Montag, September 30

Die Hausse in Halbleiterwerten dürfte demnächst konsolidieren. Das eröffnet Branchen und Ländern eine Chance, die vor Beginn der Blasenbildung in Semiconductors stark waren. Dazu zählen Financials und Goldminen.

Seit dem 19. April dieses Jahres fallen die meisten Aktienindizes zum MSCI Welt zurück.

Die Ursache für die Abnahme der relativen Stärke liegt an der spekulativen Blase, die in Semiconductors abläuft. Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass diese nun zu konsolidieren beginnt. Konsolidierungen sind, wie oft in meinen Beiträgen geschrieben, wichtige Vorgänge, weil sie zeigen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Branchen und Unternehmen, mit Preis und Wert stattfindet.

Die Art und Weise, wie konsolidiert wird, verrät eine deutliche Akkumulationsbereitschaft. Das heisst: Rückschläge in positiven Trends werden rasch zum Kaufen benutzt.

Daraus ist zu schliessen, dass eine Konsolidierung in Semiconductors, wenn sie einsetzt, positive Impulse auf Marktbreite und folglich auf Kursverlauf und relative Stärke jener Sektoren und Industrien haben wird, die vor dem 19. April, als die Beschleunigung des Aufwärtstrends in Semiconductors einsetzte, relative Stärke aufwiesen.

Entsprechend dürften nach Ländern organisierte Indizes anziehen, die eine hohe Gewichtung in den Sektoren und Industrien aufweisen, die von der skizzierten Veränderung im Weltbörsentheater profitieren.

So präsentiert sich das grosse Bild

  • Die Blasenbildung in Semiconductors hat eine sehr einseitige Verfolgungsjagd der Kurse in Semiconductors herbeigeführt, was zur Folge hatte, dass das berühmte Alpha fast ausschliesslich mit einer einzigen Industrie zu verdienen war. Diese Abnormalität sollte sich mit der angekündigten Konsolidierung der Branche mindestens vorübergehend wieder normalisieren.
  • Die alle Regionen, Länder und Sektoren umfassende Konsolidierung verläuft ohne Beschädigung der Kursmuster von rund 60% der Aktien.
  • Die Marktbreite hat sich in der Konsolidierungsphase nur mässig zurückgebildet. Im Durchschnitt beträgt sie 61,8% aller Aktien in allen Sektoren. Der Durchschnitt von Nordamerika, Gesamteuropa und Japan liegt bei 65,5%. Das sind solide Werte in einer Konsolidierung.
  • Der stärkste Sektor bleibt Financials. Consumer Finance, Banks, Insurance und Diversified Financial Services gehören zu den fünfzehn stärksten Industrien aus allen Sektoren. Gleichzeitig ist eine Industrie aus dem Finanzsektor, nämlich Transaction & Payment Services, Mitglied der fünfzehn schwächsten Industrien. Capital Markets und Diversified Financial Services liegen im grossen Niemandsland aller anderen Industrien, also zwischen den fünfzehn besten und den fünfzehn schwächsten.
  • Zweitstärkster Sektor ist Information Technology. Technology Hardware, Communications Equipment und Semiconductors gehören zu den fünfzehn stärksten Industrien aus allen Sektoren. Electronic Equipment, IT Services und Software sind nur durchschnittliche Industrien.
  • Energy figuriert derzeit auf dem dritten Platz, wobei ich nicht glaube, dass sich dieser Sektor lange auf diesem Platz behaupten kann. Oil, Gas & Consumable Fuels schafft es auf den letzten Platz der fünfzehn besten Industrien. Energy Equipment & Services klassiert sich im Mittelfeld der fünfzehn schwächsten Industrien. Allerdings hat diese Industrie wenig Gewicht im Sektor.
  • Industrials konsolidiert stärker als Financials und Information Technology und ist daher vom dritten auf den vierten Platz zurückgefallen. Drei von vierzehn Industrien aus diesem Sektor gehören zu den fünfzehn stärksten Industrien aus allen Sektoren. Es sind Commercial Services & Supplies, Construction & Engineering und Electrical Equipment. Drei Industrien aus diesem Sektor gehören zu den fünfzehn schwächsten aus allen Sektoren, und zwar Airlines, Road & Rail und Airfreight & Logistics.
  • Communication Services weist strukturelle Schwächen auf und ist trotz des guten Momentums nur gerade siebtplatzierter Sektor. Die Marktbreite liegt bei lediglich 51,1%, also deutlich unter dem Durchschnitt. Allerdings ist Interactive Media & Services unter den fünfzehn stärksten Industrien vertreten. Die stärksten Aktien mit der höchsten Kapitalisierung aus dieser Industrie waren noch vor ein paar Jahren Teil des MSCI Information Technology.

Kleine Cliquen mit Durchsetzungspotenzial

Von der Kapitalisierung her gesehen fallen Gold und Goldminen nicht ins Gewicht.

Die meisten Goldminenaktien weisen seit Ende März eine hervorragende relative Stärke auf. Einige haben mit dem DJ US Semiconductors mithalten können.

Gold konsolidiert seit dem 20. Mai. Ich habe den Eindruck, dass der Aufwärtstrend kurz vor der Wiederaufnahme steht. Das würde den Aufwärtstrend in Goldminenaktien befeuern.

Eine andere starke Industrie in MSCI Materials ist Construction Materials. Viele Titel aus dieser Industrie drängen aus ihrer Konsolidierung heraus.

Bemerkenswert ist Consumer Staples. Dieser Sektor ist unter den elf Sektoren erst auf dem neunten Platz zu finden. Seit langem gehört Consumer Staples zu den drei schlechtesten Sektoren. Doch zwei von insgesamt sechs Industrien zählen zu den weltweit fünfzehn stärksten Industrien aus allen Sektoren: Tobbaco und Household Products. Zum Ausgleich zählen zwei Industrien zu den fünfzehn schwächsten, nämlich Personal Products und Beverages.

Was liegt jenseits unserer Vorstellungskraft?

Die obigen Ausführungen mögen eine langweilige Aufzählung gewesen sein. Ich hoffe, sie erfüllen ihren Zweck: Zu zeigen, dass die Marktakteure «wägen und wagen», um ein Dictum von Wilhelm Röpke zu zitieren.

Märkte, die so strukturiert sind, brechen nicht zusammen. Ein encore von 2008 kann praktisch ausgeschlossen werden.

Die politische Instabilität in Frankreich, Budgetdefizite in Italien und Frankreich, eine hasserfüllte gespaltene Parteienlandschaft in Nordamerika, horrende Staatsschulden in fast allen grossen Industrieländern, schwache Konjunktur in China: das alles und vieles andere mehr mag durchaus ein über den Aktienmärkten hängendes Damoklesschwert sein.

Es kann aber auch sein, dass sich derzeit nicht erkennbare Kräfte entfalten, die dieses Schwert stumpf werden lassen. Das mag jenseits unserer Vorstellungskraft liegen, muss aber nicht jenseits des Möglichen sein. Wir wissen es nicht. Was wir wissen, ist, dass wir immer mit Ungewissheiten umgehen müssen, nicht nur jetzt. Im Umgang mit Ungewissheiten muss unser Können liegen.

An dieser Stelle kann ich nicht unterlassen, ein Buch wärmstens zu empfehlen, das ich derzeit zum zweiten Mal lese: «Radical Uncertainty. Decision-making for an unknowable future» von John Kay und Mervyn King. Kay war Professor für Wirtschaftswissenschaften, unter anderem in Oxford und an der London School of Economics. Mervyn King war unter anderem Governor der Bank of England.

Diese beiden hochkarätigen Autoren behandeln das Thema, das im Wirken von Frank Knight und John Maynard Keynes eine grosse Rolle spielte, auf höchstem Niveau. Knight ist in Chicago aus ideologischen Gründen in die Versenkung versetzt worden, und Keynes ist für Verfehlungen von Politikern, die sich auf seinen Namen berufen haben, zur Verantwortung gezogen worden.

Bekanntlich zeichnet sich Ideologie dadurch aus, dass die Fragen beantwortet werden, bevor sie gestellt wurden. Grosse Teile der Wirtschaftswissenschaft waren über lange Zeit von Ideologien geprägt. Zum Teil sind sie es heute noch. Kay und King räumen damit auf.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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