie haben ein schlechtes Spiel gemacht und verloren.»

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