Montag, November 25

In den Schweizer Städten sind Mietwohnungen knapp und teuer. Langwierige Baubewilligungsverfahren und eine Vielzahl von Bauvorschriften tragen zum Wohnungsmangel bei.

In der Schweiz wird zu wenig gebaut. Gründe dafür gibt es viele, einer der wichtigsten ist die zunehmende Wartezeit zwischen Baugesuch und Baubewilligung.

So hat sich die Anzahl Wartetage in den letzten zehn Jahren im gesamtschweizerischen Durchschnitt um rund 12 Prozent erhöht. Dauerte die Prüfung eines Baugesuchs in den Bauämtern vor zehn Jahren noch durchschnittlich 118 Tage, so waren es in den Jahren 2022/23 bereits 133 Tage.

Am längsten dauert die amtliche Gesuchsprüfung in den Kantonen Genf (188 Tage), Freiburg (185 Tage) und Basel-Stadt (182 Tage). Im Kanton Zürich dauert die Prüfung eines Baugesuchs für Wohnnutzungen 152 Tage. Das zeigt eine Auswertung des Immobilien-Beratungsunternehmens Wüest Partner in Zürich.

Von der NZZ befragte Baufachleute sehen unsinnige Bauvorschriften als zentrales Hindernis für einen rascheren Neubau von Mietwohnungen in urbanen Zentren.

Der ETH-Architekt Peter Sturzenegger ist Eigentümer des Architekturbüros Isler Architekten AG in Winterthur und nennt ein Beispiel: den sogenannten Mehrlängenzuschlag (MLZ). Sturzenegger ärgert sich seit Jahren darüber. Diese Vorschrift besagt: Bei Gebäuden ab 14 Metern Länge muss der Grenzabstand grösser sein als bei kürzeren Gebäuden. Der Zuschlag beträgt einen Drittel der Mehrlänge. Die Vorschrift hat schon manches Bauprojekt verunmöglicht.

Der Grosse Gemeinderat in Winterthur hat das Problem längst erkannt und der Stadtregierung bereits 2020 den Auftrag erteilt, die Aufhebung der Vorschrift zu prüfen. Der Mehrlängenzuschlag behindere die angestrebte Innenverdichtung in den Städten, sagten die Postulanten. Mit Erfolg: Bis Ende 2025 soll die Regel abgeschafft werden. Die Stadt selbst hat erkannt, dass die Bauvorschrift «die Ausschöpfung der rechtlich möglichen Baukubatur» hemmt.

Auch in der Stadt Zürich ist eine Abschaffung des Mehrlängenzuschlags ein Thema. Knapp die Hälfte der Bauzonenflächen in der Stadt fällt unter die Regel. Eine Motion für die Teilabschaffung aus dem Jahr 2018 ist im Zürcher Stadtrat aber immer noch pendent. Ob Zürich dem Beispiel Winterthurs folgen wird, ist offen.

Die «ständige Praxis» als Hindernis

Pascal Müller, Eigentümer der Müller Sigrist Architekten AG in Zürich, nennt eine weitere «überholte» Bauvorschrift aus dem Kanton Zürich: So verlangt das dortige Planungs- und Baugesetz, dass Wohnräume nicht mehrheitlich nach Nordosten oder Nordwesten ausgerichtet sind. Die Überlegungen hinter dieser Bestimmung sind die bessere Versorgung von Wohnungen mit Tageslicht, mehr Energieeffizienz und die Vermeidung von Schimmel. Müller sagt, diese Vorschrift sei zu Zeiten von lärmbelasteten Strassen und Klimaerwärmung im innerstädtischen Kontext nicht mehr gerechtfertigt.

Aber nicht nur Regierungen und Parlamente, sondern auch die Gerichte tragen laut Müller zur Verzögerung im Wohnungsbau bei. «Die grössten Hindernisse und Unwägbarkeiten für uns Planer und auch die Bauherrschaften sind nicht die festgeschriebenen Gesetze, sondern die Vielzahl an Rechtsprechungen und Gerichtsentscheiden», sagt er.

Diese Richtersprüche würden nicht mehr wie etwa früher zu einer Revision der Bauvorschriften oder der Gesetze führen, sondern in Form einer «ständigen Praxis» den Spielraum für Bauherren beeinflussen – und einengen. Das Problem daran sei, dass die ständige Praxis nicht fix sei und im Alltag zu widersprüchlichen Entscheiden führe.

Der Denkmalschutz als Hemmschuh

Der Aargauer Architekt Daniel Huber sieht bei den Vorschriften zur energetischen Sanierung und restriktiven Vorgaben im Denkmalschutz Potenzial zur Entschlackung. Ihn stört auch die komplexe und regional unterschiedliche Umsetzung von Bauvorschriften. Diese hänge «oft stark von der Interpretation und dem Einfluss der zuständigen Behördenmitarbeiter ab».

Beim Lärmschutz würde Julia Selberherr ansetzen. Sie ist Expertin für Immobilienentwicklung bei einem Zürcher Immobilien-Beratungsunternehmen. Sie sagt: «In den letzten Jahren haben die Lärmschutzvorschriften viele Wohnungsneubauprojekte blockiert.» Hoffnung macht ihr, dass die Revision des Umweltschutzgesetzes Lockerungen für das Bauen in lärmbelasteten Gebieten mit sich bringen könnte. Bei Umbauten, Umnutzungen und Sanierungen erschwerten daneben auch sehr hohe Anforderungen an Brandschutz und Erdbebensicherheit sowie denkmalpflegerische Auflagen «eine wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung».

Masse an Bauvorschriften ist das grösste Problem

Der Schweizer Baumeisterverband sieht die Vielzahl an Vorschriften als wichtigste Herausforderung: «Das grösste Problem ist die grosse Masse an – zum Teil widersprüchlichen – Bauvorschriften, die immer noch weiter zunimmt», sagt Jacqueline Theiler, Leiterin Kommunikation.

Der Anstieg der Regulierungsdichte und der Rechtsmittelverfahren führte zu ständig wachsender Komplexität und damit zu längeren Baubewilligungsverfahren. Die Überinterpretation der bestehenden Lärmvorschriften durch das Bundesgericht sei ein weiteres, grosses Problem. Der Verband hofft, dass vom Parlament angestrebte Gesetzesänderungen rasch zu einer Deblockierung beitragen werden.

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