Sonntag, September 29

Um den Klimawandel zu stoppen, sollten weniger Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Der Hafen Rotterdam will dafür Kohlendioxid im Meeresboden versenken. Trägt die Technik zur Lösung des Klimaproblems bei?

Kohlendioxid (CO2), das infolge der Nutzung fossiler Brennstoffe entsteht, für immer zu entsorgen, tönt nach einer eleganten Teillösung des Klimaproblems. Im Hafen Rotterdam in den Niederlanden schreitet ein solches Projekt gerade voran – es schürt Hoffnungen, zeigt aber auch, wo die Grenzen des komplexen Unterfangens liegen. Die Technik heisst Carbon Capture and Storage (CCS), also CO2 einfangen und es endlagern.

3000 Meter unter dem Meeresspiegel

Arbeiter verlegen dafür gerade Pipelines in Europas grösstem Hafen, dessen Gelände die riesige Fläche von 120 Quadratkilometern umfasst. Die Rohrleitung wird 30 Kilometer lang sein und durch den Hafen an die Nordsee führen. Von dort wird sie 20 Kilometer in der Nordsee verlaufen bis zu einem erschöpften Gasfeld. Dort wird das CO2 ab 2026 rund 3000 Meter unter dem Meeresspiegel eingelagert werden. Während 15 Jahren soll es ins Endlager fliessen, dann sind die Hohlräume voll und werden geschlossen. Die Investitionen für das Projekt mit dem Namen Porthos betragen 1,3 Milliarden Euro.

Man habe dafür einige Partner zusammenbringen müssen, sagt Hans Meeuwsen, der Direktor der Projektgesellschaft. Deren Aktionäre sind die Energiefirma ENB, der niederländische Gasnetzbetreiber Gasunie und der Hafen Rotterdam, drei Unternehmen im Staatsbesitz. Bei den Emittenten des CO2 und den Kunden von Porthos handelt es sich um die Erdöl- und Gasfirmen Shell, Exxon Mobil, Air Liquide und Air Products. Im Hafen betreiben sie riesige Produktionsanlagen, etwa Raffinerien. Dabei entsteht viel Kohlendioxid. 14 Prozent dieses Gases, das die Niederlande insgesamt ausstossen, wird angeblich im Hafengelände emittiert. Porthos soll helfen, diesen Anteil um 10 Prozent zu reduzieren.

Proteste der Bewohner

Porthos ist das grösste CCS-Projekt in der EU, das sich im Bau befindet. Bereits einmal haben die Niederlande versucht, ein CO2-Lager zu verwirklichen. Es hätte vor 15 Jahren unter der Stadt Barendrecht in der Nähe von Rotterdam entstehen sollen.

Aber ein Teil der Bevölkerung wehrte sich dagegen. Sie hielt die Technik für zu wenig ausgereift und befürchtete einen Rückgang der Immobilienpreise. Ängste herrschten auch wegen einer Gefährdung des Trinkwasser oder des Risikos von Erdbeben. Die Initianten gaben das Projekt auf – einmal mehr zeigte sich, welch schweren Stand neuartige Infrastrukturprojekte in Europa haben.

Im Rotterdamer Hafen dagegen ist kein Widerstand zu befürchten. Es gibt keine kritischen Einwohner, die Infrastruktur ist teilweise vorhanden, eine zusätzliche Pipeline stört hier niemanden. Der Hafen ist eine geölte Logistikdrehscheibe, deren Strassen, Kanäle, Kräne und Leitungen nur einen Zweck haben: Ware zu transportieren.

Andernorts haben CCS-Projekte aber weiterhin einen schweren Stand. Eine Verzögerung um mindestens vier Jahre gab es etwa bei einem weit ambitionierteren Plan als Porthos: dem Delta-Rhein-Korridor, einer Pipeline, die Rotterdam mit den deutschen Industriegebieten verbinden soll. Geplant ist hier, CO2 in Richtung Nordsee zu leiten und Wasserstoff zu den Industriefirmen auf dem Kontinent. Offen ist unter anderem, wo die Pipeline durchführen soll.

CCS-Gründungsfieber herrscht dagegen in Skandinavien. Vorreiter ist Norwegen, wo 1996 das erste CO2-Endlager entstanden ist. Initiant war das Rohstoffunternehmen Statoil (heute: Equinor). Das von ihm in der Nordsee geförderte Gas enthielt aus der Sicht von Abnehmern einen zu hohen CO2-Anteil. Ein Teil davon wurde deshalb abgeschieden und tief im Meeresboden versenkt.

Umweltsteuern sparen

Statoil hatte auch ein finanzielles Interesse, das CO2 zu entsorgen, die Firma hätte sonst höhere Umweltsteuern bezahlen müssen. Heute will sich Norwegen als Spezialist für das CCS positionieren.

Fast noch grössere Ambitionen hegt Dänemark. Teure Pipelines sind dabei keine Voraussetzung. Projekte in beiden Ländern sehen auch den CO2-Transport mit Lastwagen und Schiffen in die Lagerstätten vor. Die Stadt Zürich will diesen wirtschaftlich umstrittenen Dienst in Anspruch nehmen für CO2, das in der Kläranlage abgeschieden wird. Pro Tonne eingespartem CO2 entstünden hier hohe Transportkosten, sagen Kritiker. Trotzdem haben die Stimmbürger am Wochenende dem Projekt zugestimmt.

Die vier Kunden von Porthos haben hingegen einen eindeutigen finanziellen Anreiz, CO2 in der Nordsee zu versenken. Um das Gas in grossen Mengen ausstossen zu dürfen, müssen sie Zertifikate beim EU-Emissionshandelssystem ETS erwerben. Am Rotterdamer CCS-Projekt teilzunehmen, lohnt sich für die vier Firmen, wenn die Absonderung und Lagerung von CO2 günstiger ist als der CO2-Preis. Das sei derzeit der Fall, sagt der Porthos-Chef Meeuwsen. Ist es umgekehrt, übernimmt der Staat die Mehrkosten.

«CCS ist wesentlich, wenn man die Klimaziele ernst nimmt», meint Wilfried Rickels vom Kiel Institut für Weltwirtschaft. Gerade die EU hat ehrgeizige Emissionsreduktionsziele – wie sie die Mitgliedsländer schaffen werden, ist aber weiterhin unklar. Bis 2040 soll in der EU der Ausstoss von Treibhausgasen im Vergleich mit 1990 um 90 Prozent sinken. Bis 2050 will die EU netto gar «klimaneutral» sein.

Der Staatenbund will die Emissionen also nicht auf null senken – das wäre gar nicht möglich. «Gewisse Industriesektoren, etwa die Chemie, werden immer CO2 ausstossen», sagt Rickels. Ein Teil der Treibhausgase muss also zum Verschwinden gebracht werden – CCS ist aus heutiger Sicht die Technik dafür, zumal wenn CO2 konzentriert entsteht wie im Rotterdamer Hafen.

Mehr Bäume statt mehr Technik?

Eher schlecht sieht dagegen der «Business-Case» beim Direct Air Capture (DAC) aus, wie es etwa von der Schweizer Firma Climeworks angeboten wird. Bei dieser Technik wird das CO2 fernab der Quellen aus der Luft abgesogen. Im Vergleich mit dem CCS handelt es sich um eine noch teurere Technik: In Rotterdam blasen Firmen das CO2 hochkonzentriert und geballt in die Umgebung, während beim DAC viel Luft bewegt werden muss, um auch nur kleine Mengen des Gases einzufangen.

Climeworks betreibt in Island drei Anlagen, hat jüngst allerdings einen Rückschlag erlitten. Die 2021 in Betrieb genommene Installation Orca hat im vergangenen Jahr nur ein Drittel der angekündigten Menge des Treibhausgases entsorgt. Der Climeworks-Chef Jan Wurzbacher sieht allerdings Potenzial für Verbesserung, wie er der «NZZ am Sonntag» sagte.

Der Porthos-Chef Meeuwsen spottet derweil über die CO2-Staubsauger, wenn man ihn darauf anspricht. Man könne stattdessen auch Bäume pflanzen, die nähmen ebenfalls CO2 auf, meint er.

Bäume hätten auf jeden Fall bei der Bevölkerung kein Akzeptanzproblem wie die technischen Lösungen der CO2-Absorption. Allerdings können Pflanzen auch in Brand geraten oder verrotten, CO2 wird dann wieder freigesetzt. Beim CCS und beim DAC wird das Gas dagegen in Hohlräume un Gesteinsschichten gepresst, es ist also für immer weg, so lautet zumindest die Hoffnung der Promotoren.

Kritiker betonen allerdings, dass es in Norwegen zu einem Zwischenfall gekommen sei. Beim Gasfeld Snøhvit sei der Druck im Endlager 2008 in einer frühen Phase des Projekts plötzlich stark gestiegen, es habe die Gefahr von Gesteinsverschiebungen bestanden.

Rickels und die meisten Wissenschafter halten die Technik allerdings für unbedenklich, falls geeignete Gesteinsschichten genutzt werden. Man könne halt bei jeder Technik etwas falsch machen, meint Rickels. Das Risiko von Erdbeben erachten Forscher für gering, ebenso die Gefahr der Trinkwasserverschmutzung. Die vom Klimawandel ausgehenden Gefahren dürften um einiges höher sein.

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